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Zika-Virus
"Auch bei uns kann es zu Übertragungen kommen"

Das Zika-Virus macht Schlagzeilen: Über die aktuelle Epidemie in Brasilien wird viel berichtet. Dort kommen vermehrt Kinder mit Schädelfehlbildungen auf die Welt, die ihr Leben lang geistig behindert sein werden. Sind Infektionen mit dem Virus daran schuld? Sehr wahrscheinlich ja, sagt der Hamburger Tropenmediziner Jonas Schmidt-Chanasit im DLF.

Der Tropenmediziner Jonas Schmidt-Chanasit im Gespräch mit Ralf Krauter | 27.01.2016
    Eine Frau hält ihr Baby im Arm. Im Vordergrund sieht man einen Impfpass oder etwas Ahnliches.
    Eine schwangere Frau im Armenviertel Beco do Sururu in der Nähe der Stadt Recife, die besonders stark vom Vordringen des Zika-Virus betroffen ist. (dpa / picture alliance / Percio Campos)
    Jonas Schmidt-Chanasit: Es verdichtet sich immer mehr, dass es diesen Zusammenhang gibt, jeden Tag gibt es neue Daten. Es werden natürlich mehr Proben analysiert, und man hat jetzt das Virus schon im Fruchtwasser auch bei verstorbenen Babys nachweisen können. Was jetzt noch schön wäre, wäre zum Beispiel eine Fallkontrollstudie, wo man wirklich hunderte von Schwangeren mit und ohne Fehlbildungen mal untersucht auf Antikörper, um genau nachzuweisen, haben sie die Infektion durchgemacht oder nicht. Das passiert momentan, hier kommen wirklich nahezu stündlich die neuen Daten rein, aber der Zusammenhang ist schon relativ klar.
    Ralf Krauter: Was tun Sie und Ihre Leute gerade, um diesen rauchenden Colt, um den es letztlich geht, zu finden. Sie untersuchen unter anderem auch Blutproben aus Brasilien.
    Schmidt-Chanasit: Genau, das ist eigentlich unsere Hauptaufgabe. Wir sind ein Referenzzentrum für die Diagnostik solcher Infektionen und bekommen Proben aus ganz Deutschland natürlich, aber auch aus Europa, aus den Ländern, die selber keine Zika-Virusdiagnostik durchführen können, und aus Brasilien. Dort ist die Diagnostik nicht so weit entwickelt. Das heißt, wir kriegen jeden Tag 50 Proben aus Brasilien, die genau auf Antikörper oder auf das Virus direkt, also das Genmaterial untersucht werden müssen.
    Schmidt-Chanasit steht neben einer Tür mit der Aufschrift eines Virus-Zentrums der Weltgesundheitsorganisation.
    Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit. (Daniel Bockwoldt / dpa)
    Gesicherte Erkenntnisse schon in wenigen Tagen?
    Krauter: Mit Antworten ist in einigen Wochen zu rechnen, was diese hieb- und stichfeste Kausalkette angeht, was würden Sie sagen?
    Schmidt-Chanasit: Ich denke, wir sind da schon am Punkt, wo das sehr wahrscheinlich ist. Hieb- und stichfest – ich glaube das handelt sich jetzt nur noch um Tage, weil jetzt wirklich sehr viele Ressourcen freigemacht werden, sehr, sehr viele Leute sich damit beschäftigen. Ich glaube, es wird sich jetzt hier nicht mehr um Wochen handeln, aber wie gesagt, wir gehen ja schon davon aus. Darum gibt es auch entsprechend die Reisewarnung schon – Auswärtiges Amt, deutsche Truppen, medizinische Gesellschaft, Robert Koch-Institut. Da sehen Sie schon, wir denken, das geht ganz klar in diese Richtung.
    Krauter: Schauen wir auf Europa: Sie haben es schon gesagt, da wurden auch die ersten Zika-Infektionen dokumentiert, gestern zum Beispiel beim Patienten in Dänemark. Haben Sie und Ihre Kollegen denn einen Überblick, wie weit verbreitet das Zika-Virus in Europa derzeit schon ist?
    Schmidt-Chanasit: Da muss man vorsichtig sein. Die Probe wurde bei uns zum Beispiel diagnostiziert. Die Dänen schicken uns das auch, und das sind alles Reiserückkehrer, also es sind also keine Infektionen, die hier erworben wurden und natürlich schon gar nicht in Dänemark. Das sind alles Reiserückkehrer, und da haben wir natürlich viele Infektionen. Allein in Deutschland haben wir jetzt schon zehn deutsche Reiserückkehrer, die die Infektion mitgebracht haben. In Italien gibt es ein Dutzend, in Spanien. Frankreich ist natürlich besonders betroffen gewesen, einmal mit den Übersee-Départements: Martinique, Guadeloupe, aber auch Französisch-Polynesien, was betroffen war. Da gibt es natürlich dutzende von Fällen, die nach Deutschland und Europa importiert wurden in den letzten Monaten.
    Infektionen auch in Deutschland möglich
    Krauter: Bisher werden die Infektionen importiert. Wie sicher kann man sein, dass das so bleibt? Ich frage deshalb, weil der Überträger die ägyptische Tigermücke, die auch schon in Südeuropa sich heimisch fühlt inzwischen im Gefolge des Klimawandels, auch schon in Süddeutschland gesichtet wurde. Ist es also vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis man als Europäer gar keine Fernreise mehr machen muss, um sich mit Zika zu infizieren?
    Schmidt-Chanasit: Ja. In dem Fall asiatische Tigermücke müssen wir unterscheiden: Bei uns gibt es die asiatische Tigermücke, die auch in Freiburg, Heidelberg vorkommt. Die kann das Virus übertragen, und insofern ist es durchaus wahrscheinlich, dass es auch bei uns zu Übertragungen kommen kann. Im Sommer, im Spätsommer, wenn Reiserückkehrer das Virus hierherbringen und von dieser Tigermücke eben in Freiburg oder Heidelberg gestochen werden, dann kann die Mücke das auf andere Menschen in dieser Region übertragen. Das ist durchaus denkbar, nur es wird natürlich nicht so einen großen Ausbruch geben jetzt wie in Südamerika. Uns schützt einfach der Winter vor solch großen Ausbrüchen, weil dann ist es eben ganz schnell vorbei mit den Mücken.
    Eine Tigermücke sticht in die Haut eines Menschen.
    Die Asiatische Tigermücke. (picture alliance / dpa / James Gathany/CDC)
    Beim Impfstoff weiter zurück als beim Ebola-Virus
    Krauter: US-Präsident Obama will jetzt die Impfstoffentwicklung gegen das Zika-Virus forcieren. Wie kompliziert ist das bei diesem speziellen Virus? Mit welchem Zeithorizont rechnen Sie da?
    Schmidt-Chanasit: Sicherlich mit Jahren. Wir sind hier viel weiter weg vom Impfstoff als beim Ebola-Virus. Dort hatten wir zumindest schon einen Impfstoffkandidaten, den musste man nur noch durch die klinischen Phasen bringen. Hier haben wir nicht mal einen Impfstoffkandidaten. Das Virus ist lange Zeit nicht erforscht worden, weil es gar keine Relevanz hatte in dem Ausmaß wie Ebola. Aber dass es einen Impfstoff geben wird, da bin ich zuversichtlich, weil wir für verwandte Viren – also Flaviviren, wie zum Beispiel beim Gelbfiebervirus, FSME –, das kann man sehr gut in Deutschland, die sind eng mit dem Zika-Virus verwandt. Dort gibt es sehr, sehr gute Impfstoffe, insofern denke ich, prinzipiell wird es einen Impfstoff geben, aber nicht in den nächsten Monaten. Das wird durchaus einige Jahre dauern.
    Krauter: Was raten Sie aktuell Reisenden, die in Richtung Brasilien aufbrechen wollen?
    Schmidt-Chanasit: Reisenden, die nicht schwanger sind, auf jeden Fall nach Brasilien jetzt nicht die Reise stornieren. Das ist ein wunderschönes Land, sollte man sich nicht entgehen lassen, auch die Olympischen Spiele natürlich nicht. Achten Sie bitte auf den Mückenschutz. Die Infektion ist eigentlich für den Normalgesunden unproblematisch, oftmals wird sie gar nicht bemerkt in 50 Prozent der Fälle. Wenn sie symptomatisch wird, dann ist es nur leichtes Fieber, Hautausschlag, und nach zwei, drei Tagen ist alles vorbei. Also nichts Dramatisches. Für Schwangere, wie gesagt, eine ganz andere Situation: Man sollte die Region meiden, sollte also jetzt nicht nach Brasilien in betroffene Gebiete fahren oder El Salvador, Karibik et cetera sollte man nicht hinfahren. Wenn man das nicht vermeiden kann, muss man unbedingt zur reisemedizinischen Beratung. Muss genau schauen, wo ist das Virus gerade, wo ist ein hoher Infektionsdruck. Muss genau mit dem ärztlichen Kollegen besprechen, was kann ich machen in der Schwangerschaft, wie kann ich mich schützen. Das ist nicht eben mal so pauschal erklärt hier im Interview, das muss man wirklich detailliert besprechen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.