In Zerbrechlichkeit erzählt der Autor von einem Literaturwissenschaftler namens Stein, der in Kalifornien lebt und seinen alten Freund Stephane - ein Anwalt aus Paris - für ein paar Tage zu Besuch erwartet. Was sich die beiden auch zu sagen hatten, viel wissen sie eigentlich nicht voneinander, ihre Freundschaft belief sich auf das angenehme Gefühl, einfach nicht allein zu sein, wenn man sich ein wenig ablenken wollte. Gemeinsam gut vergessen zu können stärkt nicht unbedingt das Vertrauen ineinander, und so fragt sich Stein, was er überhaupt von dem Besuch erwartet. Erinnerungen an Paris tauchen in ihm auf, und er verbindet seine Ungewissheit mit einem beiläufig erscheinenden und doch zentralen Erlebnis:
Gewiss erinnerte sich Stein an die knappe Nachricht in Le Monde, die Wochen später die erste Vermutung bestätigt hatte, dass man auf eine Begräbnisstätte von Seine-Fischern aus frühkarolingischer Zeit gestoßen war, Die Knochenreste waren auf einen Pariser Friedhof umgebettet worden, die beiden besterhaltenen aber sollten im Museum für Stadtgeschichte ihren Platz erhalten. Stein hatte nie daran gezweifelt, das man die Bauarbeiten fortsetzen und die Tiefgarage fertig stellen würde, aber er hätte an dem Nachmittag der Entdeckung nie zugegeben, das auch er diese Garage in der Zukunft benutzen würde, ohne an die Toten der Place Baudoyer auch nur zu denken.
Die Toten der Place Baudoyer heißt das Buch auch im Titel, und mit diesen Toten hat es nicht mehr auf sich, als das plötzlich im Pariser Straßengewirr Stein und seine damalige Geliebte an der besagten Baustelle der Tiefgarage vorbeikommen, gerade in dem Augenblick, da die Gebeine gefunden werden. Ihr Auftauchen inmitten der Geschäftigkeit um ihn herum verblüfft Stein. Seine Freundin Sophie nimmt den Fund lediglich zur Kenntnis, ihm jedoch werden die .besterhaltenen' Knochenreste zum Inbegriff der eigenen Verwundbarkeit. Kein großes Ereignis ist es also, das ihn aus der Bahn wirft, es stößt ihm nichts zu, Sein Alltag wird ihm nur langsam zum Balanceakt zwischen der vermeintlichen Nichtigkeit der Dinge und dem, was ihm noch etwas bedeutet. Während eines Spaziergangs in Kalifornien entlang einer Bahntrasse fallt ihm dieser Balanceakt im Naherkommen des Zuges immer schwerer.
Das ist, glaub' ich, eine nicht unwichtige Stelle in diesem Text, wo der Selbstmord - fast aller Selbstmörder - als ein Moment der Müdigkeit vermutet wird. Ich glaub' nämlich wirklich es hat damit zu tun. Wir alle sind in einer - wir alle, egal wer, auch die sogenannten glücklichsten Menschen - sind irgendwo in Gefahr, so wie wenn man im Hochgebirge auf einem Grad geht, plötzlich schwindelig zu werden. Und dieses Schwindelgefühl ist Müdigkeit. Und dann sich einen Moment lang nicht festhalten können, ist vielleicht das Ende.
Stein hält das Gleichgewicht, bis zum Schluss. Der Roman besteht aus drei Teilen, wovon der zweite eine eigenständige Novelle bildet, die eine Hommage an das in sich geschlossene Erzählen eines Thomas Mann noch ist, abseits avantgardistischer Brüche, intertextueller Durchlässigkeit und postmoderner Ironisierung. Das Wesentliche neu zu diskutieren heißt in diesem Roman, sich dieses alten Erzählens wieder zu erinnern, das hier umrahmt wird von einem Anfang und Ende, die -fragmentarisch und offen - im Gegensatz dazu stehen. Auch inhaltlich ist der Mittelteil Thomas Mann gewidmet: Steins Erinnerungen führen ihn bis in seine Jugend zurück, zu seinem ersten und einzigen Verliebtsein in einen Jungen:
Natürlich dachte ich damals als ich diese Novelle konstruiert habe, ganz stark an die gesamte Homoerotik-Thematik gerade bei Thomas Mann und gerade im ,Tod in Venedig'; das war eine Absicht in der Sache und daher auch ein gewisser Zynismus - das soll ja ein fast spott-schmerzlicher Text sein, dieser zweite Teil, Als unmöglich genauso wie die Liebe zu einer Frau - Sophie, erster Teil. Unmöglich ist jede Liebe, und warum? Die Frage bleibt ja offen, aber Bücher sollen ja die Fragen nicht beantworten, sondern sie nur dreimal unterstreichen.
Skwara versucht mit diesem Roman literarisch umzusetzen, was sich gesellschaftlich, weltanschaulich verändert hat: Den einstigen Abschied vom Existenziellen in eine westliche Selbstverliebtheit des Wohlstands, in der Vergänglichkeit schließlich als Medienspektakel erschien - man denke nur an den Tod von Prinzessin Diana - zeichnet er auf unspektakuläre Weise daran nach, wie ein Mann, der sich von jeder Sorge befreit glaubte, eingeholt wird von der eigenen Verletzbarkeit. Er beginnt sich zu vergewissern: Seiner Freundschaft mit Stephane, der Liebe zu seiner Frau Clara, den Gefühlen für Sophie. Fragmentarisches, anspielungsreiches Erzählen verbindet der - übrigens in Paris und Kalifornien lebende - Autor mit dem einst in sich geschlossenen Stil, um im Rückgriff auf ihn die Frage zu stellen, wie Existenzielles in der Literatur fortan verhandelt werden kann. Die Lösung, die er anbietet, liegt weder im Inhalt noch in der Komposition des Textes, sondern im gleichmäßigen, ruhigen, fast elegischen Ton seiner Sprache. Erich Wolfgang Skwara vermittelt eine ästhetische Gefasstheit im Wirrwarr der heutigen Ereignisse. "Maß und Form", hätte Thomas Mann gesagt.