Aus den Feuilletons

"Böhmermanns Schmähkritik war vor allem dumm"

Collage: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Moderator Jan Böhmermann
Collage: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Moderator Jan Böhmermann © picture alliance / dpa / Leonardo Munoz / Rolf Vennenbernd
Von Hans von Trotha · 04.04.2016
Auch mehrere Tage nach der Veröffentlichung sorgt Jan Böhmermanns Schmähkritik über Recep Tayyip Erdoğan für Aufregung. Selbst Kanzlerin Merkel hat sich inzwischen eingeschaltet. Und die Feuilletons? Sind sich einig. Fast.
"Diese Zeilen schreibe ich aus einem Land, dessen Regierung endgültig die demokratischen Prozesse ausgesetzt hat."
Keine Angst, das ist ein Zitat. Eines allerdings, das uns im weiteren Verlauf unangenehm nah rückt. Mit ihm beginnt ein Text in der SÜDDEUTSCHEN von Abdülhamit Bilici, der bis zum 4. März Chefredakteur der Zeitung "Zaman" war, bis zu jenem Tag, an dem die türkische Regierung die Zeitung mit Gewalt übernahm.
"Dass der deutsche Botschafter in Ankara sich rechtfertigen muss, weil der NDR ein satirisches Musikvideo über Erdoğan veröffentlicht hat, zeigt mal wieder, in welchen Kategorien dieser Staatschef denkt", schreibt Bilici. Und:
"Unsere europäischen Freunde machen derzeit leider keine gute Figur, wenn es darum geht, ihre eigenen Werte Recep Tayyip Erdoğan gegenüber zu verteidigen. Erdoğan hat es in der Flüchtlingskrise geschafft, sich Europas Schweigen zu erkaufen. Während der Niederschlagung der Gezi-Proteste vor drei Jahren bestand Bundeskanzlerin Angela Merkel noch zu Recht darauf, die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei zu bremsen. Nun schweigt Merkel, was sehr enttäuschend ist. Sie schweigt bereits seit einer Weile, und nicht zuletzt dieses Schweigen erlaubte Erdoğan, wenige Tage vor einem EU-Gipfel die Redaktion von Zaman stürmen zu lassen."

"Erdomann und Böhmerwahn"

Inzwischen hat Merkel ihr Schweigen gebrochen. Sie hat den türkischen Ministerpräsidenten angerufen und sich mit ihm geeinigt, dass das, was Jan Böhmermann in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" in Sachen Erdogan auf die NDR-Satire noch draufgesattelt hat, schon gar nicht geht. Das ZDF hat den Beitrag aus der Mediathek gelöscht.
Von "Erdomann und Böhmerwahn" spricht Juri Sternburg in der TAZ.
"Was sich an Europas Grenzen abspielt, ist natürlich nicht ganz so witzig wie die deutschen Lachshows. Aber wenigstens bleibt den zusammengepferchten Kriegsflüchtlingen an Bord der Auftritt von Ronja von Rönne im Anschluss an Böhmermanns pseudoironische und vor rassistischen Stereotypen strotzende Erdoğan-Kritik erspart."

"Vor allem aber war und ist es dumm"

In der FAZ liest sich das so:
"Das NDR-Magazin 'extra 3' sendet ein perfektes Spottlied, das die Machenschaften des türkischen Staatspräsidenten Erdogan karikiert? Da muss Böhmermann noch eins drauf setzen und ein mit 'Schmähkritik' betiteltes Gedicht vortragen, in dem Erdogan fernab dessen, was er wirklich verbricht, mit sexuellen Anzüglichkeiten beleidigt wird. Eingekleidet wird das in die Erklärung, dass so etwas auch in Deutschland nicht erlaubt ist. Vor allem aber war und ist es dumm, weil es dem türkischen Präsidenten bei seinem maßlosen Kampf gegen die freie Presse in die Hände spielt, weil es das ZDF herausforderte, den Beitrag aus dem Angebot zu nehmen und weil Bundeskanzlerin Angela Merkel daraufhin prompt beim türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu anrief."
Ob das alles so alternativlos war, wie Michael Hanfeld hier suggeriert, sei mal dahingestellt. Joachim Huber hat im TAGESSPIEGEL vorsichtshalber gleich gar keine Meinung, zitiert aber dafür umso mehr Meinungen anderer. Und er zitiert Böhmermann. Auch die Sache mit dem "Ziegenficker". Darf der das? Und dürfen wir? Zu spät.
Juri Sternberg schreibt:
"Das ist nicht lustig, sagen jetzt einige. Richtig. Man wird ja wohl noch einen Autokraten als Ziegenficker und Dönerfresser beschimpfen dürfen, sagen andere. Wieder richtig. Darf man. Denn 'dürfen' darf man alles. Die EU darf mit Beginn der Deportationen auch ihre eigenen Richtlinien missachten: etwa die Rechte zum Kindeswohl, von Kranken oder besonders Schutzbedürftigen. Europa hat sich längst selber abgeschafft."

"Europa ist eine Wertegemeinschaft"

Unwesentlich vorsichtiger drückt sich Abdülhamit Bilici aus:
"Europa ist für uns mehr als eine geografische Gegend, es ist eine Wertegemeinschaft. Der bewusste Verzicht auf einen Teil dieser Werte hat sich nun unmittelbar auf Zaman ausgewirkt."
Betreibt Erdogan womöglich die Auflösung der Werte der EU, damit das, was übrig bleibt, besser zu der Mitgliedschaft passt, die er sich dann erpresst? Oder wäre diese Sichtweise schon wieder Satire?
Vorsichtshalber sei zum Abschluss Bilicis entscheidender Satz noch einmal wiederholt:
"Unsere europäischen Freunde machen derzeit leider keine gute Figur, wenn es darum geht, ihre eigenen Werte Recep Tayyip Erdoğan gegenüber zu verteidigen."
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