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Zellkultur ist objektiver

Biologie. – Um die Hautverträglichkeit von Substanzen zu testen, werden üblicherweise rasierte Kaninchen mit den Teststoffen traktiert. Eine Zellkultur aus menschlichen Bindegewebszellen leistet den gleichen Dienst und ist obendrein besser auszuwerten. Doch der Zellkulturtest ist nur in Europa unumstritten, andernorts müssen zusätzliche Tierversuche durchgeführt werden.

Von Marieke Degen | 27.05.2008
    Wenn ein Chemiekonzern ein neues Lösungsmittel auf den Markt bringen will, dann muss er vorher prüfen, ob das Lösungsmittel die Haut verätzen kann. Die Toxikologen haben zwei Möglichkeiten: Sie können das Mittel auf geschorene Kaninchen tropfen und schauen, was passiert. Oder sie nehmen etwas, das noch empfindlicher ist als ein Kaninchen, das aber keine Schmerzen verspürt: eine Hautschicht, die aus menschlichen Bindegewebszellen, so genannten Fibroblasten, gezüchtet wird.

    "Die kommen aus kosmetischer Chirurgie, die Firma Mattek nimmt glaub ich Vorhautfibroblasten. Von Säuglingen, denen die Vorhaut entfernt wird und dieses Material wird genommen, um diese Haut zu generieren","

    sagt Armin Gamer, Leiter der akuten Toxikologie bei BASF in Ludwigshafen. Epiderm, so heißt das Hautmodell, gibt es schon seit Mitte der 90er Jahre. Die Test-Kits werden in den USA hergestellt. Sie bestehen aus durchsichtigen Plastik-Platten mit kleinen Kämmerchen. Jedes Kämmerchen enthält einen Nährboden, auf dem eine menschliche Hautschicht liegt, so dünn wie ein Haar. Gamer:

    ""Dann wird auf diese Haut die Chemikalie aufgetragen, und nach dieser Einwirkung wird die Chemikalie abgewaschen, und die Überlebensrate der Haut wird bestimmt mit diesem Farbstofftest."

    Der Farbstofftest funktioniert ganz einfach. Armin Gamer legt die Hautstückchen in gelbe Farbe. Wenn die Haut noch lebt, verwandelt sie den gelben Farbstoff in ein kräftiges Dunkelblau. Gamer nimmt eine Platte mit Hautstückchen, die hinter einer Glasschiebetür auf einem sterilen Labortisch liegt:

    "Da sieht man es jetzt nicht mehr so sehr gut, weil der blaue Farbstoff schon extrahiert wurde. Aber alles was so blau aussieht, das war richtig dunkelblau. Und alles was hell geblieben ist, da ist die Haut gestorben. Alles, was blau ist, hat die Haut den gelbe Farbstoff verstoffwechselt, da hat die Haut überlebt, das heißt da war keine Verätzung."

    Wie stark die einzelnen Hautstückchen verätzt worden sind, lässt sich nicht mit dem bloßen Auge erkennen. Dafür muss die Farbe aus der Haut herausgezogen und noch mal extra gemessen werden. Gamers Kollege Robert Landsiedel schiebt eine Platte mit 96 Farbproben in ein Spezialgerät neben dem Computer, ein so genanntes Fotometer. Landsiedel:

    "Und 96 Mal lässt man einfach Licht durch die Probe durchscheinen und misst, wie viel weniger Licht auf der anderen Seite der Probe wieder herauskommt. Dann startet man die Messung, und das war’s."

    Innerhalb von Sekunden erscheinen die Werte auf dem Bildschirm, Zahlen, die die Forscher vergleichen können. Und das macht das Hautmodell viel objektiver als den Tierversuch. Landsiedel:

    "Denn beim Kaninchen muss man eine Rötung und eine Schwellung beurteilen, und das braucht eben viel Training und Erfahrung."

    Wissenschaftlich hat sich der Epiderm-Test längst bewährt. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, empfiehlt ihn sogar als offiziellen Test für Hautätzungen. Das heißt auch, dass Ergebnisse auf der ganzen Welt anerkannt werden müssten. In der Praxis sehe das anders aus, sagt Landsiedel. Die Ergebnisse würden meistens nur in Europa ernst genommen. Landsiedel:

    "Es gibt aber auch noch viele andere Länder, und die sind nicht unbedingt bereit zu sagen, ja, aufgrund des Epiderm-Tests glauben wir das Ergebnis, die verlangen einfach noch einen Tierversuch. Das heißt, was für Europa OK ist, kann in Japan, Amerika nicht akzeptiert werden."

    Armin Gamer und Robert Landsiedel bleibt also manchmal nichts anderes übrig, als zweimal zu testen: am Hautmodell und am Kaninchen. Das bedeutet: doppelt soviel Aufwand und doppelte Kosten. Das könnte auch der Grund dafür sein, warum sich viele Chemie-Unternehmen von vornherein auf den Test mit dem Hautmodell verzichten und weiter auf Versuchskaninchen setzen.