Dienstag, 19. März 2024

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Zeit-Künstler Klaus Rinke
Währenddessen live in Wuppertal

Bahnhofsuhren, Raketen- und Impulsantriebe, komplexe Bewässerungssysteme: Der Künstler Klaus Rinke gilt als Pionier prozessbasierter Kunst und bricht Zivilisationsstufen und lineares Zeitdenken herunter zu Skulpturen. Seine aktuelle Ausstellung "Zurzeit" in Wuppertal ist als Art Pic aus seiner Vita inszeniert.

Von Peter Backof | 27.03.2017
    Installation der Ausstellung "Derzeit" von Klaus Rinke im Skulpturenpark Wuppertal.
    Installation der Ausstellung "Derzeit" von Klaus Rinke im Skulpturenpark Wuppertal. (Deutschlandradio / Peter Backof)
    Klaus Rinke: "Also mein Urgroßvater, der war Zugführer vom Kaiserzug. Mit dem Säbel stand er vor dem Kaiser und hat dem erklärt, was auf der Strecke alles vorgefallen ist. Und dann war mein Großvater Eisenbahner, in Gelsenkirchen, und mein Vater war eben Eisenbahner."
    Und auch Klaus Rinke, Jahrgang 1938, steht – und bewegt sich weiterhin – in der mobilen Familientradition. Seit Jahrzehnten zwischen Ateliers in den USA und Europa pendelnd, ist er der Global Player im Stammbaum der Rinkes:
    "Na, wo ich immer staune: Dass - wie früher wir so eine Straßenbahn benutzt haben, um von Essen nach Wattenscheid zu fahren - ich so weltweit leben kann und diese ganzen Flieger so unheimlich pünktlich ankommen."
    Oder auch nicht. Dieser ärgerliche Moment: Wo hat man nur diese zehn Sekunden Lebenszeit liegen lassen und kam nicht pünktlich zum Zug?
    Bahnhofsuhren als Leitmotiv
    "Einstein hat das auch, der hat in Basel auf dem Bahnsteig gestanden, hat diese Bahnhofsuhren gesehen und die Züge, und dann ist ihm das gekommen: Dass alles relativ ist."
    Der Zeichner, Maler und Konzeptkünstler Klaus Rinke steht im Museum der bildenden Künste in Leipzig.
    Der Zeichner, Maler und Konzeptkünstler Klaus Rinke. (picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Bahnhofsuhren gehören zu Klaus Rinkes Leitmotiven. Im Skulpturenpark Waldfrieden steht eine, drei Meter hoch, in einer gläsernen Lounge und zeigt 'pünktlich' an: Gegen mich hast Du keine Chance!
    "Da geht dieser Zeiger: Bumm! Jede Sekunde ist eine richtige Bewegung, also nicht nur so ein Ticken. Meine Uhren haben keine Ziffern, nur Richtung und Bewegung: Und die geht von der Mitte aus. Das ist ja philosophisch ganz wichtig, der Außenraum ist die Zukunft."
    Alleen aus Bahnhofsuhren
    Was ist Zeit? Etwas, mit dem man nie fertig wird. Da bemühen sich also Künstler seit Zehntausenden von Jahren, der Zeit Herr zu werden, heute mit raffinierten multimedialen Mitteln - Langzeitbelichtungen, Wiederholungen des Immergleichen, globalen Online-Konferenz-Schaltungen über alle Zeitzonen hinweg- und können doch nur scheitern! Weil man nicht herauskommt, aus dem Geworfensein: Was ist Zeit?
    Tony Cragg: "Physikalisch eine Dauer, aber für Menschen, das ist ein psychologisches, erlebbares Ding."
    Mit dem Bildhauer und Waldfrieden-Betreiber Tony Cragg in dem hügeligen Park. Für ihn ein "Green Cube", Matrix für Kunst, gekrümmter Raum:
    "Wir sind dreidimensionale Volumen, aber die brauchen die vierte Dimension, die Dauer. Vor allem am Anfang des 20. Jahrhunderts war das ein Riesenschritt in unserem Verständnis von Zeit als Dimension."
    Kunst über Zeit wirkt dennoch immer auch einfach gefällig, lässt sich zum Beispiel als Pressefoto zur Zeitumstellung oder als Uhren-Werbung hernehmen. Klaus Rinke ist Pionier in der Richtung, arbeitet sich seit den 1960ern an Zeit ab, hat zum Beispiel in den 80ern, als der Begriff vom Ende der Geschichte und der Postmoderne aufkam, erste Retro-Kunst installiert: "Zeitfelder - ganze Alleen aus Bahnhofsuhren. Darin laufend hat man das Gefühl, als würde man in ein Gravitationsfeld geraten, wie Michael Jackson im Moonwalk rückwärts laufen, von einem schwarzen Loch verschluckt werden.
    Zeitlose Werke
    Ohne Zeit ist alles nichts! Eine weitere Installation aus Dutzenden von Wasserkübeln, Wannen, Eimern mit einem Gestrüpp aus Schläuchen in einer zweiten Lounge: Als Welterklärungsmodell. Aber es gibt ihn vielleicht gar nicht, diesen "Puls der Zeit"? Sondern viele? Sieben Milliarden Einzel-Zeiten, die sich hier und da vernetzen, zu Gruppen? Damit könnte man zumindest gesellschaftliche Verschiebungen im Informationszeitalter erklären:
    "Das habe ich oft in der Akademie meinen Studenten früher gesagt: Man muss neu denken, dann kommt auch neue Kunst heraus. - 'Ja, ist doch schon alles gemacht!' - Nein, noch gar nichts ist gemacht, du musst nur neu denken."
    Dennoch. Keine Chance – derzeit. Das, was so fasziniert, diese Gedankenspiele, würden als handfeste Beschäftigung mit der Zeit ein echtes schwarzes Loch generieren. Faktisch das Ende von allem bedeuten, auch wenn es nur als Kunstwerk gemeint werden würde. Nur das kann Kunst also: Im besten Fall – und das ist Klaus Rinke manchmal gelungen – Werke schaffen, die als zeitlos gelten.