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Zeitungskrise in Frankreich

Der Pressevertrieb ist eine Katastrophe, die Zeitungen in Frankreich sind so marode, dass sie nur mit Millionensubventionen vom Staat am Leben bleiben, die Gewerkschaften halten die Presse im Klammergriff. Irgendetwas muss geschehen. Schließlich sind in den letzten 60 Jahren 100 Blätter komplett vom französischen Markt verschwunden.

Von Siegfried Forster | 10.01.2009
    Eine unabhängige Presse, so Experten, gibt es bei unseren Nachbarn de facto nicht mehr. Das hat auch Präsident Sarkozy erkannt und vor drei Monaten die sogenannten Etats Généraux de la Presse, also Generalstände der Presse, einberufen. Gehofft hatte der umtriebige Präsident darauf, dass diese Gremien die Öffnung des Anti-Konzentrationsgesetzes empfehlen würden. Das würde die großen Konzerne seiner Freunde vielleicht noch größer machen. Aber der Präsident hat die Rechnung ohne Francois Dufour von der Arbeitsgruppe "Presse und Gesellschaft" gemacht:

    "Wir sind nicht einverstanden mit Präsident Sarkozy. Dieser denkt, dass eine größere Konzentration für stärkere Mediengruppen sorgt und stärkere Gruppen innovativer sind. Wir haben festgestellt, dass die wirklichen Innovationen im Bereich der Informationspresse in letzter Zeit vor allem von kleineren und mittleren Verlegern kamen, wie bei 'Marianne' oder 'Rue 89'. Wir schlagen deshalb Maßnahmen vor, die Verlagsgründungen erleichtern …"

    Unter anderem sollen Internet-Zeitungen künftig als solche anerkannt werden und damit staatliche Hilfen und Steuererleichterungen beantragen dürfen. Als dringendste Sofort-Maßnahme gegen die Pressekrise fordern die Generalstände eine Umverteilung der staatlichen Hilfen zugunsten innovativer Titel.

    Der Staat finanziert die Presse in Frankreich derzeit mit fast einer Milliarde Euro pro Jahr. Ohne Notmaßnahmen wird Frankreichs Presse die Wirtschaftskrise und den dramatischen Anzeigeneinbruch nicht überleben, betont Bernard Spitz, Kopräsident der Generalstände:

    "2009 ist das Jahr aller Gefahren für die Schriftpresse. Es macht keinen Sinn, von strukturellen Reformen zu reden, wenn man diese Realität vergisst. Folglich schlagen wir drei Notmaßnahmen vor: erstens ein einjähriges Moratorium, damit die Posttarife für Zeitungen nicht erhöht werden. Zweitens die Forderung, dass der Staat künftig seine stärker in Zeitungen und weniger im Fernsehen Werbungen schaltet. Und drittens eine Verringerung der Sozialabgaben für hauptberufliche Zeitungsverkäufer."

    Selbst Überlegungen, wie die 900 Millionen Euro Anzeigeneinnahmen von Google in Frankreich angezapft werden könnten, wurden angestrengt. Begründung: Google nutze ja auch Informationen französischer Zeitungen. Insgesamt 90 Punkte umfasst das "livre vert", das "Grünbuch" der Generalstände.

    Grundlegend reformiert werden soll unter anderem das Vertriebssystem - eine Kriegserklärung an die bislang monopolartig regierende Drucker- und Vertriebs-Gewerkschaft, die bereits Streiks gegen den "Staatsstreich der Generalstände" ankündigte. Immerhin die seit langem verfeindeten Vertreter der regionalen und nationalen Tagespresse wollen angesichts der bevorstehenden Krise ihre Vertriebsnetze fortan gemeinsam nutzen.

    Viele Journalistenverbände bezeichneten die Generalstände als "reine Schau" und boykottierten die Beratungen, bei denen sie zuvor vergeblich einen besseren juristischen Schutz für Journalisten und Redaktionen gefordert hatten. Die Generalstände einigten sich immerhin auf eine künftige Entlohnung bei der Zweitverwertung von Artikeln auf anderen Trägern, auf eine bessere und künftig verpflichtende Aus- und Weiterbildung von jungen Journalisten sowie auf einen Ehrenkodex, der Teil des Arbeitsvertrages sein soll. François Dufour:

    "Wir haben es in Frankreich mit einer Vertrauens-Krise gegenüber den Journalisten zu tun. Viele französische Journalisten betreiben schlechten Journalismus. Deshalb wollen wir Regeln für eine journalistische Berufs-Ethik einführen. Das ist wichtig."

    Wer sich von den Generalständen eine Forderung nach strikter Trennung von Medien und Politik erhofft hatte, dürfte enttäuscht sein. Auch künftig muss Waffen-Händler Serge Dassault zwar angeben, wenn er in "seinem" Figaro einen Leitartikel schreibt, aber die Frau des Staatsministers Borloo darf weiterhin ohne Hinweis im staatlichen Fernsehen Sondersendungen zur Krisenbewältigung in Frankreich moderieren und die Frau des französischen Außenministers den Auslandsrundfunk Frankreichs dirigieren.

    Dazu passt auch, dass letztlich nicht der Berufsstand der Presse über die Umsetzung der Beschlüsse entscheidet, sondern Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy.