Samstag, 20. April 2024

Archiv

Zerstörte Tempel in Nepal
"Mitten ins Herz getroffen"

Die Tempel in Nepal wieder aufzubauen werde ein langer und teurer Prozess, sagte Axel Michaels, Professor für Klassische Indologie am Südasien-Institut der Universität Heidelberg, im DLF. Dennoch sei die Wiederherstellung nicht nur für den Tourismus, sondern auch für die Nepalesen und ihr religiöses Verständnis wichtig.

Axel Michaels im Gespräch mit Karin Fischer | 27.04.2015
    Zu sehen ist nur noch der Rumpf des Turms und Stufen, die dorthin führen, drumherum weitere eingestürzte Gebäude und Menschen.
    Der eingestürzte Turm Dharahara in Nepals Hauptstadt Kathmandu, auch Bhimsen Tower genannt. (picture alliance / dpa / Narendra Shrestha)
    Karin Fischer: Es geht um prachtvolle Palaststädte, um Pagoden, Hindutempel und buddhistische Heiligtümer aus dem 12. bis 18. Jahrhundert, die zum Teil komplett eingestürzt sind. Axel Michaels, Professor für Klassische Indologie am Südasien-Institut der Universität Heidelberg, habe ich gebeten, den historischen Hintergrund dieses Kulturerbes zu erklären.
    Axel Michaels: Diese einmalige Kulturlandschaft, diese einmaligen Stätten sind entstanden im sogenannten nepalschen Mittelalter. Auf einer Fläche, die etwa so groß ist wie der Stadtstaat Hamburg, haben drei Königtümer der Malla-Könige miteinander rivalisiert, sich überboten in den Bauten von Tempeln und Palästen. Das bildet das Kernstück dieser Traditionen und der Architektur im Kathmandu-Tal.
    Da ist auch noch zu verzeichnen, dass es sich ja um mehrere Religionen handelt, vor allen Dingen Hinduismus und Buddhismus. Die Städte sind durchzogen von vielen kleineren Tempeln. Was sie auch kennzeichnet sind große Stadtprozessionen, die mehrfach im Jahr stattfinden, bei denen Tausende, zum Teil Hunderttausende von Menschen zusammenkommen.
    Fischer: Der weiße Turm in Kathmandu, der bis auf den Sockel in sich zusammengefallen ist, war neun Stockwerke hoch und hat vermutlich viele Menschen verschüttet, die darin waren, eine wirkliche Katastrophe. Er ist 1826 erbaut worden und schon mal von einem Erdbeben heimgesucht und zerstört worden. Ganz oben gibt es einen Schrein für den Gott Shiva. Was für eine Bedeutung hat dieser Turm für die Nepalesen?
    Michaels: Der Turm ist meines Wissens 1834 gebaut worden vom damaligen Premierminister Bhimsen Thapa und hat tatsächlich oben ein Shiva-Heiligtum. In der heutigen Zeit ist es aber mehr ein Aussichtsturm, ein beliebter Aussichtsturm geworden, auch für Touristen, und es ist sehr tragisch, dass so viele Menschen jetzt umgekommen sind. Es ist in der Tat so, dass dieser Turm 1934 am 15. Januar schon einmal völlig zerstört wurde und dann wieder aufgebaut wurde. Es gibt Fotos davon zu sehen mit einem abenteuerlichen Gerüstbau und vielleicht wird er noch ein weiteres Mal aufgebaut.
    Fischer: Wenn dieser Wiederaufbau in Nepal beginnt, welchen Stellenwert sollen Ihrer Ansicht nach diese Kulturorte haben?
    Michaels: Ich glaube, dass sie ganz wesentlich sind. In all meinen Telefonaten mit vielen Kollegen und Freunden in Nepal hörte ich doch immer wieder, wie wichtig ihnen die Tempel sind. Sie sagen, wir sind okay, aber die Tempel sind zerstört, als ob es sie mitten ins Herz getroffen hat. Und sie sind nicht nur für den Tourismus wichtig, sie sind für die Menschen wichtig, weil die Götter sie beschützen, wenngleich man in dieser Situation wohl kaum davon sprechen kann, dass sie beschützt wurden.
    Fischer: Herr Michaels, besteht die Gefahr, nach dem Erdbeben ein Nepal-Disney vorzufinden, oder wäre Authentizität gar kein Begriff, mit dem man rechnen sollte?
    Michaels: Authentizität ist ein sehr umstrittener Begriff. Was ist jetzt authentisch, der alte Bau oder die lebenden Traditionen? Es ist ja in Nepal so, dass die alten Handwerker noch leben. Das heißt, wir haben die Holzschnitzer, wir haben die Maler, wir haben die Backsteinhersteller. Das heißt, die Bauten können so hergestellt werden, wie sie früher einmal waren. Sie sind aber in dem Sinne nicht authentisch, weil es nicht das ursprüngliche Gebäude ist. Sie sind aber dennoch ursprünglich, weil die Tradition noch eine lebende ist. Ich nehme an, dass man doch dazu übergehen wird, die Kulturdenkmäler wieder aufzubauen. Das wird aber lange dauern und auch sehr teuer werden. Man schätzt, dass für einen Pagoden-Tempel man doch eine Million Dollar braucht, um den wieder herzustellen. Das Mahagoni-Holz ist rar geworden und sehr, sehr teuer geworden, wird zum Teil sogar auch schon importiert, und es braucht das stabile Holz, es braucht dieses sehr harte Pfahlholz für die Balken und die Stützelemente.
    Fischer: Axel Michaels, Indologe an der Universität Heidelberg, über die Zerstörung und den Wiederaufbau der Welterbestätten im Tal von Kathmandu.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.