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Zecke als Vorbild

Die Zecke - ihren Biss fürchten viele, doch ihr Gebiss inspirierte nun zwei Bioniker. Sie untersuchten, wie das Insekt sich in die Haut verbeißt, und verwenden diese Technik nun - für Dübel.

Von Susanne Schrammar | 05.05.2010
    Heimwerker kennen das Problem – in Leichtbau- oder Gipskartonwände gedrehte Schrauben sind oft nicht stark belastbar, weil die Dübel es schwer haben, einen Halt zu finden. Und genau da kommt die Zecke ins Spiel.

    "Also, sie verankert sich ja in der menschlichen Haut oder in der des Tieres, das sind die Mundwerkzeuge, die sie da wirklich spreizt, zusätzlich hat sie sogar noch so eine Art Zeckenzement, mit dem sie richtig verkleben kann. Und dann haben wir uns überlegt: Das muss auch praktisch in die Technik zu übertragen sein, wir versuchen es mal und das hat eigentlich auch ganz gut geklappt."

    Felix Förster und sein Kollege Markus Hollermann sind Bioniker, also Wissenschaftler, die die Errungenschaften der Natur erforschen und sie in technische Innovationen umsetzen. Ihre Erfindung des Zeckendübels hat den beiden jungen Forschern jetzt den mit 10.000 Euro dotierten internationalen Bionic-Award 2010 eingebracht. Von der Natur, sagt der 26-jährige Markus Hollermann, können Tüftler eine ganze Menge lernen. Schon Leonardo Da Vinci habe sich bei der Entwicklung seiner Flugmaschinen von lebendigen Vorbildern inspirieren lassen.

    "Da Vinci hat von der Natur gelernt, hat sich den Vogelflug angeguckt, hat sich angeguckt, wie die Ahornblätter langsam in Spiralform gen Boden sinken und das sind eigentlich Effekte, wenn man länger nach einer Lösung für ein Problem sucht, kommt man ja vielleicht drauf, wenn man einfach mal in die Natur schaut. Es ist schon länger bekannt, aber dass es jetzt zielstrebig nach und nach gemacht wird, ist halt jetzt erst im Kommen mit der Bionik."

    Die Blüten der Paradiesvogelblume werden zum Vorbild für Lamellenjalousien, die Wurzeln von Efeu stehen Pate für neue Befestigungsmethoden und ohne die Klettfrucht wäre der Klettverschluss möglicherweise nie erfunden worden. Wie Naturphänomene in Produkte umgewandelt werden, wie sie Einzug in die Wirtschaft halten und was Bionik leisten kann, darüber diskutieren seit gestern die Teilnehmer des Bionik-Wirtschaftsforums in Osnabrück.

    Antonia Kesel leitet den bundesweit ersten Bionikstudiengang an der Hochschule Bremen. Bionik, sagt die Professorin, gehört vor allem in den Deutschland zu den Zukunftstechnologien. Bei mehr als 20 Millionen Arten, die die Evolution hervorgebracht hat, ist das Innovationspotenzial enorm hoch. Autoindustrie, Flugzeugentwicklung, Maschinenbau, Raumfahrt oder Architektur – kaum ein Bereich, in dem nicht Lösungen in der Biologie gesucht werden, so Kesel.

    "Jedes Mal, wenn sie in ein Flugzeug einsteigen, dann betreten Sie ein bionisches Produkt, auch wenn es heute so nicht vermarktet wird, aber darüber hinaus haben wir in den letzten Jahren dank technologischen Entwicklungen die Möglichkeit gehabt, auch in den anderen Kosmos der Natur einzusteigen – ich denke da an biologische Werkstoffe, ich denke an funktionale Oberflächen. Da haben wir immense Potenziale vorliegen und auch die ersten Erfolge vorzuweisen. Man sieht, es funktioniert, es geht."

    Die Bremer Bionik-Professorin hat beispielsweise ein Oberflächenbeschichtungsverfahren entwickelt, das Schiffe oder Hafenanlagen davor schützt, von schädlichen Organismen besiedelt zu werden – ganz ohne Gift. Darauf gekommen ist Antonia Kesel, als sie eines Tages am Strand einen toten Katzenhai fand und sich seine Haut näher ansah. Biologische Grundlagenforschung, aus der später neue Technik entsteht und einen Platz im Markt findet, ist der eine Weg. Weitaus häufiger fragen inzwischen jedoch Industrievertreter gezielt bei den Bionikern nach, wenn sie ein Produkt weiter entwickeln wollen. Doch die Natur eins zu eins abzukupfern – so einfach ist es oft nicht, sagt Rainer Erb vom Bionik-Kompetenznetzwerk Biokon.

    "Es geht darum, was zu sehen, sich den Blick erst mal dafür zu bewahren, zu erkennen, das könnte was sein und dann kommt die eigentliche Kernarbeit: Ich muss es dann mal verstehen, ich muss es abstrahieren, ich muss es irgendwie übertragen in die Technik und häufig ist am Ende gar nicht mehr erkennbar, wo kommt es denn eigentlich her. Aber das ist ein Prozess, der – wenn es gut läuft – mehrere Monate dauert, aber auch häufig mehrere Jahre durchaus in Anspruch nehmen kann."