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Zehn Stunden daneben

Katastrophenschutz. - Für die deutsche Seite ist das Oder-Hochwasser diesmal glimpflich abgegangen. Erstmals war auch das neue Vorhersagesystem gefordert, das nach den Erfahrungen der verheerenden Flut von 1997 installiert wurde. Auch wenn es nicht ganz fehlerfrei funktionierte, seine Feuer- oder vielmehr Wasserprobe hat es bestanden.

Von Viola Simank | 02.06.2010
    Mal ist das Flussbett der Oder tief, mal flacher, mal mündet noch ein Bach hinein oder fließt das Wasser über Geröll statt Sand: Das sind nur ein paar Dinge, die Einfluss darauf haben, wie schnell und in welchen Mengen das Wasser durch den Fluss rauscht. Bei Hochwasser wird eine Prognose noch schwieriger - das hat auch die Oderflut von 1997 oder das Elbe-Hochwasser von 2002 gezeigt. In den letzten Jahren hat die Bundesanstalt für Gewässerkunde deshalb ein neues Vorhersage-System entwickelt, das die Wasserstände genauer als bisher berechnet. Entscheidend ist dabei, dass auch Daten eines digitalen Geländemodells der Flusslandschaft mit einbezogen werden, erklärt der Hydrologe Professor Uwe Grünewald von der Brandenburgischen Universität Cottbus:

    "Und diese Daten bekommt man eben aus Überfliegungsdaten, durch Laserscannen in Trockenzeiten, dann scannt man im Grunde diesen Vorlandbereich der Deiche. Und im Fluss, also diesem nassen Bereich, versucht man über Peilungen die entsprechenden Flussprofile aufzunehmen."

    Schließlich beeinflusst die Geländebeschaffenheit, wie sich das Wasser durch den Fluss bewegt. Das neue Vorhersagemodell kann so beispielsweise die Auswirkungen von Dammbrüchen berechnen ebenso wie den richtigen Zeitpunkt zum Öffnen eines Polders, um den Fluss bei Hochwasser zu entlasten. 1997 war all dies noch nicht möglich, die Rechen-Modelle waren einfacher und beruhten auf weniger Daten - auch die Computertechnik war damals noch nicht soweit:

    "Vorher liefen solche Modelle auf Großrechnern, und es kann ja nicht sein, das so ein Modell länger rechnet als das Hochwasser läuft, dann hat's ja keine Vorhersage mehr und das ist natürlich jetzt eine vollkommen neue Qualität. Wir haben jetzt eine vollkommen neue Qualität der Rechentechnik, wir haben eine vollkommen neue Qualität der Übertragungstechnik, wir haben Internet."

    Sodass jetzt die Brandenburger Hochwasserexperten viel besser mit den polnischen und tschechischen Kollegen vernetzt sind und ständig Daten austauschen können. Denn schließlich fließt die Oder erst durch beide Nachbarländer - auch diese Messwerte werden teilweise in die Vorhersagemodelle mit einbezogen. Doch eine Schwäche bleibt: die richtige Prognose der Regenmenge, mit der das Hochwasser seinen Anfang nimmt. Sie ist vor allem in den Entstehungsgebieten der Flüsse wichtig. Uwe Grünewald:

    "Einmal weiß man nicht genau, wie viel Niederschlag fällt, aber vor allem weiß man auch nicht genau, wo der fällt. Und wenn er dann gefallen ist, wissen wir nicht, wie viel es ist, weil wir eben nur wenige Stützstellen haben. Der Niederschlag wird zum großen Teil noch dadurch gemessen, dass man einen größeren Topf an einem bestimmten Punkt in die Landschaft stellt. Dann hat man mehrere Töpfe, die sind teilweise ganz unterschiedlich die Messwerte, und dann kommt es darauf an, einen gebietscharakteristischen Wert zu erfassen."

    Selbst mit einem modernen Regenradar bleibt dies schwierig - und so kommt es insbesondere bei der Vorhersage im Entstehungsgebiet des Hochwassers zu Unsicherheiten. Im Falle der Oder ist Deutschland allerdings in einer komfortablen Position: Da der Fluss in Tschechien entspringt, haben die Brandenburger mehr als eine Woche Zeit, bis das Hochwasser bei ihnen ankommt. Und je länger die Flut dauert, umso genauer werden die Vorhersagen.

    "Die ersten Prognosen waren sehr widersprüchlich am Anfang, da gab's noch sehr vage Aussagen, weil man zum Beispiel nicht abschätzen konnte, wie sich die Niederschläge entwickeln. Aber dann wurden sie immer besser mit zunehmender Dauer und dann ging's nur noch darum, wie die Höhe sich eigentlich einstellt."

    Alles in allem hat das neue Hochwasser-Vorhersagesystem an der Oder, das seit 2002 in Betrieb ist, seine erste große Bewährungsprobe gut bestanden. Die Flutwelle allerdings kam etwa zehn Stunden früher als dies die Hochwasserzentrale in Frankfurt erwartet hatte - warum dies das Modell nicht berechnet hat, das werden die Brandenburger Experten in den kommenden Wochen genau auswerten.