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"Zornig geboren"

Olympe de Gouche, die zur Zeit der Französischen Revolution für Frauenrechte stritt, dient der jungen Schweizer Autorin Darja Stocker als Vorlage für ihr Stück "Zornig geboren". In der gemeinsam mit dem Maxim Gorki Theater entwicklten Bühnenfassung überträgt sie den politischen Konflikt in die Gegenwart. Premiere feierte das Stück auf den Ruhrfestspielen.

Von Christiane Enkeler | 05.06.2009
    Als vor rund einem Jahr am Maxim Gorki Theater in Berlin drei Autoren ihre Entwürfe zum Thema "Rebellion und Melancholie" zeigten, da fiel der "taz" ein noch unfertiges Stück von Darja Stocker als "Höhepunkt" auf, und zwar "aufgrund seines ausdifferenzierten Umgangs mit der Frage, was Rebellion ausmacht".

    Das Stück collagiert verschiedene politische Schicksale aus verschiedenen Zeiten und Regionen. Der Text, auf dem die Uraufführung basiert, ist auf Ende April datiert, mit Darja Stockers Zusatz, dass für sie "die Arbeit am Stück noch nicht abgeschlossen" sei. Fragt man sie, spricht sie von der Komplexität der Ebenen und dass auch Thema sein sollte, "mit vielen Sachen gleichzeitig umgehen zu müssen", dass für sie ein "Lernprozess" sei, wie sie die Stränge verknüpfen kann. Das wirkt weniger zögerlich als sorgfältig und ist nachvollziehbar: Das Risiko des Textes ist hoch, weil Bezüge zwar Erkenntnis fördernd, aber als simple Parallelen auch suspekt wirken können.

    Was Darja Stockers Fassung von Ende April angeht, kann man erst mal grob sagen: Sie hat gegen das Risiko gewonnen.

    Nie wolltet ihr Freiheit oder Gerechtigkeit
    Nur Ehrsucht
    Eure "Freiheit" ist ein Palast rundum bewacht von euren Komplizen
    Wir die zu Säulen erstarrten Statuen, die ihn tragen sollen
    Unsere Freiheit steht für sich allein
    Wie könnt ihr behaupten Euer Ziel heißt Demokratie
    Euer erster Beschluss: Die Hälfte der Menschheit auszuschließen ohne die es die Menschheit nicht gäbe


    Olympe de Gouges, während der französischen Revolution hingerichtete Frauenrechtlerin, bildet einen Bezugspunkt des Stückes. Wichtiger als die rudimentäre Handlung sind die Themen von politischem Engagement, die sich über die Figurenbeziehungen vermitteln:

    Sophie, wie die Autorin 1983 geboren, lernt Agrikulturwissenschaft, um mit afrikanischen Bauern zu arbeiten. Ihr Vater ist engagierter Lehrer. Ihre Großmutter, Olivia, saß als politischer Häftling im Konzentrationslager und kann über diese Zeit nicht reden.

    In einem weiteren Handlungsstrang versuchen Afrikaner, Bekannte von Sophie, mit "Hilfe" von Schleppern von Afrika nach Europa zu gelangen. Alle hängen irgendwie zusammen.

    Man muss beim Lesen viele Schlüsse selbst ziehen, so zurückgenommen ist die Sprache. Die äußeren Zusammenhänge erkennt man nur langsam; die Themen vermitteln sich trotzdem. Manches bleibt zwar auch zu vage. Aber dass die Sache so konstruiert ist, verliert sich zu großen Teilen tatsächlich.

    In Darja Stockers April-Textfassung greifen vor allem zwei gestaltende Prinzipien: erstens ein verbindendes, leicht ästhetisierendes - ein Motiv von "Struktur" über allem. Micha reist als abstrakter Maler auf der Suche nach seinem Vater durch die Welt. Sophie kann die gemalten Strukturen als Erdschichten lesen. Und ein trennendes Prinzip: Einzelne Szenen sind in sich abgeschlossene Betrachtungen zum Thema Menschenwürde oder Freiheit. Dieser Text hat keinen "Kern". Die Szenen halten sich gegenseitig in einer Schwebe, die den Themen gut tut.

    "Die Erde, die Erde ist jetzt dunkelrot wie… Jeden Tag spannt sie sich mehr, springt auf, saugt eine Wasserlache mehr in sich hinein."

    Das Hauptproblem von Armin Petras' Inszenierung ist, dass er weder das Struktur-Prinzip - trotz Exkurs, trotz Extra-Improvisation - noch ein menschliches Thema, eine Basis-Konstante herausarbeitet. Diverse Stilmittel, die man woanders auch schon mal gesehen hat, lassen den Abend auseinanderfallen. Es wird plakatiert und geschrien, mit Farbe gespritzt, Modell gefilmt und blutige französische Revolution projiziert. Die "Struktur" wird hier eher zur Farbfläche. Wenn die Darsteller ohne große Hilfsmittel spielen, dann kann es aber auch sehr menschlich werden.

    Im Sommer soll die endgültige Verlagsfassung entstehen, sagt Darja Stocker. Darauf kann man gespannt sein wie auf die nächste Inszenierung, die den Balanceakt wagen will. Die Themen sind wichtig genug.