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Zeichen zwischen Türken und Kurden stehen wieder auf Gewalt

Nach einem Anschlag auf türkische Soldaten im Südosten des Landes folgten heftige Gegenschläge auf mutmaßliche PKK-Stellungen im Nordirak. Die Eskalation ist ein herber Schlag für alle, die sich für einen friedlichen Dialog zwischen Regierung und Kurden einsetzen.

Von Steffen Wurzel | 24.08.2011
    "Wir hätten uns gewünscht, dass der heilige Monat Ramadan, in dem wir uns in Geduld üben wollten, durch so einen Vorfall nicht betrübt wird. Doch so ist das leider mit dem Phänomen Terrorismus."

    Der Vorfall, von dem der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan hier spricht, ereignete sich heute vor einer Woche. Türkische Soldaten gerieten im Südosten des Landes in einen Hinterhalt, mutmaßliche PKK-Terroristen töteten acht Soldaten und einen der Armee nahestehenden Sicherheitsmann. Dem Anschlag in der Nähe der Grenze zum Irak folgten die heftigsten türkischen Angriffe auf mutmaßliche PKK-Stellungen seit Langem. Gestern zog die Militärführung in Ankara ein erstes Fazit: Bis zu 100 PKK-Rebellen seien getötet worden, ebenso viele Stellungen und Verstecke wurden nach Angaben des Militärs zerstört.

    Ohne Frage, die jüngste gewaltsame Eskalation im Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der pro-kurdischen Terrororganisation PKK ist ein herber Rückschlag für all die, die sich für einen friedlichen Dialog zwischen Regierung und Kurden einsetzen. Einer, der wie kaum ein zweiter in der Türkei um Ausgleich zwischen beiden Seiten bemüht ist, ist Kemal Burkay, kurdischer Intellektueller, Autor und Aktivist. Nach mehr als 30 Jahren im schwedischen Exil ist er erst vor gut drei Wochen in die Türkei zurückgekehrt.

    "Die Gewalt ist in jüngster Zeit wieder eskaliert. Auf beiden Seiten melden sich vor allem die kriegslustigen Stimmen zu Wort. Die Öffnungspolitik ist einem neuen, harten Ton der Regierung und des Ministerpräsidenten gewichen."

    Tatsächlich ist innerhalb der Regierung kaum noch die Rede von einer raschen friedlichen Lösung des Konflikts. Als Premier Erdoğan vor acht Jahren die Regierungsgeschäfte übernahm, sah das noch ganz anders aus. Er setzte auf eine Öffnung und machte das möglich, was zuvor Jahrzehnte lang tabu war: An Unis wurde die kurdische Sprache erlaubt, ebenso kurdische Kulturveranstaltungen und im öffentlichen Leben wurde das Kurden-Thema plötzlich ganz offen diskutiert. In den Jahrzehnten zuvor wäre man dafür schlimmstenfalls ins Gefängnis gekommen. 2009 eröffnete der staatliche Fernsehsender TRT sogar ein kurdischsprachiges Programm.

    Warum die Stimmung jetzt gekippt ist und die Zeichen wieder auf Gewalt stehen, hat viele Gründe. Da ist zum einen die PKK, die ihre militanten Aktionen zwar immer noch mit dem Kampf für die kurdische Sache rechtfertigt, inzwischen aber aus Sicht Vieler vor allem deswegen bombt und schießt, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. Zudem kann man streng genommen heute nicht mehr von 'der einen PKK' sprechen, längst agieren mehrere Splittergruppen nebeneinander, mit unterschiedlichen Zielen.

    Nach Ansicht von Selahattin Demirtaş, einem der beiden Vorsitzenden der pro-kurdischen Partei BDP, trägt auch die religiös-konservative Regierung von Premierminister Erdoğan einen Teil der Schuld. Erdoğan setze bewusst auf Gewalt, um den friedlichen Dialog zu sabotieren.

    "Die Eskalation wurde von der AKP schon vor den Parlamentswahlen im Juni geplant und in Kauf genommen. Der jüngste Anschlag im Südosten hat dem Ministerpräsidenten eine willkommene Gelegenheit gegeben. Die AKP tut so, als sei sie kurz davor gewesen, die Kurdenfrage auf demokratischem Wege zu lösen - wenn da nicht plötzlich die andere Seite wieder den Krieg erklärt hätte. Aber Herr Erdoğan betrügt die Öffentlichkeit!"

    Wie es im Kurdenkonflikt weitergeht ist völlig offen. Klar ist nur: Ab Herbst steht eine umfassende Reform der türkischen Verfassung auf der politischen Tagesordnung. Spätestens dann werden sich Regierung und Kurdenvertreter wieder an einen Tisch setzen. Aus Sicht des kurdischen Autors und Aktivisten Kemal Burkay müssen sich beide Seiten bewegen.

    "Dass die Probleme nicht mit Gewalt gelöst werden können, ist längst bewiesen. Deshalb brauchen wir eine Gesprächsatmosphäre. Probleme müssen durch ein Miteinander-Reden gelöst werden."