Freitag, 19. April 2024

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Zinssenkung der Zentralbank
"Die EZB ist Getriebene der eigenen Politik"

Die Europäische Zentralbank habe sich in ihrer Glaubwürdigkeit von einem Ziel abhängig gemacht, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Kooths im DLF. Die angepeilten zwei Prozent Inflationsrate könne sie aber gar nicht in dem Maße steuern, wie sie es glauben machen möchte. Die Geldpolitik koste nur Zeit, die dringend nötigen Reformen anzugehen.

Stefan Kooths im Gespräch mit Birgid Becker | 10.03.2016
    Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Stefan Kooths, der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.
    Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Stefan Kooths, der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier )
    Birgid Becker: Mission erfüllt oder Mission impossible? Den Bericht über Mario Draghis Argumente mitgehört hat Professor Stefan Kooths, der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Guten Tag.
    Stefan Kooths: Guten Tag.
    Becker: Herr Kooths, Leitzins null, Strafzinsen ausgeweitet, Ankaufsprogramm rauf auf 80 Milliarden. Die EZB hat nichts ausgelassen, oder?
    Kooths: Richtig. Aber sie verfolgt im Grunde keine neue Strategie, sondern was sie macht, ist mehr vom immer gleichen nach dem Motto: Viel hilft viel. Aber die Verantwortlichen sollten sich mal fragen, warum schon die bisherige Liquiditätsschwemme offenbar nicht das erreicht hat, was man sich davon erhofft hatte. Das weist darauf hin, dass die wirklichen Probleme des Euroraums nicht darin zu suchen sind, dass es zu wenig Liquidität gäbe.
    Becker: Nun hat mit Mehrkaufprogramm für die Anleihen, auch mit dem Strafzinsinstrument ja die Finanzwelt gerechnet. Mit dem Runterschrauben des Leitzinses aber nicht. Ihre Interpretation? Diese Maßnahmenattacke, wofür spricht die? Dafür, dass die EZB die Lage im Euroraum doch deutlich dramatischer interpretiert, als wir das hier von unserer relativ komfortablen deutschen Warte aus wahrnehmen?
    "Eine Zentralbank soll Erwartungen stabilisieren"
    Kooths: Nein, sondern ich interpretiere das eher so, dass sie mittlerweile Getriebene ihrer eigenen Politik ist. Sie wollte die Marktteilnehmer überraschen, aber genau das ist nicht die Aufgabe einer Zentralbank, immer wieder Erwartungen zu schüren, um sie dann möglichst auch noch zu übertreffen, sondern eine Zentralbank soll ja gerade Erwartungen stabilisieren durch eine Politik der ruhigen Hand und nicht immer durch immer neue Geldschwemmen Überraschungen erzeugen, die übrigens natürlich auch in einem Umfeld stattfinden, wo einige ganz erhebliche Interessen daran haben. Wir verteilen hier in erheblichem Umfang auch Vermögenstitel und Einkommen um.
    Becker: Andere Interpretation, wenn man das von so einer hochmögenden Instanz überhaupt annehmen kann: Verliert die EZB, verliert der EZB-Rat womöglich die Geduld oder die Nerven oder beides? Lassen wir den EZB-Chef noch einmal kurz zu Wort kommen.
    (O-Ton Draghi)
    Mario Draghi eben am Nachmittag. Er sagte: "Nehmen wir mal an, wir hätten vor zwei Jahren uns für die Haltung entschieden, nein zu allem, die Konsequenz wäre eine desaströse Deflation gewesen." Das haben wir der Pressekonferenz eben entnommen. Und dieses "Nein zu allem", das war ja ein deutsch gesprochenes Nein. Zeigt das schon, dass Draghi ja doch Nerven zeigt gegenüber der deutschen Haltung, gegenüber den deutschen Kritikern vor allem?
    "Bei der Reformpolitik passiert sehr wenig"
    Kooths: Das mag schon sein. Was derzeit in der EZB mehrheitlich beschlossen wird, widerspricht natürlich allem, was der monetären Tradition in Deutschland geläufig ist. Und dieses Deflationsgespenst, was ja mittlerweile schon zu einem Deflationsmonster aufgeblasen worden ist, kann auch nicht wirklich überzeugen. Wir haben derzeit im Euroraum sogar Rückenwind dadurch, dass wir durch die niedrigen Ölpreise niedrige Verbraucherpreise haben. Das hilft tendenziell diesem Teil der Welt und das sollte die EZB jetzt nicht zum Anlass nehmen, immer mehr Gas zu geben, immer mehr die Dosis zu erhöhen. Sie hat sich in ihrer Glaubwürdigkeit von einem Ziel abhängig gemacht, nämlich der zwei Prozent Inflationsrate, das sie gar nicht in dem Maße steuern kann, wie sie das glauben machen möchte.
    Becker: Zumal das Fatale ja zu sein scheint, dass die EZB bei ihrer Attacke gegen die sinkende Inflationsrate, vor allem gegen den sinkenden Ölpreis kämpfen müsste, und genau gegen den kann sie nichts ausrichten.
    Kooths: Man könnte jetzt flapsig sagen, sie sollte lieber Öl kaufen als immer mehr Staatsanleihen, wenn sie tatsächlich etwas für die Inflation tun will. Nun müssen wir aber hier auch sehen, dass ein Teil dieser Strategie ja darin besteht, angeblich Zeit zu kaufen, um die Konsolidierung der Staatsfinanzen zu erleichtern, und auch, um die Reformpolitik in Gang zu setzen. Da passiert ja sehr wenig. Ganz im Gegenteil! Wir sehen, dass die niedrigen Zinsen immer mehr Finanzminister im Euroraum dazu bringen, Abstand zu nehmen von der Konsolidierungspolitik. Es finden kaum noch Sparanstrengungen statt. Echte Sparpolitik wird sowieso nicht betrieben und damit steigen die Schuldenstände immer weiter und eine Abkehr von dieser ultraexpansiven Geldpolitik wird immer schwieriger, ohne gleichzeitig eine Staatsschuldenkrise auszulösen. Ich komme damit zu dem Schluss, dass diese Geldpolitik keine Zeit kauft, sondern Zeit kostet, die Reformen anzugehen, die dem Währungsfonds tatsächlich wieder auf die Beine helfen könnten.
    Becker: Ist es das, was Sie eben "besondere Interessen" oder "interessierte Kreise" nannten? Es klingt so ein bisschen verschwörungstheoretisch, aber haben Sie den Eindruck, dass die EZB vor allem den Interessen der Staatshaushalte dient?
    "Die Gefahr eines Abwertungswettlaufs ist sehr groß"
    Kooths: Sie ist jedenfalls nicht mehr so unabhängig, wie sie es sein müsste. Sie kann sich derzeit - und das ist gar keine Verschwörungstheorie, sondern einfach eine Beurteilung der Faktenlage -, sie könnte sich derzeit keine Normalisierung der Geldpolitik erlauben, ohne in Kauf nehmen zu müssen, dass einige Länder dann sehr schnell fiskalisch unter Wasser stünden. Das heißt, die europäische Schuldenkrise wäre sofort wieder auf dem Tisch. Sie ist ja nicht gelöst; sie ist ja nur durch die Null-Zins-Politik vertagt.
    Becker: Aber das kann sich auch niemand wünschen, die europäische Schuldenkrise im Zeichen der Flüchtlingskrise erneut serviert zu bekommen.
    Kooths: Absolut! Nur wir müssen ja die Krise irgendwann lösen. Es hat keinen Zweck, sie wie eine Dose immer weiter die Straße hinunterzukicken, sondern wir müssen ja an die Ursachen herangehen, und derzeit führt diese Niedrigzins-Politik dazu, dass wir immer mehr neue Schulden noch oben drauflegen, und die Forderungen werden ja auch schon lauter, dass man das sogar noch beschleunigt tun soll. Meine Interpretation schließt auch ein, dass die EZB durchaus auf den Außenwert des Euros schielt, also eine Abwertung wieder herbeiführen möchte, um damit über die Exporttätigkeit diesem Währungsraum Impulse, konjunkturelle Impulse zu setzen. Aber auch das ist eine hochgradig gefährliche Politik, denn auf die Idee sind auch schon andere in der Welt gekommen. Die Tatsache, dass wir keine zügige Normalisierung etwa in den USA sehen, was die dortige Zinspolitik angeht, hängt auch damit zusammen, dass man einem Erstarken des Dollars sehr vorsichtig gegenübersteht. Nun kann aber nicht jeder gegen jeden abwerten. Das heißt, die Gefahr ist sehr groß, dass wir weltweit in einen Abwertungswettlauf hineingeraten, und das droht dann zu globalem ökonomischem Chaos auszuarten.
    Becker: Dieser Interpretation des verborgenen Währungskonfliktes, der hat sich gerade erst der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump angeneigt. Er hat die Zinssenkung der EZB scharf kritisiert und sagte, die weltweiten Abwertungen der Währungen entwickelten sich zur Gefahr für Arbeitsplätze in den USA. Was Donald Trump dann sinnvollerweise einfiel waren Strafzölle auf Produkte aus dem Ausland. Ich zitiere das, um einfach zu fragen: Dieses Argument der verborgenen Währungskonflikte, ist das nicht eine arg strapazierte Drohkulisse?
    "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir aus dieser monetären Sondersituation herausfinden"
    Kooths: Nein. Erst mal muss man sagen, es ist immer unangenehm, die falschen Freunde zu haben. Man hat lieber anständige Gegner als solche Fürsprecher. Aber das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Weltwirtschaft, dass es zu solchen Konflikten kommt. Und es ist auch die einfachste Variante, um sowohl die Inflation anzuheizen als auch ökonomisch zu stimulieren. Darauf soll die gesamte Politik ja am Ende hinauslaufen. Deshalb muss man hier rechtzeitig warnen, dass hier eine Versuchung besteht, die etwa ein schlimmes Beispiel hat in den Jahren 1929 folgende. Die große Weltwirtschaftskrise damals nehmen ja heute viele zum Anlass, der laxen Geldpolitik das Wort zu reden. Dann muss man aber auch dabei beachten, dass der damalige Ansatz, jeweils immer zu Kosten der übrigen Welt einen schlanken Fuß zu machen, die Weltwirtschaftskrise nochmals massiv verstärkt hat, und genau dieser Gefahr müssen wir begegnen, indem wir möglichst koordiniert darüber nachdenken, wie wir aus dieser monetären Sondersituation so schnell wie möglich wieder herausfinden.
    Becker: Vielen Dank! - Stefan Kooths war das, der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Einen schönen Abend.
    Kooths: Gerne! Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.