Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Zoe-Leonard-Ausstellung im MoMA in New York
Konsumkritik mit einem Hauch Nostalgie

Die Fotografin Zoe Leonard hat für ihr Projekt "Analogue" über Jahre hinweg Fassaden, Schaufenster und Schilder fotografiert - erst in New York, dann auf der ganzen Welt. Ihre quadratischen Bilder werden nun im Museum of Modern Art in New York gezeigt - hübsche Aufnahmen, die jedoch unentschieden wirken.

Von Sacha Verna | 01.07.2015
    Ende der Neunzigerjahre wohnte Zoe Leonard an New Yorks Lower East Side und begann, ihre Umgebung zu fotografieren. Fassaden, Schaufenster und Schilder, die Pfandleiher und Frischfleisch sowie Qualitätsunterwäsche für Damen anpriesen. Es war der Anfang eines Projekts, das den Titel "Analogue" erhielt und die amerikanische Künstlerin bis 2009 quer über den Globus führte.
    Die Matratzengeschäfte und Schuhläden in Zoe Leonards ehemaligem Viertel sind inzwischen schicken Saftbars und Designerboutiquen gewichen. Die gebrauchten Matratzen und Schuhe haben auf Märkten in Kuba, Afrika und Osteuropa noch einmal Käufer gefunden. Die Kuratorin Roxana Marcoci beschreibt "Analogue" als zur einen Hälfte dokumentarisches, zur anderen Hälfte konzeptuelles Werk:
    "Zum konzeptuellen Teil gehören die Fragen, die es stellt: Wie sah das Leben im New York um den letzten Jahrtausendwechsel aus? Was sind die Folgen der Veränderungen, die die Stadtlandschaft seither erlebt hat? Was bedeutet das Verschwinden von Kleinunternehmen im Zuge der Globalisierung, und wie hat sich die Welt insgesamt verändert?"
    Die Fotografien sind je 30 mal 30 Zentimeter gross und im Atrium des Museum of Modern Art gitterartig in 25 Kapitel angeordnet.
    Für alle 412 Aufnahmen hat Zoe Leonard eine Spiegelreflexkamera aus den 1940er-Jahren benutzt.
    "Sie wollte die sich verändernde Welt durch die Linse einer alten Technologie betrachten. Damit weist sie auf den Wechsel von analog zu digital in ihrem eigenen Medium hin und stellt sich zugleich in die Tradition von bedeutenden Fotografen wie Eugène Atget, der in seinem großen Kompendium das Paris um die vorletzte Jahrhundertwende dokumentierte."
    Konsumkritik als Postkartensujet
    Wie bei Eugène Atget sind auf Zoe Leonards Bildern kaum Leute zu sehen. Es sei denn indirekt, etwa als Haarmodelle auf verblichenen Fotos in den Auslagen von Friseuren. Und doch, sagt Roxana Marcoci, gehe es Zoe Leonard bei jeder Aufnahme um mindestens zwei Menschen, nämlich um die Fotografin und den Betrachter ihres Werkes.
    "Menschen sind also durchaus Teil dieses Projekts, auch wenn sie darin nicht unbedingt vorkommen. Dies umso mehr, als all die Gegenstände, die Zoe Leonard fotografiert, ohne die Menschen, die sie hergestellt haben, nicht existieren würden."
    Zoe Leonard ist den Waren und den Logos gefolgt, der sie an der Lower East Side begegnete. Sie reiste Coca-Cola-Bannern nach Trinidad hinterher und T-Shirts, die in gigantischen Bündeln in Veracruz landeten.
    So hübsch diese Aufnahmen sind, so unentschieden bewegen sie sich zwischen dem Anspruch, gesellschaftlich relevant und künstlerisch wertvoll zu sein. Statt eine Bildersprache für eine noch nicht erzählte Geschichte zu erfinden, bedient sich Zoe Leonard explizit altmodischer Mittel und Methoden und erklärt diese zu einem Element ihrer Arbeit. Es ist eine Fotografie, die als Kunst anfängt und deshalb nie über prätentiöse Beliebigkeit hinauskommt. "Analogue" funktioniert nach dem Prinzip Konsumkritik als Postkartensujet, mit einem Hauch Nostalgie. Es fehlen nur noch die Briefmarken und viele Grüße.
    Zoe Leonard: Analogue. Museum of Modern Art, New York, bis 30. August.