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Zeichnen wie ein Uhrwerk

Obwohl ihm die Comicfiguren "Tim und Struppi" ein Millionenpublikum bescherten und die Geschichten in 70 Sprachen übersetzt wurden, blieb ihr Schöpfer Hergé zeitlebens bescheiden. "Für sich selbst" zeichne er "aus Spaß an der Freude". Doch das 1950 gegründete Studio Hergé entwickelte sich zu einem florierenden Betrieb für die Comicproduktion. Jedes Bild wurde genauestens berechnet.

Von Sven-Claude Bettinger | 03.03.2008
    Als Hergé am 3. März 1983 im Alter von 75 Jahren starb, arbeitete er intensiv an einem neuen Buch über Künstler und Sammler, "Tim und die Alpha-Kunst". Zeichnen, so sagte er kurz vor seinem Tod, war sein Leben:

    "Bereits als Schüler, mit 7 oder 8 Jahren, dachte ich mir Geschichten aus, für mich selber. Ich illustrierte sie in meinen Schulheften. Also von Anfang an zeichnete ich gerne, erfand ich gerne Geschichten.""

    Bereits der Gymnasiast Georges Rémi, der aus den Initialen den Künstlernamen Hergé machte, veröffentlichte kurze Geschichten, in der Monatszeitschrift der belgischen Pfadfinder. Nach dem Abitur bekam er eine Stelle in der Verwaltung der katholischen Brüsseler Zeitung "Le XXe Siècle". Drei Jahre später, 1928, wurde Hergé Chefredakteur einer neuen Beilage für Jugendliche, "Le Petit XXe Siècle".

    Bald darauf erfand er den jungen rasenden Reporter Tintin – auf Deutsch Tim – und dessen unzertrennlichen Begleiter, den Foxterrier Milou oder Struppi. Ihr erstes Abenteuer, 1930: Eine Reise ins "Land der Sowjets". Ein Jahr später ist der Kongo, damals noch belgische Kolonie, ihr Ziel. Danach geht es nach Amerika, Ägypten oder China. Diese Bücher aus der Vorkriegszeit gelten heutzutage oft als konservativ, rassistisch oder kolonialistisch. Hergé säuberte die Bücher später, obwohl er der Meinung war:

    "Sie stammen aus jener Zeit und spiegeln den Zeitgeist wider. Grundsätzlich stört mich das nicht."

    Von Anfang an besticht an den ursprünglich schwarz-weißen Comics der sparsame, präzise Strich, der als "ligne claire" berühmt wird. Die ersten Zeichnungen verzichten auf überflüssige Details. Doch bald werden sie komplexer, stellt die Verwendung von Farben, die Atmosphäre schaffen, eine neue Herausforderung dar.

    Hergé recherchiert seine Geschichten jetzt peinlich genau und stellt Mitarbeiter ein, die realistische Dekors entwerfen und effektvoll kolorieren. 1950 gründet er das "Studio Hergé", einen regelrechten Betrieb zur Comicproduktion. Er arbeite wie in Uhrmacher, gestand er, jedes Bild sei genauestens berechnet:

    "C’est un travail d’horlogerie, ça, dessin par dessin, il faut que tout soit calculé."

    Dadurch sind die Geschichten immer noch vorbildlich, sagt einer der heutigen Star-Autoren, der Belgier Philippe Geluck:

    "Hergé ist der absolute Meister, zumindest in meinen Augen. Alles ist glasklar. Jeder Bildkasten ist regelrecht ein mustergültiger Katalog. Wenn ich ein Telefon oder einen Bus zeichnen muss, und mir das nicht so recht gelingt, dann schaue ich mir kein Foto an, sondern schlage ein Buch von Hergé auf. Hergé hat so gezeichnet, als müsse er Schülern alles erklären."

    Tim und Struppi und die anderen wiederkehrenden Figuren wie Käpt’n Haddock reisen durch die Welt. Zweimal, 1953 und 1954, lockt sie sogar der Mond. Dennoch bleiben sie, so unterstreicht der französische Hergé-Biograf Benoît Peeters, auch waschechte Belgier:

    "Hergé stammte aus einer durch und durch Brüsseler Familie. Er ließ ganz subtil Elemente dieser Kultur in Tims Sprache einfließen. Die Belgier merken das sofort. Für Leser in anderen Ländern handelt es sich um eine imaginäre Sprache. Auf diese Weise wird Belgien zu einem Land, das nirgendwo liegt – und Tim sehr international."

    So wird in "Ottokars Szepter" die Phantasiesprache Syldavisch gesprochen. Aber ein Satz wie "Eih bennek, eih blavek" ist eine Redewendung aus dem flämischen Dialekt: "Hier stehe ich und hier bleibe ich."

    Durch und durch belgisch sind die Quick-und-Flupke-Comics mit zwei Brüsseler Lausbuben, die liebend gerne braven Bürgern ein Schnippchen schlagen und trottelige Polizisten ärgern. Vierzig Jahre lang erfand Hergé immer neue Gags. Diesen unermüdlichen Schaffensdrang, mit dem er Millionen verdiente, kommentierte er ganz bescheiden:

    "Manchmal stellt man mir die Frage: Für wen zeichnen Sie? Dann antworte ich: Ich zeichne für mich, ehrlich, ich zeichne, um mich zu vergnügen, aus Spaß an der Freude."

    Die Tim-und-Struppi-Filme kamen beim Publikum nie so recht an. Aber Hergés Comics begeistern noch immer junge und erwachsene Leser.