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Zehn Jahre Festival IMPULS in Sachsen-Anhalt
"Volharding - Durchhalten" lautet das Motto der Jubiläumssaison

Festivals für Neue Musik gibt es etliche in Deutschland. Das Festival IMPULS in Sachsen-Anhalt ist dagegen ziemlich ungewöhnlich. Unter dem Motto "Volharding" sind zum zehnjährigen Jubiläum wie in den Jahren zuvor alle großen Orchester des Bundeslandes eingebunden – das ist deutschlandweit einmalig.

Von Claus Fischer | 30.10.2017
    Der niederländische Komponist Louis Andriessen
    Der niederländische Komponist Louis Andriessen: Von ihm stammt das Werk "Volharding", entstanden 1972 als Proteststück gegen den Vietnamkrieg. Es ist das Schlüsselwerk der Avantgarde in der niederländischen Musik. (dpa / picture alliance / Robin Utrecht)
    Es ist das Schlüsselwerk der Avantgarde in der niederländischen Musik, "Volharding" von Louis Andriessen, entstanden 1972 als Proteststück gegen den Vietnamkrieg.
    "Es ist der Anfang gewesen, wo die Neue Musik erstmals in Holland ihre eigene Struktur bekommen hat", erzählt der niederländische Dirigent und Initiator des Festivals Impuls Hans Rotman.
    "Es ist auch die Geburt der Minimal Music gewesen, Holland war ziemlich weit voran, sogar in mancher Hinsicht noch vor Steve Reich."
    Selbst hat sich Louis Andriessen jedoch nicht unbedingt als Avantgardist verstanden.
    "Er hat immer gesagt: Musik geht immer über Musik, er steht in Tradition, das hat er sich auch selbst gesetzt. Aber das Wort Beinharte neue Musik hat er erfunden!"
    "Volharding" - auf Deutsch lässt sich das mit Dranbleiben, Weitermachen oder Durchhalten übersetzen. Den Titel des Werks von Louis Andriessen, das von Mitgliedern des MDR Sinfonieorchesters unter Leitung von Ulrich Kern im Steintor-Varieté in Halle aufgeführt wurde, hat Hans Rotman bewusst als Motto der zehnten Ausgabe von IMPULS gewählt.
    Neue Musik in klassichen Sinfonieorchestern - das Konzept von IMPULS
    Als Rotman vor zehn Jahren antrat, um die Sinfonieorchester des Landes und deren Chefdirigenten zu animieren, Neue Musik aufs Programm zu setzen, stieß er auf Skepsis. Inzwischen - Stichwort "Volharding" - ist das Festival zu einer Marke geworden.
    "Man muss wirklich eine Überzeugung haben, um sowas zu wollen, und man muss Unterstützer haben. Beides haben wir. Ich habe immer gesagt, Vermittlung fängt erst da an, wo gespielt wird."
    Uraufführung: "Luther" - Oratorium von Oscar Strasnoy
    Im Jahr 2017 kommt man, zumal in Sachsen-Anhalt, am Reformationsjubiläum nicht vorbei. Der erste Höhepunkt im Programm von IMPULS 2017 war denn auch die Uraufführung eines Oratoriums über Martin Luther für Solisten, Chor und Orchester von Oscar Strasnoy, einem argentinischen Komponisten mit russischen Wurzeln, der sein Handwerk u.a. bei Hans Zender gelernt hat. Das Ganze, so Hans Rotman, entstand in einer Kooperation mit dem Opernhaus Halle.
    "Mich hat vor allem gereizt, dass Christoph Hein da ein Libretto hingelegt hat, wo man Luther auch mal von anderer Seite sieht, seinen Gegner. Und in der Partitur sind sie sehr extrem angelegt, dieser Countertenor und ganz tiefe Alt als Papst und als Cajetan. Das ist ein sehr bissiges Libretto, Strasnoy ist ein allen bekannter Komponist, da könnte man denken, das kann sehr spannend werden."
    Oscar Strasnoy ist Jude. Martin Luther war, das lässt sich aus einigen Schriften ersehen, Antisemit. Geht das zusammen?
    "Für mich ist Luther ist immer mit Bach verbunden, es ist eher eine musikalische als eine historische Figur. Deswegen habe ich kein Probleme."
    So enthält die Partitur auch entsprechende musikalische Zitate.
    "Ich wollte also ganz bewusst mit diesem Material arbeiten, mit der Musik von Luther selber, und auch mit der Musik von Bach über Luther und mit Luther. Und das kommt als Hintergrund und als Basis."
    Die Gesangssolisten und die Staatskapelle Halle präsentierten sich bei der Uraufführung in hervorragender Verfassung, der Ernst-Senff-Chor aus Berlin hatte dagegen große Schwierigkeiten mit der Intonation. Allerdings stellte sich bereits nach zehn Minuten beim Publikum spürbare Langeweile ein, hat Oscar Strasnoy sich selbst doch in der Wahl seiner kompositorischen Stilmittel sehr beschränkt. Immer wieder die gleichen Intervalle und melodischen Phrasen bei den Gesangssolisten zeugten nicht von großer Erfindungsgabe. Hier gewann das Festivalmotto "Volharding", Duchrhalten - eine wohl nicht so beabsichtigte Bedeutung.
    Dem Nachwuchs eine Chance - Kompositionsworkshop im Bauhaus Dessau
    Der Argentinier Oscar Strasnoy ist in der Komponistenszene etabliert. Zum Konzept des Festivals IMPULS gehört es aber auch, Nachwuchskünstlern ein Forum zu bieten. An dem Ort der Moderne in Sachsen-Anhalt, dem Bauhaus Dessau fand in der vergangenen Woche eine Werkstatt für fünf junge Komponisten aus aller Welt statt. Jeder sollte im Vorfeld ein Werk von etwa sieben Minuten Dauer unter dem Stichwort "Volharding" schreiben und zum Workshop mitbringen. Angeleitet wurden die Teilnehmer von der aus Dessau stammenden Komponistin Annette Schlünz.
    "Hier diskutieren wir zwei Tage über die Stücke am Papier. Wir lesen sie also nur und schauen und es gibt Fragen zwischen den Teilnehmern und es gibt diesen Austausch. Und das finde ich ungeheuer wichtig, dass es in dem sehr einsamen Beruf des Komponisten plötzlich diesen Austausch gibt und man redet. Und dann probt man mit dem Ensemble und dann wachsen die Stücke. Und es gibt auch den Komponisten die Chance, innerhalb von drei Tagen die Stücke auch musikalisch wachsen zu lassen, mit dem Ensemble gemeinsam."
    Aufgeführt wurden die fünf Kompositionen der Workshop-Teilnehmer durch das "Zafraan Ensemble" für Neue Musik aus Berlin, darunter ein Werk der Kolumbianerin Violeta Cruz, die in Paris lebt."If I was a manatee", auf Deutsch "Wenn ich eine Seekuh wäre" für zehn Instrumente.
    "Da gibt es zwei Hauptthemen: die menschliche Existenz, das hat keine fließende Bewegung. Da fehlt es an Klarheit. Und das andere ist das Fragen nach der Existenz. Da ist Bewegung drin, aber nicht auf ein objektives Ziel gerichtet."
    Einziger Deutscher unter den fünf Teilnehmern des Kompositionsworkshops war der 23-jährige Romeo Wecks aus Halberstadt. Er hatte im Vorfeld den Nachwuchs-Kompositionswettbewerb des IMPULS-Festivals gewonnen. Wecks bezog sich stark auf das Festivalmotto "Volharding".
    "So habe ich probiert, ein Stück zu schreiben, das wirklich die siebeneinhalb Minuten durchgeht, keine Pause hat, wo man wirklich dranbleibt. Ich denke, es sind auch Einflüsse so von Minimal Music mit dabei. Und ich hab probiert, mit einer schönen Klanglichkeit zu arbeiten."
    Weitere Uraufführung - das "Trump Concerto" von Gene Pritsker
    Gerade die zahlreichen Uraufführungen machen alljährlich den Reiz des Festivals IMPULS aus. Besonders spannend das "Trump Concerto" des in Russland geborenen und in New York lebenden Komponisten, Gitarristen und DJs Gene Pritsker, das in Zusammenarbeit mit Festivalchef Hans Rotman entstanden ist und vom MDR Sinfonieorchester unter Ulrich Kern im Steintor-Varieté in Halle uraufgeführt wurde. In acht Sätzen karikiert Pritsker den Lebenswandel und die Auftritte des amerikanischen Präsidenten, macht mit einer gehörigen Portion musikalischem Sarkasmus zum Beispiel sein ständiges Twittern hörbar. Das Festivalmotto und niederländische Wort "Volharding" für Durchhalten passt wohl auch als Ratschlag für die Kritiker dieser Präsidentschaft ganz hervorragend.