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"Zeitschriften in die Schule"
Dem pubertären Leseknick entgegenwirken

Nach dem siebten Schuljahr sackt bei fast der Hälfte aller Schüler das Interesse am Lesen stark ab, hat die Stiftung Lesen ermittelt. Gegensteuern will man unter anderem mit einer Aktion, bei der die Schulen kostenlos Zeitschriften gestellt bekommen. Deutschlandweit sind 16.000 Klassen dabei. Ein Besuch in einer Koblenzer Schule.

Von Anke Petermann | 15.04.2016
    Schüler lernen in einem Klassenzimmer
    "Also, ich les' nicht so gerne." - Die Aktion "Zeitschriften in die Schule", will genau das ändern. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Für die "Albert Schweitzer Realschule plus" bestellt Bodo Salomon als Deutsch-Fachleiter die Zeitschriftenpakete Jahr für Jahr. 2016 ausnahmsweise auch für die neunte Klasse, in der er Deutsch unterrichtet. Ein Selbstläufer ist das Projekt nicht, denn die meisten 14- und 15-Jährigen sind skeptisch:
    "Also, ich interessier' mich nicht so für Zeitschriften, allgemein nicht. Also, ich les' nicht so gerne."
    "Lesen macht halt keinen Spaß irgendwie. Es ist halt leichter, wenn man was guckt oder so."
    "Ich interessier' mich nicht für Zeitschriften. Kein' Bock zu lesen."
    "Keinen Bock" zu lesen. Doch jetzt liegen "Kicker" und "Spiegel", "Freundin" und "Bravo" vor den Neuntklässlern. Aufgabe ist, Themengebiete zu identifizieren, Zielgruppen und Qualität. Das heißt, so erklärt Bodo Salomon dem 14-jährigen Toprak auf Nachfrage,
    "Wie gut das gemacht ist, wie gut das überhaupt funktioniert, und das ist eine Sache, die du jetzt einschätzen musst, okay? Das ist also eine persönliche Frage an dich."
    Und Anlass, über eigene Interessengebiete und Informationswege nachzudenken. Die Schüler blättern, tauschen sich aus und notieren, die Arbeitsatmosphäre wirkt konzentriert. Driton beschäftigt sich mit der Jugendzeitschrift "Bravo" und präsentiert später den Mitschülern seine Analyseergebnisse.
    "Das ist halt irgendwie spannender, als wenn man jetzt nur irgendwelche Aufgaben machen muss."
    "Mediennutzung, das Herangehen an bestimmte Medien, wie die aufgebaut sind, wie die wirken, das ist Lehrplan", konstatiert der Deutschlehrer.
    "Ich habe ganz verschiedene Textsorten, die ich behandeln kann, das ist alles super mit dem Lehrplan vereinbar."
    "… sind dann völlig erstaunt, dass da Artikel drin sind über Sachen, die sie eh schon interessiert haben"
    Doch selbst wenn die Stiftung Lesen gute Arbeitsblätter mitliefert, ist das projektorientierte Arbeiten mit den Zeitschriften aufwendiger, findet Bodo Salomon. Die Komfortzone erprobter Unterrichtseinheiten zu verlassen, erfordert mehr Vorbereitung und frisst im Unterricht mehr Zeit. Aber es lohnt sich, stellt der Pädagoge mit Blick auf seine Klasse fest. Soeben hat er einen Schwung neuer Zeitschriften ausgegeben, und die angeblich komplett uninteressierten Schüler fangen sofort an zu blättern und zu lesen:
    "Dann kommen solche Sachen wie 'guck mal da' und 'guck mal da', weil Zeitschriften an sich schon ein Medium sind, das anspricht."
    90 Prozent der Jugendlichen akzeptieren Salomons Angebot, Zeitschriften mit nach Hause zu nehmen.
    "Und wenn dann von denen wieder 50 Prozent die lesen – eine, die sie vorher nicht gelesen hätten, ist ja schon was erreicht. Es erstaunt immer wieder, dass selbst so interessierte, wissenschaftsinteressierte Schüler hier in der achten oder neunten Klasse zum ersten Mal so eine Zeitschrift wie die "Geo" überhaupt sehen. Die wussten gar nicht, dass es das gibt. Und sind dann völlig erstaunt, dass da Artikel drin sind über Sachen, die sie eh schon interessiert haben."
    Simone Ehmig, bei der Stiftung Lesen zuständig für die Begleitforschung, bestätigt das: "Zeitschriften in die Schule" weckte bei Schülern von 17 Klassen, die über drei Jahren hinweg an dem Projekt teilnahmen, Lesefreude, stärkte die Lesepraxis und damit die Kompetenz. Die Vergleichsstudie ermittelte zudem, "dass auch über den Zeitpunkt hinaus, zu dem sie dann in der Pubertät waren, der Rückgang von Lesemotivation, den wir immer erleben in der Pubertät, dass dieser Rückgang nicht so stark stattgefunden hat wie in Klassen, in denen wir keine Zeitschriften eingesetzt haben."
    "Zeitschriften in die Schule" - ein Projekt, das den pubertären Leseknick zumindest abmildern kann.
    "Die Zeitschriften bleiben nicht nur bei den Jugendlichen selbst, so wie sie das Schulbuch wieder in ihre Schultasche zurück stecken, sondern diese Zeitschriften werden in der Familie geteilt, sie werden von den Geschwistern in die Hand genommen, sie werden auch Gegenstand der Gespräche mit den Eltern, mit den Freunden. Die Zeitschriften selbst so wie auch ihre Themen werden Teil der Lebenswelten und damit auch des Austauschs mit anderen."
    Seit 2003 hat die Aktion fast fünf Millionen Kinder und Jugendliche erreicht.