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Zeit nach Corona
Epochenwechsel oder Back to normal?

Wie wird die Corona-Pandemie die Welt verändern: Zum Guten? Zum Schlechten? Oder überhaupt nicht? Philosophen, Politiker, Historiker und Prominente stellen sich dieser Frage und finden widersprüchliche Antworten.

Von Eberhard Spreng | 14.11.2020
Das Bild zeigt den US-Schauspieler Robert De Niro. Während der Verleihung der 72. Tony Awards in der Radio City Music Hallin New York beleidigt er US-Präsident Trump.
Robert de Niro und andere Prominente fordern: "No To A Return To Normal!". (Invision/AP/ dpa-Bildfunk/ Michael Zorn )
"Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen." Das unter anderem dem dänischen Physiker Niels Bohr zugeschriebene Bonmot passt recht gut zu der seit Wochen in verschiedenen Medien geführten Debatte um die möglichen historischen Konsequenzen aus der Corona-Krise. Dabei fußt der von vielen gefühlte Epochenwechsel mit dem Schlagwort der "Neuen Normalität" und dem erwarteten Ende der alten Verhältnisse nicht unbedingt auf soliden Beobachtungen, wie der Präsident des amerikanischen Council on Foreign Relations, Richard Haass, betont.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Interessanterweise ist Corona kein Motor der Veränderung. Die Welt wird nach Covid ziemlich so aussehen wie vorher, bis auf ein paar wenige Ausnahmen. Wir wussten, dass unser globales Gesundheitssystem für so eine Herausforderung nicht gerüstet ist. Auch der Klimawandel war bereits als das größte internationale Problem in den Fokus gerückt. Und wird es bleiben. Das Internet ist genauso unreguliert wie zuvor. Das Verhältnis zwischen China und den USA verschlechterte sich, noch bevor irgendjemand etwas von Covid-19 hörte und es wird weiterhin schlechter, und so weiter und so fort."
Widersprüchliche Zukunftsszenarien
Eine krasse Gegenposition zu der des amerikanischen Diplomaten kommt von dem deutschen Philosophen Markus Gabriel.
"Alle wollen einfach zurück zur Normalität, nur um dann festzustellen: Da ist keine. Da ist einfach zu viel schon verändert. Die Ordnung vor Corona war einfach nichts, wonach wie uns zurücksehnen sollten, sondern wir müssen nach vorne denken. Wir leben längst in einer ganz neuen Phase der Menschheit und müssen jetzt lernen, in sie auch vorauszudenken." Das sagte Markus Gabriel schon während des ersten Lockdowns in einer Serie des Norddeutschen Rundfunks. Wer hat nun recht? Der erfahrene Berater diverser amerikanischen Regierungen oder der einst jüngste deutsche Professor für Philosophie. Beide natürlich.
Nüchterner Realismus statt unrealistische Hoffnungen
Um die ganze widersprüchliche Bandbreite der gegenwärtigen Zukunftserwartungen zu erklären, greift der frankokanadische Historiker Carl Bouchard auf den Begriff des "Biais de Confirmation", den Bestätigungsfehler zurück: Die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen oder Denkrichtungen sehen in der Krise vor allem das bestätigt, was sie vorher schon glaubten. Nationalisten fühlen sich auch in der Pandemie vom Ausland bedroht und fordern die Schließung der Grenzen. Ökologisch Orientierte sehen das falsche Verhältnis von Mensch und Umwelt bestätigt, für Kapitalismuskritiker ist Covid-19 der Beweis für eine falsche Globalisierung.
Es darf kein "Zurück geben in die Normalität" forderten vor Monaten Künstler wie Robert de Niro, Madonna oder Cate Blanchett. Der nüchterne Blick auf die historische Bedeutung dieser Krise ist verstellt von Hoffnungen auf Veränderung.
"Zukunft ist immer eine Narration, ist immer ein Bild, eine Komplexitätsreduktion", sagte der Zukunftsforscher Matthias Horx jüngst auf der phil.cologne und erklärt seine Idee der "Regnose", einer Prognose mit umgekehrter historischer Blickrichtung.
"Warum ist es sinnvoll, sich mental in die Zukunft zu versetzen und zurückzuschauen auf heute: Weil man sich dann beim Beobachten selbst beobachtet. Man versteht, wie man Wirklichkeiten konstruiert, wenn man das als ernsthafte Übung macht. Man versteht auch, dass der Schmerz oder das Schreckliche irgendwann vorbeigeht. Ich glaube, dass diese Krise unsere Auseinadersetzung mit Global Warming befördert, verbessert, dass es eine Vorübung ist für diese große kommende Krise".
Ein Blick in die Vergangenheit lohnt
Wahrscheinlich wird man beim fiktiven Zurückblicken aus der Zukunft in die Gegenwart Anzeichen dafür erkennen, dass Covid-19 ein Beschleuniger für schon laufende Veränderungen war, als singuläres historisches Ereignis aber nichts Neues hervorgebracht hat. Es bleibt eben immer alles anders.
Für den bulgarischen Politologen Ivan Krastev ist der Rückblick auf die Spanische Grippe von vor einhundert Jahren erhellend. Ihr fielen schätzungsweise dreimal mehr Menschen zum Opfer als dem Ersten Weltkrieg. Ein Gamechanger war sie aber in der gesellschaftlichen Erinnerungen trotzdem nicht. Und hatte die Angst vor Ansteckung die Menschen voneinander entfernt? Keine Spur! Es begannen die Roaring Twenties mit knallvollen Theatern, irren Tanz-Events und überfüllten Vergnügungstempeln.