Freitag, 29. März 2024

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Zehn Jahre Smartphone
"Mehr Segen als Fluch"

Es sei auch gesundheitlich zu begründen, dass eine Abgrenzung zur Arbeit wichtig sei, sagte der Bielefelder Arbeitspsychologe Tim Hagemann im Deutschlandfunk. Das Smartphone habe hier etwas Verführerisches, es lasse diese Grenzen verschwimmen. Deshalb müsse der Umgang damit erlernt werden - insgesamt sieht der Arbeitspsychologe die Smartphone-Revolution aber positiv.

Tim Hagemann im Gespräch mit Birgid Becker | 09.01.2017
    Eine Frau berührt mit dem Zeigefinger den Touchscreen ihres Smartphones.
    Smartphone: Verändert es unsere Arbeitswelt? (imago / Westend61)
    Birgid Becker: Vor zehn Jahren, da war nicht der Start, aber der Startschuss für die Erfolgstour der Smartphones im Alltag und im Arbeitsleben.
    - Mitgehört hat der Bielefelder Arbeitspsychologe Tim Hagemann. Guten Tag.
    Tim Hagemann: Guten Tag.
    Becker: Waren Sie eigentlich, Professor Hagemann, ein Smartphone-Nutzer der ersten Stunde, oder hielten Sie es mehr mit denjenigen, die sagten, ich brauche was zum Telefonieren und nicht mehr?
    Hagemann: Tatsächlich habe ich relativ spät ein Smartphone gehabt und dann auch vor allen Dingen im Umgang mit den Studierenden, dass man merkte, dass man auch im Bereich der sozialen Medien und so weiter unterwegs sein muss.
    Becker: Und jetzt? Wie bestimmend ist das Smartphone für Ihr berufliches Leben?
    Hagemann: Tatsächlich merke ich schon, dass ich es in vielen Funktionen nutze, wie auch eben beschrieben. Es ist natürlich wie das Schweizer Taschenmesser unseres digitalen Zeitalters. Man kann Kalender führen, Reisen buchen, aber auch als Taschenlampe es nutzen und darum, Fotos zu machen. Aber natürlich auch beruflich erlaubt es ja, alle Funktionen eines Büros mit zu haben. Das nutze ich schon.
    Becker: Bestimmt es Ihren Alltag oder bestimmt es auch Sie?
    Hagemann: Ja, ich merke tatsächlich, dass da die Grenzen verschwimmen, wie eben auch in dem Beitrag schon angeklungen, dass man zum Teil auch häufig das Smartphone nutzt, wenn man vielleicht irgendwie Zeiten hat, in denen man auf die Bahn wartet oder auf den Bus oder irgendetwas. Und dass man es eigentlich nicht mehr aushält, vielleicht auch mal einfach Muße hat, innezuhalten, nichts zu tun, den Gedanken freien Lauf zu lassen.
    Becker: Diese ständige Erreichbarkeit durch Mails und Mobiltelefone, die bietet ja seit Jahren Diskussionsstoff. Und einige Unternehmen bauen mittlerweile Dämme gegen die Kommunikationsflut. Sie bieten beispielsweise an, dienstliche Mails, die Mitarbeiter während ihrer Urlaubszeiten bekommen, zu löschen. Das macht Daimler oder der Versicherungskonzern Allianz. Der appelliert in Kampagnen daran, das Smartphone auch mal zur Seite zu legen. Brauchen wir das? Können das intelligente Arbeitnehmer nicht selber bestimmen, inwieweit sie sich von ihrem Smartphone bestimmen lassen oder einfach die Vorteile des Smartphones genießen?
    "Wir müssen einen Umgang damit lernen"
    Hagemann: Ich glaube, wir brauchen das schon. Wir müssen einen Umgang damit lernen. Das heißt, wir müssen eine Haltung entwickeln dazu. Wir müssen uns abgrenzen und auch Zeiten bestimmen, in denen wir nicht erreichbar sein wollen und sein können. Das fängt natürlich schon an, dass wir auch unterschiedliche Geräte benutzen im Privaten wie im Beruflichen. Oder auch unterschiedliche Adressen. Aber darüber hinaus muss man natürlich auch im Unternehmen eine Kultur schaffen. Und da sind, glaube ich, solche Impulse, die Sie gerade genannt haben, oder auch Gesetzesgebungen wie jetzt in Frankreich gut, um tatsächlich auch eine Unternehmenskultur dahingehend zu schaffen, dass man auch Mitarbeitenden ermöglicht, nach der Arbeit, am Wochenende und im Urlaub abzuschalten, nicht erreichbar zu sein. Das ist wichtig und das kann man auch gesundheitlich begründen.
    Becker: Gewerkschaften sprechen schon mal von einer Flatrate auf Arbeitszeit, die das Smartphone oder auch das Tablet möglich machen. Ist das zu weit gegriffen?
    Hagemann: Nein, das ist zum Teil so. Und auch gerade für die Gewerkschaften ist es ja eine große Herausforderung. Man hat ja auch mit viel Aufwand in den letzten Jahren viele Arbeitszeitregelungen erkämpft und auch positive Arbeitszeitregelungen. Das wird natürlich sehr gefährdet jetzt durch die Möglichkeiten, die zum Teil aber auch von den Arbeitnehmern ja gewollt sind. Man denke an die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens, zum Beispiel auch abends, wenn die Kinder im Bett sind, um 23 Uhr noch E-Mails zu bearbeiten. Das empfinden ja auch viele als angenehm.
    Becker: Pointiert gesagt: So viel für die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf wie das iPhone hat kaum jemand zuvor getan?
    Hagemann: Das stimmt. Aber wichtig ist, dass man tatsächlich, wie eben gesagt, den Umgang damit lernt und es schafft, sich auch abzugrenzen. Ich glaube, da sind neue Herausforderungen. Das ist aber nicht neu, das hat auch andere Technologien betroffen, dass man erst mal auch reflektieren musste, vielleicht als Gesellschaft, als Unternehmen und als Einzelner, wie man damit umgehen möchte.
    Becker: Das wollte ich Sie fragen. Sind wir zehn Jahre nach dem Siegeszug der Smartphones ganz einfach in einem Zwischenstadium?
    "Es hat etwas sehr Verführerisches"
    Hagemann: Ja. Es hat ja etwas sehr Verführerisches. Als Mensch lieben wir soziale Kontakte und wenn wir ein soziales Kontaktangebot bekommen, ist es äußerst schwierig, das zu ignorieren. Insofern ist natürlich auch schon ein Suchtpotenzial gegeben, was ein Smartphone durchaus hat, aber auch andere soziale Medien. Ich glaube schon, da muss man den Umgang wahrscheinlich schon in der Schule lernen. Man muss es in der Familie thematisieren, auch mit den Kindern, mit den Freunden, aber auch im Unternehmen, im Team, und ich glaube, das tun wir zu wenig.
    Becker: Ist es übertrieben, die Smartphone-Revolution zu vergleichen mit Buchdruck oder Erfindung der Dampfmaschine oder Erfindung der Elektrizität?
    Hagemann: Nein, das finde ich nicht. Ich glaube schon, dass es doch weitgehend in viele Bereiche unseres Lebens eingreift.
    Becker: Unterm Strich nach zehn Jahren, was würden Sie sagen? Mehr Fluch oder mehr Segen?
    Hagemann: Mehr Segen.
    Becker: Vielen Dank! - Das war Tim Hagemann von der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen.
    Hagemann: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.