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Zeugen der Vergangenheit

Paläontologie. - Vor rund 27.000 Jahren starb der Neandertaler aus. Leipziger Forscher haben jetzt trotz der großen Distanz das gesamte Erbgut dieser Menschenform rekonstruiert. Der Wissenschaftsjournalist Michael Stang erläutert die Ergebnisse im Gespräch mit Marieke Degen.

12.02.2009
    Degen: Herr Stang, welche Ergebnisse liegen jetzt vor?

    Stang: Erstaunliche Ergebnisse, Svante Pääbo, der Leiter des Neandertaler-Genom-Projekts vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie stellt jetzt noch in diesen Minuten das erste nukleare Neandertalergenom vor, es ist unglaublich, keiner hätte gedacht, dass diese Daten überhaupt noch vorliegen. Und die Forscher haben es in mühevoller Arbeit in den vergangenen drei Jahren und dem Einsatz von über fünf Millionen Euro tatsächlich geschafft, über 60 Prozent des Neandertalergenoms zu rekonstruieren. Das heißt, ein Genom von Knochen, die schon seit über 30.000 Jahren in der Erde liegen, und keiner hätte mehr gedacht, dass diese Sachen überhaupt noch vorhanden sind. Und er hat direkt mit ein paar Überraschungen aufgewartet. Ein wichtiges Ergebnis ist zum Beispiel, dass das so genannte FoxP2-Gen gefunden wurde. Das ist das Gen, das einzige Gen, das mit der Sprachfähigkeit assoziiert ist. Und es war ja bislang noch nicht klar, konnten die Neandertaler sprechen, waren sie in der Lage dazu. Und jetzt sieht es so aus, die Gene sind exakt gleich vom Neandertaler und vom heutigen Menschen. Das heißt, zumindest genetisch gibt es keinen Grund zu behaupten, die Neandertaler waren nicht in der Lage zu sprechen. Sondern sie hatten das gleiche Potenzial wie wir. Auch eine andere kleine Überraschung ist, die Neandertaler waren nicht in der Lage, im erwachsenen Alter Milchzucker zu verdauen. Diese Fähigkeit, die sich erst, vor allen Dingen bei den Europäern, in den vergangenen 1000 Jahren entwickelt hat, hatten die Neandertaler also vor 30.000 Jahren noch nicht.

    Degen: Und was wollen die Paläogenetiker mit den Daten sonst noch alles anfangen?

    Stang: Also jetzt besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, die beiden Genome von Mensch und von Neandertaler übereinander zu legen und einfach zu sehen, was macht uns denn so einzigartig. Wir sind die einzigen Menschenform, die heute noch existiert. Alle Zeiten vorher hat es mindestens zwei verschiedene Hominiden-Formen gegeben, und jetzt kann man diese Einzigartigkeit zum ersten Mal überprüfen. Das Schimpansen-Genom ist natürlich auch schon eine Weile bekannt, und da kann man wirklich sehen, was sind die Unterschiede, was ist die Einzigartigkeit des Menschen. Und man kann auch andere Fragen beantworten, die immer im Raum standen: Gab es Vermischung zwischen unseren Vorfahren und den Neandertalern. Solche Sachen werden aber wohl erst in den kommenden Monaten oder Jahren anvisiert werden können, das ist jetzt nur ein grobes Werkzeug, ein Datensatz, der erst einmal zur Verfügung steht.

    Degen: Aber die Forscher hatten ja schon früher Erbgut-Analysen des Neandertalers vorgelegt. Was ist denn jetzt das Neue?

    Stang: Also das Neue ist, dass man wirklich Zellkern-DNA hat. Das mitochondriale Genom, also diese Zellkraftwerke, die waren schon früher bekannt, aber die haben natürlich für irgendwelche Arteigenschaften jetzt nicht so viel Bedeutung. Es war nie bekannt, genau was den Neandertaler genetisch ist. Und jetzt hat man einen riesengroßen Datensatz. Man hätte es nicht geglaubt, wie viele Generationssprünge binnen der letzten Monate überhaupt passiert sind, dass es möglich ist, solches Erbgut überhaupt noch zu rekonstruieren, wenn man auch bedenkt, es wurden für dieses Neandertaler-Genom-Projekt über 70 Individuen vom Neandertaler, von 16 verschiedenen Seiten[meint sites = Fundorte, d.Red.] untersucht, dort war kaum noch DNA enthalten. Winzige Bruchstücke konnten jetzt mit modernen Methoden rekonstruiert werden und man hat jetzt einen Datensatz, und alle sind hellauf begeistert. Und das ist auch der Grund, warum zum Beispiel diese Pressekonferenz zeitlich in Chicago ausgestrahlt wird, und die Forscher sind sich sicher, es gibt noch nicht einmal Verunreinigungen. Das heißt, dieser Datensatz jetzt, der ist wirklich sauber.

    Degen: Verunreinigungen sind ja bei früheren Analysen immer mal wieder aufgetreten. Wie sicher können sich die Forscher denn jetzt sein, dass ihre Proben nicht trotzdem verunreinigt, kontaminiert sind?

    Stang: Also, Sie sagten eben, es ist möglich, dass man sie jetzt ausschließen kann. Zum einen hat man… Die Neandertaler, die man untersucht hat, sind allesamt weibliche Individuen, das heißt, wenn man irgendwie bei den neuen Untersuchungen ein Y-Chromosom findet, weiß man direkt, es ist von einem modernen Forscher. Dann wurden zum Beispiel kleine Fragmente, die hatten insgesamt über drei Milliarden Fragmente, die hochgerechnet wurden zu dem Genoms, die sind alle an den Enden markiert worden, und wenn diese Markierung nicht vorhanden ist, dann weiß man, es ist menschliche DNA, oder es sind Pilze oder es sind Bakterien-Erbgutreste, die man dort hat. Und die Forscher sind jetzt zum ersten Mal sicher: Unser Datensatz ist sauber.

    Degen: Warum werden denn die Ergebnisse ausgerechnet heute präsentiert, am 200. Geburtstag von Charles Darwin?

    Stang: Nun, das ist natürlich eine große Bühne, wo es zeitgleich in Amerika auf der größten wissenschaftlichen Konferenz und in Leipzig präsentiert wird. Und es ist vielleicht eine Hommage auch an Darwin und eine Rechtfertigung, Das ist die aktuelle Evolutionsforschung, das sind die aktuellen Fragen, die die Forschung heute beschäftigen. Und letztendlich die Frage, was ist der Mensch, wie war die Evolution des Menschen und die Entstehungsgeschichte, und jetzt hat man vielleicht die Möglichkeit, das endgültig klären zu können.