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Zoologie
Die Verkehrsregel der Fledermäuse

Dass Fledermäuse in der Luft allenfalls sehr selten zusammenstoßen, ist ihrem akustischen Radarsystem zu verdanken, dem Biosonar. Wie die Tiere allerdings entscheiden, wer wem den Vorflug lässt, war bisher noch ungeklärt. Britische Biologen haben nun herausgefunden: Hier greift eine einzige einfache Regel.

Von Lucian Haas | 27.03.2015
    Eine Fledermaus im Flug
    Kommt eine Fledermaus einer anderen nahe, kopiert eine davon einfach für ein paar Flügelschläge die Flugrichtung der anderen. So ist die Gefahr des Zusammenstoßes gebannt. (imago / imagebroker )
    Wenn Menschen in einer Fußgängerzone unterwegs sind, müssen sie aufpassen, nicht mit anderen zusammenzustoßen. Für den Notfall gibt es immer eine Option: Man bleibt einfach stehen und wartet, bis der andere vorüber ist. Anders bei den Wasserfledermäusen: Wenn sie auf der Jagd nach Insekten gleichzeitig mit anderen knapp über einem Gewässer dahinsausen, braucht es andere Strategien, um Kollisionen aus dem Weg zu gehen.
    "Eine Fledermaus muss ständig fliegen. Sie hat das große Problem: Wenn sie zu langsam wird, fällt sie ins Wasser. Und das ist natürlich das, was sie unter allen Umständen vermeiden will."
    Marc Holderied ist Biologe an der Universität Bristol. Er erforscht, wie Tiere sich mit akustischen Hilfsmitteln orientieren und ihr Bewegungsverhalten untereinander koordinieren. Dafür hat er auch die Jagdflüge von Wasserfledermäusen an einem Teich in England genau studiert. Er filmte ihre Flugrouten mit Kameras. Zudem zeichnete er die Ortungsrufe ihres Biosonars, mit dem sich die Fledermäuse anhand der Echos orientieren, mit Mikrofonen auf. Anschließend wertete er die Flugwege, Rufmuster und Reaktionszeiten mit einem speziellen Computerprogramm aus. Dabei zeigte sich: Die Tiere folgen offenbar einer ganz einfachen Flugverkehrsregel. Marc Holderied erklärt sie aus der Sicht einer Fledermaus.
    "Wenn ich eine andere Fledermaus wahrnehme, und ich nehme sie wahr mit meinem Biosonar, dann reagiere ich darauf mit einer bestimmten Verzögerung. Und die Reaktionszeit ist bis zu einer halben Sekunde. Das ist verdammt schnell, so ein Augenschlag. Und wenn ich mich dann angleiche in meiner Flugrichtung, dann habe ich schon alles gemacht, was ich machen muss, um Kollisionen zu vermeiden."
    Anders gesagt: Kommt eine Fledermaus einer anderen nahe, kopiert eine davon einfach für ein paar Flügelschläge die Flugrichtung der anderen. So ist die Gefahr des Zusammenstoßes gebannt. Im Verlauf der Jagdflüge kann sich daraus freilich ein regelrechtes Hin und Her entwickeln.
    "Was wir gefunden haben, ist, dass es ein sehr dynamisches System ist. Dass es oft so ist, dass eine Fledermaus sich entscheidet, einer anderen hinterher zu fliegen. Und dann innerhalb einer Kurve ändern sich auf einmal die Verhältnisse. Und dann ist auf einmal die, die zuvor die führende Fledermaus war, die folgende Fledermaus. Woher genau diese Entscheidung stammt, wissen wir noch nicht."
    Marc Holderied hat aber durchaus eine Vermutung. Die Fledermäuse hören einander. An der Art der Biosonar-Schreie des anderen können sie erkennen, wenn dieser gerade ein Beute-Insekt entdeckt hat. Schlagen sie nun die gleiche Flugroute ein, steigen auch ihre Chancen, selbst fündig zu werden. Ob die Tiere dabei stets als Futterkonkurrenten handeln, oder ob sie im Gegenteil gezielt gemeinsam auf Jagdflug gehen, um ihre Ausbeute zu erhöhen – das ist eine der Fragen, der Marc Holderied nun mit weiteren Studien auf den Grund gehen will.