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Zeitgenössische Kunst
"Wir müssen die Welt als Ganzes im Auge haben"

Bei der Präsenz zeitgenössischer Positionen interessierten heute interkulturelle Dinge, sagte Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie und Chef des Hamburger Bahnhofs, im Deutschlandfunk. Dies werde auch am Humboldt-Forum eine große Rolle spielen.

Udo Kittelmann im Gespräch mit Karin Fischer | 20.08.2015
    Udo Kittelmann, Direktor der Berliner Nationalgalerie, posiert am 06.02.2014 in Berlin. Foto: Jörg Carstensen/dpa
    Udo Kittelmann, Direktor der Berliner Nationalgalerie (picture-alliance/ dpa/ Jörg Carstensen)
    Karin Fischer: Die Neue Nationalgalerie, der Ort für die Kunst der Moderne in Berlin, ist geschlossen für mindestens drei Jahre. Die Kunst selbst ist trotzdem zu sehen: Gerade eben in der viel besuchten Ausstellung „ImEx" in der Alten Nationalgalerie und demnächst wird für die Werke aus der Nationalgalerie auch eine Etage im Hamburger Bahnhof eingerichtet. Die klassische Moderne wird also mobil und das bietet uns die Gelegenheit, in unserer Reihe zum Humboldt-Forum noch einmal das Gesamt-Ensemble in den Blick zu nehmen und die Rolle der zeitgenössischen Kunst darin. Mit dem Direktor der Nationalgalerie und Chef des Hamburger Bahnhofs, Udo Kittelmann, habe ich darüber gesprochen. Herr Kittelmann, wie gut oder schlecht sehen Sie im Zusammenhang mit der Museumsinsel die moderne und auch zeitgenössische Kunst in Berlin positioniert und präsentiert?
    Udo Kittelmann: Ich sehe sie überhaupt nicht schlecht positioniert. Ich glaube, dass die zeitgenössische Kunst, wobei natürlich auch wichtig mal zu fragen wäre, welche Zeit umfasst eigentlich der Begriff zeitgenössische Kunst, gerade über die letzten, ich würde sagen, schon anderthalb Jahrzehnte mindestens einen entscheidenden Beitrag auch an anderen Institutionen außerhalb der Häuser der Nationalgalerie, wozu der Hamburger Bahnhof gehört, die Neue Nationalgalerie, die Alte Nationalgalerie, durchaus Antworten gegeben hat oder auf der Suche nach Antworten war. Ich denke, da sind alle Institutionen in Berlin auf einem guten Weg, auch dieser Idee des Humboldt-Forums einen Ausblick zu geben.
    Fischer: Welcher Ausblick sollte das Ihrer Meinung nach sein?
    Kittelmann: Ich versuche, jetzt mal kurz mich zu erinnern an einige Ausstellungen, die die Nationalgalerie über die letzten Jahre verantwortet hat und die ich durchaus immer so verstanden habe, dass sie der Versuch sind, dieses Spektrum, was das Humboldt-Forum einmal zeigen soll, auch kreativ anzudenken. Und ich erinnere mich noch an die große Ausstellung 2010 mit dem Titel "Who knows tomorrow", wo wir fünf Künstler eingeladen haben, an mehreren Gebäuden, repräsentativen Gebäuden der Nationalgalerie Beiträge zu leisten, die durchaus reflektierten, dass es ja immer auch ein Dialog ist. Sprich: Es sind interkulturelle Dinge, die uns heute interessieren, und ich denke, das wird, wenn wir über die mögliche Präsenz von zeitgenössischen Positionen sprechen, am Humboldt-Forum die große Rolle spielen, dass natürlich eine heutige Künstlergeneration das Ganze der Welt in Sicht hat und nicht nur retrospektiv oder historisch agiert.
    Fischer: Das Ganze der Welt soll natürlich jetzt auch auf der Museumsinsel inklusive Humboldt-Forum präsentiert werden. Um den Schlossneubau ist lange gestritten worden. Aber auch die Entscheidung, dort die außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem zu zeigen, war anfangs, glaube ich, nicht so unumstritten. Hat es die Idee, moderne Kunst im Schloss zu zeigen, gegeben und wie wurde diese Debatte geführt?
    Kittelmann: Es gab über die letzten Jahre dieses sogenannte Humboldt-Lab, was schon versucht hat, mit zeitgenössischen künstlerischen Positionen einen Weg anzudenken. Ich persönlich bin weit davon entfernt zu glauben, dass jetzt zeitgenössische Kunst ganz allgemein immer auf Fragen eine Antwort finden wird, die es immer noch geben wird. Das liegt daran, dass man vielleicht auch die Rolle der zeitgenössischen Kunst in diesem Kontext leicht überschätzt. Die Kunst kann nicht alles leisten. Das hat sie nie leisten können. Und nur in ihren prägnantesten, in ihren besten Formulierungen wird es ihr gelingen, in diesen Kontexten, die sich im Humboldt-Forum an Artefakten zeigen werden, dort eine hoffentlich intelligente Dialogsituation zu schaffen. Das kann ich mir schon vorstellen und das ist sicherlich häufiger temporären Charakters als dann permanenten Charakters, was die zeitgenössische Kunst anbelangt, denn das ist ihre Stärke. Sie kann natürlich viel, viel intensiver auf einen Moment und auf etwas Gezeigtes sofort agieren.
    Fischer: Sie haben das Humboldt-Lab erwähnt, Herr Kittelmann, diese Experimentiereinrichtung des künftigen Humboldt-Forums. Wir hören von dort von einem zeitgenössischen chinesischen Künstler, der einen alten Kaiserthron mit Wachs übergießen wollte. Wir kennen die Aktionen von Ai Weiwei mit alten Vasen. Wie beurteilen Sie solche Überschreibungen und die Experimente des Humboldt-Labs in Sachen zeitgenössischer Kunst?
    Kittelmann: Alle diese Projekte haben schon davon gehandelt, dass es einen interkulturellen Dialog in jedem Fall heute ganz aktuell gegenwärtig gibt. Aber es war immer auch der Verweis darauf, dass es diesen interkulturellen Dialog spätestens schon seit dem 19. Jahrhundert gegeben hat. Es ist ja nicht so, dass diese globale Idee, die wir heute haben, sich natürlich noch einmal heute ganz anders fokussiert, aber ihren Ursprung hat sie ja bereits im ausgehenden 18., aber dann sicherlich sehr prägnant schon im 19. Jahrhundert, und heute sehen wir die Folgen dieser Globalisierung. Und das ist es, was ich meine. Wir müssen oder auch das Humboldt-Forum wird, wenn es eine Institution von heute sein will, also voll in der Gegenwart, und mit einer Perspektive in die Zukunft dastehen will, diese Welt als Ganzes im Auge haben.
    Fischer: Auf das, was Sie gerade genannt haben, Udo Kittelmann, wollte ich zu sprechen kommen. Sie haben in der Alten Nationalgalerie ethnografische Zeichnungen aus Neuseeland mit großem Erfolg gezeigt. Das heißt, es gibt tatsächlich ein Interesse heute an diesen frühen oder vergangenen Kulturen, und natürlich gibt es auch einen ganz deutlichen Konnex, das haben Sie gerade beschrieben, der außereuropäischen Kunst mit der klassischen Moderne, weil deren Protagonisten wie zum Beispiel Picasso das alles sehr intensiv damals wahrgenommen haben.
    Kittelmann: Lassen Sie mich ein klein bisschen korrigieren.
    Fischer: Gerne!
    Kittelmann: Es war Gottfried Lindauer, ein europäischer Maler, der 1876 nach Neuseeland gegangen ist und dann dort die Maori porträtiert hat, ganz klassisch, so wie man sich das in Europa damals vorstellte, in Öl gemalt und sehr realistisch. Das Interessante ist, dass diese Bilder des 19. Jahrhunderts für die Maori heute noch eine ganz, ganz gegenwärtige Bedeutung haben. Sie sind Teil ihres Lebens und der Erinnerung an ihre vergangenen Generationen ihrer Vorfamilien.
    Fischer: Das heißt, es sind europäische Gemälde, die aber aufgeladen sind für die Maori mit Bedeutungen?
    Kittelmann: Ja. Das hat sich anhand dieser Bilder von Gottfried Lindauer genau so ereignet. Das ist sicherlich ein Beispiel, wo es nicht weitere Beispiele gibt. Das ist eine große Ausnahme. Aber es zeigt, dass es auch eine Attraktion gab zwischen den verschiedenen Kulturen, sprich in diesem Falle der Maori-Kultur und der abendländischen Kultur, und das ist etwas, was sich durchaus auch über die letzten anderthalb Jahrhunderte, durchaus in ganz vielen Fassetten zeigt.
    Fischer: Vielleicht bleiben wir noch ein bisschen bei diesem Zusammenhang und Sie erklären an einem Beispiel, welche Übertragungswege die außereuropäische Kunst genommen hat, wie sie die klassische Moderne beeinflusst hat und wie sie sozusagen von den Künstlern aus Europa amalgamiert wurde.
    Kittelmann: Ich glaube, man muss ganz deutlich sagen, wenn wir über die Begrifflichkeiten von Kunst reden: Was wir in Dahlem in diesen Sammlungen finden, ist ja nicht im herkömmlichen oder in unserem Verständnis Kunst, sondern es sind vor allen Dingen Artefakte, die nicht nur einen ästhetischen Wert hatten, sondern vor allen Dingen auch einen rituellen Wert. Und aus dieser unterschiedlichen Perspektive auch dieser verschiedenen Kulturen gab es natürlich auch dieses attraktive Verhältnis, was zueinander entstanden ist. Sie haben ja zurecht gerade Picasso erwähnt und Picasso greift die afrikanische Skulptur auf und bearbeitet sie malerisch für seine Bilder. Aber er hat zunächst nur ein formales Interesse daran. Er hat noch kein Interesse daran, diesen Riten, die mit diesen Skulpturen, Objekten, Plastiken verbunden waren, nachzuspüren. Das ist etwas, was sich natürlich heute ganz aktuell wieder ganz anders darstellt. Ein Humboldt-Forum wird sicherlich darauf eingehen müssen, und nicht nur die ästhetische Erscheinung. Natürlich ist eine buddhistische Figur von einer ungeheuren anschaulichen Attraktivität, aber sie ist eingebunden in ein Lebensritual, in einen Glauben hinein, in etwas Spirituelles, und das ist ja etwas, was der Kunst, der abendländischen Kunst, gerade der zeitgenössischen, nicht so eingebunden ist wie in diesen Artefakten, die sich in Dahlem befinden. Da erkennt man, glaube ich, auch schon diese Problemstellung, diese Schwierigkeit, die damit verbunden ist, das heute alles gegenwärtig zu machen. Das ist ein sehr ehrgeiziges Unternehmen und das Humboldt-Forum hat die große Chance, was die große Herausforderung auch ist, sich genau diesen Fragen zu stellen. Und in meinem Verständnis ist es sehr natürlich, dass damit auch immer Konflikte verbunden sind in einer Findung zu Antworten. Es ist kein Prozess, der in diesem Moment meinem Verständnis nach mit der Eröffnung des Humboldt-Forums schon abgeschlossen sein wird, sondern es soll eine lebendige Institution sein, die sich diesen Fragen dann auch vehement stellt.
    Fischer: Udo Kittelmann war das im Gespräch über die Herausforderungen, die ethnologische Objekte an die moderne oder zeitgenössische Kunst stellen, in unserer Reihe zum Humboldt-Forum.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.