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Zoë Lescaze und Walton Ford: "Paläo-Art"
Wie sich Künstler die Vorzeit vorstellen

Auf der Basis von Fossilienfunden wollten sie ein realistisches Bild der Erdgeschichte vermitteln. Doch oft malten die Paleo-Künstler dabei ihre eigenen Ängste. Der Taschen-Verlag gibt mit "Paleo-Art" einen Überblick über eine Kunstform, die in Wissenschaftsdebatten immer wieder instrumentalisiert wurde.

Von Dagmar Röhrlich | 15.10.2017
    Es begann mit einem Aquarell: 1830 malte der englische Geologe Henry De la Bèche, wie Dorset zur Saurierzeit ausgesehen haben mochte. "Duria Antiquor" nannte er das wilde Bild, auf dem so ziemlich jeder jeden frisst. Zwar lag es gar nicht in seiner Absicht, doch dieses Bild sollte ein neues Genre begründen: die Paläoart. Die Entwicklung dieser Kunst, vergangene Welten wieder erstehen zu lassen, stellt Zoë Lescaze in ihrem opulenten Buch vor.
    Walton Ford verfasste das Vorwort zu diesem Buch, in dem Zoë Lescaze elegant und mit Verve beschreibt, wie sich die Paläo-Art von "Duria Antiquor" bis ins Jahr 1990 entwickelt hat. Die Geschichte, die sie erzählt, ist ebenso erstaunlich wie - rückblickend, mit den Kenntnissen von heute - kurzweilig und amüsant.
    So war es zwar immer das Ziel der Paläokünstler, aus den Fossilien heraus ein realistisches Bild der Erdgeschichte zu vermitteln. Doch lange gab es nicht viel, auf dass sie sich hätten stützen können. Das Resultat: Anfangs glichen die Tiere am ehesten mittelalterlichen Drachen.
    Zeitgeist im Spiegel der Erdgeschichte
    Die Szenerie, in die man sie setzte, war meist ausgesprochen dramatisch: Vulkanausbrüche, Blitze und Düsternis dominieren. Denn betrachtet man in diesem Buch die Gemälde und Skulpturen, die im Lauf der Zeit entstanden sind, so fällt auf, dass sie oft Urängste darstellen - fürs angenehme Grauen des Publikums, das sich der Überlegenheit der eigenen Zeit wohlig bewusst werden konnte. Die Paläoart, so schreibt Lescase, spiegelte den Zeitgeist wieder - und sie war durchaus auch Waffe in ideologischen Auseinandersetzungen.
    So setzte sie der entschiedene Evolutionsgegner Richard Owen (seines Zeichens Gründer des Naturhistorischen Museums in London) im Park des Londoner Crystal Palace gegen Charles Darwin ein. Die Rekonstruktion der Dinosaurier sollten deutlich machen, dass die Welt so war, wie es in der Bibel steht. Die Auseinandersetzung zwischen Evolution und Kreationismus war nicht die einzige Debatte, in der die Paläoart instrumentalisiert wurde. Da waren auch die "Bone Wars", die Knochenkriege, Ende des 19. Jahrhunderts: eine spektakuläre Schlammschlacht zwischen Paläontologen, ausgelöst durch einen falsch rekonstruierten Saurier.
    Mammuts und Monster in der Moskauer U-Bahn
    Das Genre brachte jedoch auch prächtige Dekorationen hervor. Etwa die Jugendstilkachelbilder am Aquarium des Berliner Zoos, die als Reproduktionen zu bewundern sind. Oder die Mammuts und Monster, die die Moskauer U-Bahn schmücken.
    Zoë Lescaze schließt mit Ely Kish - einer US-amerikanischen Malerin, die in der Erdgeschichte die Ängste unserer Zeit spiegelte. Sie zeichnete Bilder von Dinosauriern, die eine Klimakatastrophe dahingerafft hatte. Was für ein Unterschied zu dem wilden Trubel auf dem Bild Henry De la Bèches‘, mit dem alles angefangen hat.
    Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte
    Von Zoë Lescaze und Walton Ford
    Taschen Verlag, Hardcover mit 4 Ausklappseiten, 292 Seiten, 75 Euro