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"Zeichen der Geschlossenheit nach außen"

Für Philipp Mißfelder war es die beste Parteitagsrede der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. Es sei ihr gelungen, sowohl die Stammwähler als auch Wechselwähler anzusprechen. Jetzt sei es entscheidend, die Landtagswahl in Baden-Württemberg zu gewinnen.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Gerd Breker | 16.11.2010
    Friedbert Meurer: In Karlsruhe setzt die CDU heute Morgen also ihren Bundesparteitag fort. Dieser Ort des Geschehens, Karlsruhe, er ist mit Bedacht ausgewählt worden. Karlsruhe gehört zu Baden-Württemberg und dort finden ja Ende März Landtagswahlen statt, die für die CDU geradezu existenziell wichtig werden könnten. Umfragen deuten auf das lange unvorstellbare hin, nämlich darauf, dass die CDU ihre Macht ausgerechnet im Ländle verlieren könnte. Gestern Abend aber ging es auch in Karlsruhe um Ethik, weniger um Macht. Die Partei treiben die Möglichkeiten der modernen Medizin um.

    Angela Merkel, die Parteivorsitzende und Kanzlerin, sie ist gestern also mit knapp über 90 Prozent der Delegiertenstimmen als Parteichefin wiedergewählt worden. Das gilt als nicht gerade überragend, aber es hätte deutlich schlimmer kommen können. Hauptsache die 90 sozusagen vor dem Komma.

    Gerd Breker fragte gestern Abend den Vorsitzenden der Jungen Union, Philipp Mißfelder, ob diese Vorstandswahlen ein Vertrauensbeweis waren, oder ob eher das Motto galt "Augen zu und durch"?

    Philipp Mißfelder: Das sehe ich so nicht. Wir haben ein schwieriges Jahr hinter uns, Schwarz-Gelb ist ganz anders gestartet, als wir es uns erhofft haben, und deshalb ist es gut, dass das Jahr jetzt so friedlich und auch geschlossen zu Ende geht und wir mit diesem Parteitag im Grunde das Zeichen der Geschlossenheit nach außen gesetzt haben. Das ist am deutlichsten geworden, glaube ich, beim Ergebnis der Bundeskanzlerin und auch beim Ergebnis von Hermann Gröhe, und dazu gratuliere ich natürlich beiden.

    Gerd Breker: Dem Herbst der Entscheidungen, wie die Kanzlerin es genannt hat, folgt das Jahr der Entscheidungen. Prüfstein bleibt dabei die Landtagswahl Ende März in Baden-Württemberg. Das ist schon so eine Art Schicksalswahl?

    Mißfelder: Das habe ich einmal gesagt und daran gibt es auch nichts zu korrigieren. Für uns ist Baden-Württemberg entscheidend, deshalb setzen wir auch darauf, mit Stefan Mappus zu gewinnen, es gibt da auch keine Versuche, das irgendwie klein zu reden, sondern das ist unser Stammland hier, Baden-Württemberg, und das wollen wir auch halten. Stefan Mappus hat hier einen sehr, sehr guten und auch umjubelten Auftritt auf dem Parteitag gehabt. Insofern ist auch das gelungen, was wir auch ihm mitgeben wollten, nämlich ihn hier mit diesem Parteitag auch ein Stück weit zu unterstützen.

    Breker: Haben Sie denn auch schon die Prognosen weggeworfen und kämpfen jetzt nur noch?

    Mißfelder: Ich glaube, wir müssen tatsächlich kämpfen wie bei allen Landtagswahlen. Ich bin ja selber Nordrhein-Westfale und ich habe im vergangenen November den Fehler gemacht, wie viele auch aus der Führung der CDU Nordrhein-Westfalen, dass wir im Grunde alle in der CDU Nordrhein-Westfalen ja gedacht haben, Frau Kraft hat doch eh keine Chance, und daran können Sie sehen, wie ernst zu nehmend Umfragen sind. Rüttgers lag uneinholsam vorne. Jetzt scheint es so zu sein, dass gerade unser Koalitionspartner FDP unter den schlechten Umfragewerten besonders leidet. Bei der CDU Baden-Württemberg gibt es eine Erholung gerade in den aktuellen Umfragen. Aber ich würde immer sagen, bis zur letzten Minute kämpfen, sich engagieren, geschlossen jetzt auch auftreten nach diesem Parteitag und versuchen, das verloren gegangene Vertrauen so schnell wie möglich zurückzugewinnen.

    Breker: Aber ist denn aus Ihrer Sicht ein Ergebnis 40+, von dem ja Stefan Mappus träumt, ist das in dieser Zeit, in der Krise der Volksparteien noch realistisch?

    Mißfelder: Es wäre auf jeden Fall ein Riesenerfolg und wir treten auch an, um erfolgreich zu sein. Ich glaube, sie können niemanden von sich begeistern, wenn sie nicht in der Lage sind, auch Ziele zu formulieren, wenn sie mit Minimalforderungen herangehen und sagen, vielleicht werden wir dann ja Schwarz-Grün machen können, wenn die Grünen uns denn dann lassen und Frau Roth es uns erlaubte, oder wir würden von einer Großen Koalition schwadronieren. Das ist nicht unser Ziel.

    Unser Ziel ist, dass diese Regierung bestätigt wird, und dafür kämpfen wir und dafür muss die CDU ein super Ergebnis holen und muss dafür deutlich über dem liegen, was wir bei der vergangenen Bundestagswahl bundesweit geholt haben, und das kann Stefan Mappus durchaus schaffen.

    Breker: Aber ist es klug, zu diesem Zeitpunkt, wie die Kanzlerin es ja getan hat und CDU-Vorsitzende es getan hat, alles außer Schwarz-Gelb auszuschließen?

    Mißfelder: Wir sind in einer Situation, die hätte ich so auch nicht gedacht, erwartet vor ein paar Jahren, wo die Unterschiede zwischen den politischen Lagern wieder viel, viel stärker zu erkennen sind. Ich kann mich noch erinnern, vor drei, vier Jahren, wenn ich Politikwissenschaftler getroffen habe, oder auch Journalisten, da gab es viele Debatten, ähneln sich die Parteien, sind die Profile nicht alle gleich und abgeschliffen, alle ranken sich um die Mitte. Nun ist es so, dass die Unterschiede sehr, sehr deutlich herausgearbeitet werden, in Gorleben, bei Stuttgart 21, bei uns in Nordrhein-Westfalen bei vielen großen Infrastrukturfragen, und diesen Ball müssen wir aufnehmen, damit müssen wir offensiv umgehen, und das bedeutet eben, dass man auch die Auseinandersetzung beispielsweise mit den Grünen sehr stark führen muss.

    Breker: Die Union auf der Suche nach ihrer konservativen Identität. Hat sie Karlsruhe da weiter gebracht? Sind sie aus Ihrer Sicht fündig geworden?

    Mißfelder: Definitiv, weil die Kanzlerin mit ihrer Rede – und ich will sagen, es war für meinen Geschmack die beste Parteitagsrede, die sie unter dem Tagesordnungspunkt "Bericht der Vorsitzenden" bisher gehalten hat, seitdem ich zu CDU-Bundesparteitagen fahre; ich muss wirklich sagen, ich bin sehr begeistert gewesen von der Rede, ich glaube die Delegierten auch, und ich glaube, das lag auch daran, weil sie die Seele der Partei bedient hat, weil sie aber auch einfach klar gemacht hat, dass sie als Vorsitzende bereit ist, das Spektrum stärker abzudecken auch in Richtung der Stammwähler oder der traditionellen Wähler, und ich glaube, das ist das Wichtigste, dass wir jetzt sowohl Wechselwähler für uns versuchen zu gewinnen mit einer erfolgreichen Politik, mit auch dem Öffnungsprozess, den wir hinter uns haben, aber gleichzeitig auch unsere Stammwähler nicht vernachlässigen. Dafür habe ich lange Zeit geworben, dafür haben andere jüngere lange Zeit geworben, und ich bin froh, dass jetzt die Parteiführung auch diese Richtung eingeschlagen hat.

    Breker: Die Delegierten waren von der Kanzlerinnenrede begeistert. Das heißt, es ist offenbar gelungen, die eigenen Leute zu mobilisieren. Aber erreicht man damit die wahlentscheidende Mitte der Wähler?

    Mißfelder: Die Mitte ist wahlentscheidend, aber wir sehen gleichzeitig, dass es einen Trend gibt der Wahlzurückhaltung. Das bedeutet dann umgekehrt auch, dass man sein eigenes Potenzial maximal ausschöpfen muss. Deshalb bin ich der Meinung, wenn es in einem Stammland wie Baden-Württemberg gelänge, unser eigenes Spektrum erst einmal auszuschöpfen und dann vielleicht durch die moderne Familienpolitik von Ursula von der Leyen und Kristina Schröder es auch hinzubekommen, zusätzliche Wählergruppen anzusprechen, dann müsste es auch reichen und das muss das Modell der Zukunft aus meiner Sicht sein. Im Grunde ist das eine ganz einfache Rechnung. Es ist im Grunde die alte Rechnung der Volksparteien, und an dieses Erfolgsmodell glaube ich nach wie vor und davon bin ich nach wie vor überzeugt.

    Breker: Sie sind in Baden-Württemberg, Herr Mißfelder. Zeigt nicht gerade Stuttgart 21, dass auch die repräsentative Demokratie ein wenig in die Krise geraten ist, denn die Menschen wollen mitgenommen werden und werden das nicht immer?

    Mißfelder: Ja, wobei wir es hier mit einem Sonderfall zu tun haben. Generell würde ich Ihnen schon zustimmen, dass es so etwas gibt, dass Menschen das Gefühl haben, dass Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden, dass die Sachzusammenhänge vielleicht auch viel zu kompliziert geworden sind und Politiker sich viel zu wenig Mühe geben, diese auch zu erklären. Das gilt im Übrigen auch für die Auseinandersetzung zwischen Parlament und Regierung. Es ist keineswegs so, dass dort alles reibungslos funktioniert. Es geht durchaus durch breitere Schichten als nur um das starre Verhältnis Partei und Wähler.

    Aber bei Stuttgart 21 ist das Problem ja einfach gelagert, wenn man das mit der Gesundheitsreform vergleicht, oder mit dem Euro-Rettungsschirm. Hier geht es darum, dass ein Infrastrukturprojekt gebaut wird, und da gibt es Leute, die sind dagegen, zum Teil sind sie auch dagegen, weil sie vielleicht der eigenen Bequemlichkeit halber sagen, ich möchte vor meiner Tür nicht so eine Baustelle haben, ich habe ja gar nichts davon, warum hier dieser Baulärm und so weiter und so fort. Die Argumente sind ausgetauscht. Wir müssen daraus lernen, dass wir versuchen müssen, mehr Akzeptanz, auch nachhaltiger, zu bekommen. Aber ich sage auch gleichzeitig, wir wollen diese Auseinandersetzung auch gewinnen, sowohl in dem Schlichtungsverfahren aufeinander zugehen, aber gewinnen, weil wir nicht zulassen dürfen, dass einmal demokratisch legitimierte, rechtsstaatlich abgesicherte Entscheidungen, dass die revidiert werden durch den Druck der Straße. Das dürfen wir nicht zulassen, dann hat die Konstitution unseres Landes große Probleme vor sich und deshalb müssen wir hier hart bleiben.

    Meurer: Mit dem Vorsitzenden der Jungen Union, Philipp Mißfelder, Mitglied im Präsidium der CDU, sprach mein Kollege Gerd Breker.