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Zerschlagung um des Staates willen

Um der Nationalgalerie in Rom noch mehr Ansehen zu verschaffen, sollen die bekanntesten Werke der Galleria Corsini in Zukunft dort ausgestellt werden. Kulturhistoriker sind erzürnt, eine italienische Tageszeitung spricht gar von "Plünderung".

Von Thomas Migge | 16.01.2010
    Beato Angelico dreiteiliges Tafelbild "Pfingsten", "Jüngstes Gericht" und "Auferstehung" ist eines der schönsten Werke des Renaissancemalers. Die Fürstenfamilie Corsini kaufte es 1740. Interessant an dem Bild ist auch, dass der Meister sich weigerte, dem Geschmack seiner Zeit zu folgen und die dargestellten Personen idealschön darzustellen. Fra Angelico zeigt normale Menschen, keine an ein klassisches Schönheitsideal angepasste Figuren. Eine perfekte Knabenschönheit zeigt auch das Gemälde "San Giovanni Battista" von Caravaggio nicht: Ein weiteres Hauptwerk der Galleria Corsini. Zu sehen ist ein junger sehr schlanker Mann, eine Figur, wie sie für Caravaggio typisch ist: ein Junge aus dem Volk, vielleicht einer seiner Liebhaber.

    Van Dyck und Ribera, Rubens, Maratta. Van Wittel, Gentileschi und eine der schönsten Madonnen mit Kind von Murillo: das sind die Meisterwerke einer Kunstsammlung aus dem 18. Jahrhundert, die die einzig komplett erhaltene in Staatsbesitz ist. Die Familie Corsini, aus der Papst Klemenz XII. stammt, war eine der reichsten und kunstsinnigsten der Tiberstadt. Ihre Gemäldesammlung war schon zu Goethes Zeiten legendär. Eine Perle besitzt der italienische Staat in der Galleria Corsini, die im barocken Palazzo Corsini im Stadtteil Trastevere untergebracht ist. Darüber hinaus ist die Sammlung die einzige bis heute erhaltene einer römischen Fürstenfamilie.

    Dumm, dass diese Galerie jetzt im wahrsten Sinnes des Wortes auseinander genommen werden soll, berichtet der römische Kunsthistoriker Alberto Depetris:

    "Kunst ist auch Teil eines Systems, zu dem Verwaltung und Bürokratie gehört und das Machtdenken der Leute, die dort das Sagen haben. Wenn jetzt die oberste Kunstschützerbehörde Roms beschlossen hat, die zehn wichtigsten Werke aus der Galleria Corsini zu nehmen und einem anderen Museum einzuverleiben, dann ist das nicht nur skandalös sondern eine Art Attentat. Das gibt es doch gar nicht!"

    Direktorin der Galleria Corsini ist die Kunsthistorikerin Paola Mangia. Sie, wie auch ihre Mitarbeiter sind von der obersten Kunstschützerbehörde der Stadt angewiesen worden, keine Interviews zum Thema Galleria zu geben. Es heißt, dass, wer diese Anweisung nicht befolgt, ein administratives Verfahren zu erwarten habe. Anscheinend will man damit jede Kritik an der Auflösung der Kunstsammlung von vornherein verhindern.

    Paola Mangia hat – und das macht den Fall der Galleria besonders gravierend – in den letzten zwei Jahren die Sammlung rekonstruiert. In Zusammenarbeit mit Restauratoren, mit Stoffexperten, die die kostbaren Wandbespannungen rekonstruierten, hat sie die Räumlichkeiten der Galleria, die Korridore und Säle, originalgetreu wiederhergestellt. Wie zu den Zeiten der Corsini-Fürsten. Und: Sie hat anhand wiedergefundener Dokumente aus dem 18. Jahrhundert die über 606 Gemälde wieder genauso an die Wände gehängt, wie sie damals hingen - als die Corsini Kunst sammelten und ihre Kollektion prominenten Italiensreisenden während der Grand Tour präsentierten. Die Rekonstruktion der Aufhängung hat in Italien für großes Aufsehen gesorgt und viel Zustimmung geerntet. Alberto Depetris:

    "In der Kunstschutzbehörde hat man die Idee, die Museenwelt Roms neu zu erschaffen. Das Nationalmuseum für alte Kunst im Palazzo Barberini, das ist die nationale Gemäldegalerie, soll mit den Perlen aus der Galleria Corsini angereichert werden. Das ist irrig, denn die Nationalgalerie im Palazzo Barberini hat schon jetzt über 1.200 Kunstwerke, die in Kellern lagern. Was bleibt der Galleria Corsini nach der Entfernung der zehn Meisterwerke?"

    Sicherlich bleiben ihr noch 596 Gemälde - aber ohne die Zugpferde der Galleria Corsini werden die meisten Kunstfreunde in den Palazzo Barberini pilgern.

    Hinter dem Projekt einer neuen Nationalgalerie im Palazzo Barberi stehen zwei Fakten, die die oberste Kunstschutzbehörde Roms dazu veranlasst hat, die - so die Tageszeitung "la Repubblica" - "Plünderung" der Galleria Corsini, anzuordnen:

    Zum einen hat der Heeresclub, der bis noch vor kurzem einen guten Teil des Palazzo Barberini für sich beanspruchte, endlich die Säle geräumt. Das heißt: Die Nationalgalerie hat mehr Platz, um ihre Werke zu zeigen. Auch einen Teil des Magazinbestandes. Zum anderen will Italien im kommenden Jahr mit zahlreichen Kulturinitiativen seine Staatseinigung feiern. Eine dieser Initiativen wird die Einweihung der vergrößerten Nationalgalerie im Palazzo Barberini sein. Eine Gemäldesammlung, die eine der wichtigsten weltweit ist – auch ohne die zehn Meisterwerke der Galleria Corsini. Weshalb es vielen als unsinnig erscheint, die letzte komplett erhaltene Sammlung einer römischen Fürstenfamilie auseinander zu reißen.