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Zerstörung in Timbuktu
"Strafmaß zeigt, dass es nicht um ein Kavaliersdelikt geht"

Für neun Jahre muss ein Islamist aufgrund der Zerstörung von Kulturgütern in Timbuktu ins Gefängnis. Das hohe Strafmaß mache deutlich, dass es dabei nicht nur um die bloße Zerstörung von Steinen gehe, sagte Markus Hilgert vom Vorderasiatischen Museum im DLF. Sondern durch die Zerstörung sei kulturelle Identität ins Herz getroffen worden.

Markus Hilgert im Gespräch mit Karin Fischer | 27.09.2016
    Markus Hilgert, Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin
    Markus Hilgert, Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    Karin Fischer: Sie haben es in den Nachrichten gehört: Neun Jahre muss der Dschihadist Ahmad Al Faqui al Mahdi für die Zerstörung von neun Mausoleen und einer Moschee in Timbuktu ins Gefängnis. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag verkündete heute das Urteil im ersten Prozess, in dem die Zerstörung von Kulturgut als Kriegsverbrechen geahndet wurde. Timbuktu, im wüstenhaften Norden des westafrikanischen Landes Mali gelegen, war im Sommer 2012 von der islamistischen Gruppe Ansar Dine kontrolliert worden, die die heiligen Stätten als anti-islamisch brandmarkten und zerstörten.
    Markus Hilgert, der Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, hat zu Beginn des Prozesses eine angemessene Strafe gefordert. Deshalb heute nun die Nachfrage an ihn: Herr Hilgert, wie bewerten Sie das Urteil im Lichte Ihrer eigenen Forderungen?
    Markus Hilgert: Ich glaube, dass das Urteil, das heute gefällt worden ist, durchaus angemessen ist. Ich glaube, dass das Strafmaß zeigt, dass es hier nicht um ein Kavaliersdelikt geht und gleichzeitig aber auch deutlich macht, dass es doch noch mal einen Unterschied gibt zwischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die an Menschen verübt werden, und solchen, die an Bauwerken verübt werden. Ich glaube, diese Unterscheidung ist ganz wichtig. Aber entscheidend ist doch, dass wir ein sehr hohes Strafmaß haben, das deutlich macht, dass es hier um mehr geht als um die bloße Zerstörung von Steinen, sondern dass hier tatsächlich kulturelle Identität ins Herz getroffen wird und dann auch zerstört wird.
    "Wir haben tatsächlich jetzt ein Instrument des humanitären Völkerrechts"
    Fischer: Nun ist ja interessant, dass der Angeklagte kein tumber Anhänger einer gewalttätigen Ideologie ist, sondern Lehrer und Intellektueller in der Region war und, so lese ich, von Ansar Dine zum Chef der örtlichen Moralpolizei ernannt wurde und als solcher hat er die Pläne zur Zerstörung der Mausoleen und Moscheen dann mitentwickelt und hat dabei auch mitgewirkt, sich aber später ja als sozusagen verlorener Sohn und sehr reuig gezeigt. Spielt das in Ihrem Kosmos eine Rolle und in dem des Gerichts?
    Hilgert: Ich glaube, im Kosmos des Gerichts hat es eine Rolle gespielt, dass er sich schuldig bekannt hat, dass er von vornherein gesagt hat, er sieht von einer Berufung ab. Ich glaube, das hat sich strafmildernd ausgewirkt. Für uns ist es natürlich sehr interessant zu sehen, mit welchen Beweggründen Kulturgüter, Kulturerbestätten zerstört werden, auch wenn wir natürlich sagen können, dass Zerstörungen aus ideologischen Gründen, aus religiösen Gründen historisch gesehen nichts Neues sind. Das beobachten wir im alten Orient, wenn die Statue des Marduk von den Hethitern oder von den Elamern entführt wird. Das beobachten wir aber auch im Mittelalter, wenn der vierte Kreuzzug drei Tage lang Byzanz plündert, die Kirchen ausraubt und Reliquien mit nach Europa nimmt. Insofern ist das, was wir hier beobachten, historisch gesehen nichts Neues.
    Was neu ist, ist, dass wir tatsächlich jetzt ein Instrument des humanitären Völkerrechts haben, was es uns erlaubt, Personen, die Kulturgüter zerstören, vor Gericht zu stellen und mit einem ordentlichen Strafmaß zu belegen. Das zeigt, dass da eine Weiterentwicklung auch des humanitären Völkerrechts stattgefunden hat, und das zeigt, dass es uns wichtig ist, solche Verbrechen nicht ungesühnt zu lassen. Denn das ist, glaube ich, die wichtige Botschaft, dass wir feststellen: Solche Taten können nicht als Kavaliersdelikte stehen bleiben, sondern sie müssen gesühnt werden, auch weil wir wissen, dass kultureller Genozid vielfach die Vorstufe zu tatsächlich humanitärem Genozid im Sinne von Völkermord ist.
    Kulturzerstörung und der Islamische Staat
    Fischer: Immer wieder werden ja Bilder von Kulturzerstörungen zu Propagandazwecken missbraucht. Das sagen uns die Juristen, die mit solchen Fällen zu tun haben. Das ist sicherlich Teil des Problems, oder?
    Hilgert: Ich glaube, dass, wenn wir zum Beispiel über den sogenannten Islamischen Staat sprechen, das Kalkül ein sehr genau überlegtes ist, dass nämlich die bildhaft-mediale Inszenierung von Kulturzerstörung natürlich im Westen oder im globalen Norden auch entsprechende Reaktionen hervorruft, und genau diesen Knopf zu drücken, ist, glaube ich, eine gezielte Provokation des sogenannten Islamischen Staates. Gleichwohl dürfen wir nicht vergessen, dass die Situation insgesamt, auch die Motivation für Kulturgutzerstörungen sehr viel komplexer sind. Sie haben eben das Beispiel aus Mali genannt. Da ist es ganz offensichtlich religiöse Grundüberzeugung, die dazu führt. Es werden aber auch reine Propagandaorgien inszeniert und darüber hinaus ist es wohl auch so, dass Zerstörung stattfindet, um deutlich zu machen, dass man die Möglichkeit hat, an dann ja illegal gehandelte Kulturgüter zu kommen. Und nicht zuletzt ist es ja so, dass der sogenannte Islamische Staat selbst immer wieder behauptet hat, dass diese Kulturgüter auch für nationale Identitäten stehen, die der sogenannte Islamische Staat nicht anerkennt. Insofern geht es hier tatsächlich auf ganz unterschiedlichen Ebenen um unterschiedliche Dinge und für uns, für unser Verständnis, auch für unsere Handlungsfähigkeit ist es, glaube ich, sehr wichtig, dass wir diese verschiedenen Ebenen streng voneinander trennen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.