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Zeitreise am Chattahoochee River

Die Vorfahren der Amischen stammen aus Süddeutschland, der Schweiz und dem Elsass. Sie sind im 18. Jahrhundert in die USA ausgewandert. In den Great Smoky Mountains, am Ufer des Chattahoochee River, besucht Rudi Schneider eine Amish-Farm.

Von Rudi Schneider | 23.10.2011
    Es sollte eigentlich eine lockere Wanderung am frühen Morgen in den Foothills der Smoky Mountains werden. Besonders morgens ziehen malerische Nebenschwaden aus den Tälern und Wäldern gen Himmel, die die ersten Sonnenstrahlen spielerisch verdampfen. Die immer wieder wechselnden Bilder der "rauchenden Berge" sind einfach unvergleichlich. Aber manchmal kommt es anders, als man plant. Unser Weg führt uns zunächst an einer Farm vorbei, die irgendwie nicht den Eindruck einer modernen Farm mit neuestem Maschinenpark macht. Ein eher unerwartetes Geräusch hinter uns erregt unsere Aufmerksamkeit.

    Wir drehen uns um, und schauen in die brauen Augen eines kräftigen Rappens, der eine Kutsche mit einer freundlich lächelnden Dame an den Zügeln und einem jungen Herrn auf dem Rücksitz zieht. Frances Moore und Seth Hancock, so stellen sich beide vor und laden uns spontan ein, ihre ungewöhnliche Farm kennenzulernen.

    "Kommen Sie und begleiten uns. Wir unternehmen eine Farm-Rundfahrt in diesem Buggy. Unser Pferd heißt Diamond und er ist ein Tennessee-Walker."'

    Ein Buggy... So nennen die Amischen ihre Pferdekutschen. Seth bestätigt unsere Vermutung und erzählt, dass er aus einer Amischen Gemeinde stammt, aber heute eine liberale Form ihres Glaubens lebt. Die Vorfahren der Amischen stammen aus Süddeutschland, der Schweiz und dem Elsass. Sie sind im 18. Jahrhundert nach Pennsylvania ausgewandert, von wo aus sie sich mittlerweile über viele Staaten der USA verstreut haben. Den Amischen sagt man nach, dass sie moderne Technik nur nach sorgfältiger Überlegung nutzen und in geschlossenen Gemeinden leben. Wir nehmen die nette Einladung gerne an, steigen kurzerhand in den Buggy und Frances gibt Diamond das Startsignal.

    "Wir zeigen Ihnen eine Reihe von Tätigkeiten, wie sie zu einer Zeit getan wurden, als das Land hier kultiviert wurde, das Aufziehen von Schafen, Schweinen und Hühnern. Damals gab es noch keine Tankstellen. Herzlich willkommen."

    Unsere Fahrt im Buggy führt über einen Feldweg, der sich durch das Farmgelände schlängelt. Den Feldern sieht man an, dass sie hand- und nicht maschinenbearbeitet sind. Über das hügelige Gelände sind hier und da unterschiedliche Farmgebäude verstreut, die uns Seth erklärt.

    "Das ist eine Scheune, die von unserer Gemeinde gebaut wurde. Es ist die erste Scheune seit hundert Jahren. Um die fünfhundert Leute kamen, um zu helfen. Diese Farm soll eine Lehr-Farm sein, in der wir unseren Besuchern zeigen, was nachhaltig erneuerbare Landwirtschaft ist. Wir wollen das Land und die Natur nicht ausbeuten, sondern in einem ausgewogenen Verhältnis mit beiden zusammenarbeiten. Wir nutzen ganz bewusst unsere Pferde als natürliche Arbeitskraft. 75 Prozent unserer Maschinen werden von Pferden betrieben. Das funktioniert sehr gut."


    Der Weg führt bergan und Diamond stemmt sich kraftvoll ins Geschirr. Es ist einfach eine "Ein-PS" Fahrt und wir fühlen, wie Diamond sich anstrengt, um den Buggy in Bewegung zu halten. Solche Farmen, so lernen wir, sind familienorientiert, was ihre Größe und die Menge und Art der Produkte betrifft.

    "Als diese Gegend besiedelt wurde, konnte man von etwa sechseinhalb Hektar Land ungefähr acht Kinder sowie deren Eltern und Großeltern ernähren. Das waren damals Großfamilien, die nicht so zerteilt wie heute lebten. In einem guten Jahr reichte der Ertrag für diese große Familie zum Leben. In einem schlechten Jahr musste man das durch die Jagd ausgleichen."

    Frances zeigt mit einer ausladenden Armbewegung auf das Land um uns herum und ergänzt: "Das reicht für uns alle hier im Tal", und mir kommen die unendlich großen Weizenfelder in den Sinn, die ich im Mittleren Westen gesehen habe, wo zwölf Mähdrescher nebeneinander Felder abernten, die keine Grenze zu haben scheinen, Weizen, so weit das Auge reicht. Hinter der Scheune wirft Diamond seinen Kopf nach links, als wolle er uns seine Freunde vorstellen, die dort auf einer saftigen Wiese grasen.

    "Das sind unsere zwei wichtigsten Arbeitspferde Bill und Bob. Die erledigen den größten Teil der Arbeit auf der Farm. Wir füttern sie gut und sie geben uns viel zurück. Hinter uns sind unsere Schafe. Das ist eine Rasse, die nicht so viel Wolle hat. Wir verkaufen das Lammfleisch, das wegen der reinen Grasfütterung einen besonders feinen Geschmack hat."

    Wir haben den Buggy verlassen und schlendern mit Seth über die Wiese, lernen nebenbei eine ganze Reihe interessanter wilder Kräuter und deren Wirkung kennen, um dann bei einer fröhlich gackernden Federvieh-Gesellschaft zu landen.

    "Das sind unsere Hennen. Sie legen braune Eier. Durch ihre natürliche und stressfreie Lebensweise haben ihre Eier einen besonders guten Geschmack. Das sind glückliche Hühner. Wir möchten, dass sich unsere Tiere hier wohl fühlen."

    Die Tiere auf dieser Farm, so gewinnen wir mehr und mehr den Eindruck, fühlen sich wie die Mitglieder einer großen Familie, in der jeder seinen Platz und seinen Raum hat. Wir verabschieden uns vom glücklichen Federvieh und wandern noch ein wenig an einem kleinen Rübenacker vorbei, zurück zum Buggy.

    "Wir verkaufen Eier auf Vertrauensbasis. Die Leute kommen her, nehmen sich ein Duzend und werfen das Geld in die Box. Wir haben 200 freilaufende Hennen. Wir versetzen das Hühnerhaus jede Woche mit dem Traktor auf einen anderen Platz, wo sie frisches Futter auf der Wiese finden. Ganz nebenbei sorgen unsere Hühner dann auch für eine natürliche Stickstoffdüngung."

    Damit war dann auch meine Frage beantwortet, für welche Arbeiten denn der Traktor eingesetzt würde. Das Hühnerhaus ist offensichtlich so groß und schwer, dass der Traktor für diesen Fall die Lösung ist.

    "Das wichtigste Prinzip ist: Eine Farm ist ein Kreislauf. Alles rotiert und braucht auch wieder Ruhezeiten. Selbst der Boden braucht seine Ruhezeit. Wenn man den Kreislauf so aufrechterhält, gibt uns das Land vielfältig Gutes zurück."

    Diese Prinzipien, so erfahren wir von Seth und Frances, sind die Kernbotschaft, die sie ihren Besuchern auf dieser Farm vermitteln wollen.

    "Die Leute informieren sich besser. Deshalb kommen so viele unsere Eier kaufen. Manchen wussten nicht einmal, wo die Milch herkommt oder das Fleisch. Die Leute sind wegen der ganzen Additive, die in der Aufzucht verwendet werden, verunsichert. Wir achten darauf, dass die Tiere und das Land in natürlichem Maß von einander profitieren. Wie Seth gesagt hat, es ist ein Kreislauf. Leider wurde dieser Kreislauf zu oft durchbrochen und nun zahlen wir dafür."

    Ein wichtiger Bestandteil im Kreislauf des Lebens, so habe ich das in der Schule gelernt, ist Wasser, und das fließt mäandernd reichlich durch das Gelände der Farm.

    "Das ist der Chattahoochee River, aus dem wir unser Land bewässern, wenn es trocken ist."

    "Die Quelle ist nur einige Meilen entfernt und sie ist sehr ergiebig."

    Der Chattahoochee River spielt eine wichtige Rolle in Georgia, deshalb wird er auch vielfältig in flotten Liedern besungen. Er ist immerhin auch die Hauptwasserressource für die Millionenstadt Atlanta, um dann weiter entlang der Westgrenze bis in den Golf von Mexiko zu fließen. In dieser Gegend, unweit der Quelle des Chattahoochee, gibt es viele auch geschichtlich interessante Orte zu sehen, erzählt uns Seth.

    "Wir veranstalten auch Fahrten mit der Kutsche. Wir nennen sie den 'Lynch-Mountain-Express'. Während der Fahrt erzählen wir von der Geschichte dieser Gegend, zeigen historische Häuser, die während des Bürgerkriegs gebaut wurden, und besuchen den wildromantischen 'Sautee Creek'. Die etwa einstündige Tour ist eine gemütliche Kutschfahrt in einer malerischen Landschaft."

    Am Sautee Creek finden die Besucher den schon fast legendären Old Sautee Store, der 1872 eröffnet wurde und als Tradingpost am Unicoi Trail fungierte. Galen Greene, der den Store heute betreibt, hat sogar noch das über 100 Jahre alte Nickelodeon wieder repariert. Den früher mit Fußpedalen betriebenen Musikautomat hat er kurzerhand mit einem Staubsaugermotor verbunden, und das hört sich dann so an.

    Wer sich für Indianerstämme interessiert, befindet sich rund um den Sautee Store an einem Ort, der viel aus der Geschichte der Cherokees und Chichasaw zu erzählen hat. Sautee war der Sohn des Häuptlings der Chickasaw, erzählt Seth. Wir klettern wieder in den Buggy. Frances zieht kurz am Zügel und Diamond setzt sich in Bewegung. Es geht wieder nach Hause. Beim Einbiegen auf das Farmgelände passieren wir eine besondere Hütte der Amishen Farm.

    "Diese Hütte wurde 1785 gebaut. Wir haben sie aus Louisville, Kentucky hier her transportiert und wieder zusammengesetzt. Im Sommer verkaufen wir unsere Produkte in dieser Hütte oder nutzen sie für Veranstaltungen. Wir laden vierzig bis fünfzig Gäste ein, damit sie erfahren können, wie frische Nahrungsmittel schmecken."

    "Der Staat Georgia wirbt zurzeit für eine Reform der Landwirtschaft. Es geht darum, die Produkte möglichst auch direkt auf der Farm zu verkaufen, anstatt sie in die Industrie zu geben. Das gilt besonders für Tierprodukte, Gemüse oder Früchte wie beispielsweise Beeren für Marmelade und Ähnliches. Ich finde es schön, dass unsere Regierung damit begonnen hat, dies zu unterstützen."

    Seth erzählt uns, dass er an der Universität von Georgia Landwirtschaft und Betriebswirtschaft studiert. Er hat einen Abschluss in "organischer Landwirtschaft" gemacht, bei der es sehr um nachhaltigen Landbau und das Minimieren unserer Eingriffe in die natürlichen Abläufe geht. Unsere kleine Rundfahrt im Buggy geht zu Ende. Frances spannt Diamond aus und er darf nun zu den beiden Eseln auf die Weide, die auch eine besondere Aufgabe auf der Farm haben.

    "Das ist unsere Haustier-Kontrolle. Unsere beiden Zwergesel passen nachts auf die Schafe auf und verjagen Kojoten und wilde Hunde. Sie machen einen wirklich phänomenalen Job."

    Alles in allem erleben wir diese Farm wie eine Art Familienbetrieb, in dem neben den Menschen auch die Tiere, die Pflanzen und das Land respektierte Mitglieder dieser Gemeinschaft sind. Alle haben ihre Aufgabe, aber auch ihren Lebensraum, ihr Zuhause. Nachdem wir uns von Seth und Frances verabschiedet haben, setzen wir unsere eigentlich geplante Wanderung im Chattahoochee Valley - mit unerwartet neu gewonnenen Eindrücken - fort.