Dienstag, 16. April 2024

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Zornige Gebete

"Der Schrecken Gottes" ist zweifellos das Buch eines Orientalisten. Aber Navid Kermani hat seine Untersuchung über das Motiv der Klage gegen Gott quer durch die Zeiten und Religionen nicht in wissenschaftlicher Sprache abgefasst, sondern sehr lebendig und persönlich. Um uns mit Hiob bekannt zu machen, erzählt er zunächst von seiner Tante Lobat. Sie war die Güte in Person und musste lange qualvolle Leiden erdulden, bevor sie sterben konnte. Zuletzt schien sie mit Gott zu hadern, so beobachteten es die Verwandten am Krankenbett, denn sie betete mit letzter Kraft, und das klang zornig.

Von Eva Pfister | 19.12.2005
    Hiob ist eine Gestalt aus dem alten Testament, die sich auch im Koran wiederfindet, dort aber ebenso wie in der christlichen Rezeption zum reinen Dulder degradiert ist. Im Judentum hingegen darf Hiob heftig gegen Gott klagen, ohne deswegen verdammt zu werden. Es gibt aber in der persischen Poesie ein Werk, das im frühen 13. Jahrhundert das Motiv von Hiobs Klage aufnahm, nämlich: Faridoddin Attars "Buch der Leiden". Ihm ist Navid Kermanis Untersuchung über Hiob und die metaphysische Revolte im Grunde gewidmet. Man kennt Attar hierzulande am ehesten durch sein Werk "Die Vogelgespräche", das von Peter Brook und von Andrea Breth auf die Theaterbühne gebracht wurde. "Das Buch der Leiden" jedoch wird von der Orientalistik, auch im Iran selbst, zu wenig beachtet, so moniert Navid Kermani. Worin besteht denn die besondere Qualität dieses Werks?

    " Ich wüsste keinen schwärzeren Text der Weltliteratur: Wenn man Gott leugnet, und nicht an das Jenseits glaubt, dann ist all das Elend immerhin zeitlich begrenzt. So schlimm es ist, aber es hat ein Ende. Es gibt ein Nichts. Aber wenn man nicht einmal an das Nichts glaubt, wenn man an die Ewigkeit glaubt, aber nicht an den guten Sinn der Ewigkeit, - dort ist ein Ultimum von Negativität, und von Leiden oder von Verzweiflung formuliert, wie es eigentlich nur möglich ist in einem religiösen Weltbild. "

    In der Rahmenhandlung lässt Attar einen Wanderer des Denkens - auch eine Metapher für die Seele - durch die Welt reisen auf der Suche nach Erlösung. Aber auch bei den Engeln findet er kein Anzeichen von Seligkeit und keine Antwort auf die Plagen des irdischen Daseins. Diese werden im "Buch der Leiden" detailreich ausgemalt. Man findet bösartige Despoten, Betrüger und Verbrecher, aber man findet auch viele Heilige - und viele Leidende, die gegen Gott aufbegehren. Denn der Gott im "Buch der Leiden" kann nicht nur unbarmherzig, er kann sogar grausam und hinterlistig sein. Diesem willkürlich Macht ausübenden, quälenden Gott, standen offensichtlich die weltlichen Herrscher zu Attars Zeiten Modell.

    " Ja, also für Attar ist oft nicht zu sagen, meint er den weltlichen König, den Sultan, den Despoten, oder meint er damit Gott. Eigentlich meinst er beides. Attars Dichtung ist eine der sozialkritischsten dieser Jahrhunderte gewesen, er wird sehr deutlich in seiner Kritik an der Despotie, an der Untoleranz, er wird auch sehr deutlich in seiner Kritik an der Theologie, so religiös er selbst ist. Es ist ein zutiefst humanistisches Buch, weil er immer wieder aufruft zur Nachgiebigkeit, zur Toleranz, zum Verständnis gegenüber denen, die nicht den islamischen Weg gegangen sind. "

    Attar kannte das Leiden aus seiner Zeit, in der Kriege, Hungersnöte und Erdbeben Persien heimsuchten. Es war eine Zeit wie die des 30jährigen Kriegs, meint Navid Kermani, und darum sei es wohl kein Zufall, dass von den deutschen Dichtern am ehesten Andreas Gryphius mit Attar zu vergleichen sei. Kermani knüpft jedoch vielfältige Bezüge zur europäischen Kulturgeschichte; er zeigt den Weg einer Gegen-Theologie auf, die sich vom alten Testament über die islamische Mystik bis Georg Büchner, Heinrich Heine und Samuel Beckett erstreckt. Neben den verzweifelnden, leidenden Anklägern gehört dazu natürlich auch der Satan, der aber bei Attar in ganz anderer Aufmachung erscheint, als man es im christlichen Religionsunterricht gelernt hat.

    " Der Satan in der islamischen Mystik spielt eine sehr faszinierende und bis heute auch verstörende Rolle. Der sufische, der islamische Mythos von Satan lautet nicht, dass Satan einfach der böse ist. Satan ist verstoßen worden von Gott, weil er Gottes Befehl nicht gehorchen konnte. Gott hat, als er die Menschen erschaffen hat, den Engeln befohlen, sich vor diesem neugeschaffenen Menschen niederzuknien, ihm zu huldigen. Alle Engel haben das getan, bis auf Satan, Iblis, der sich weigerte, weil er sagte: "Ich liebe Gott zu sehr, ich kann mich nur Gott hingeben". Und daraufhin hat Gott ihn verstoßen. Er ist gewissermaßen ein Exilant, der durch den Kosmos, durch die Welt reist, und in der islamischen Mystik, bei einigen Dichtern, auch bei Attar, zum Vorbild des Monotheismus wird. Er hat Gottes Gebot mehr beachtet als Gottes Befehl - und er hat sogar die Verachtung, die Verdammung auf sich genommen, weil er einfach sich nicht von Gott abwenden wollte. Und Attar besingt diesen Mythos natürlich in allen Farben, für ihn ist Satan das Beispiel des Liebenden schlechthin, der von einer grausamen Geliebten gequält wird. Diese Art Protest gegen Gott, wie im Buch Hiob, ist ja nur möglich und denen gestattet und für die legitimiert, auch theologisch legitimiert, die Gott am Nächsten stehen: die Heiligen und die Narren. Es ist also kein Protest gegen irgendeinen willkürlichen Gott, der irgendwo fern steht, sondern es ist ein Protest gegen das, was diesen Leuten, diesen Heiligen, diesen Narren, am allerwichtigsten ist im Leben. "

    Im Judentum und auch im Islam, so betont Kermani, habe die Klage gegen Gott in der Religion, in der Frömmigkeit selbst ihren Platz, während im Abendland die Kritik an der empfundenen Ungerechtigkeit von der Theodizee, also der Rechtfertigung Gottes verdrängt wurde, so dass sie bei den Philosophen und Dichtern ihren Platz gefunden hat. Man spürt beim Lesen dieser spannenden Kulturgeschichte über den "Schrecken Gottes", dass Navid Kermanis Buch - ebenso wie das von Attar - ein Plädoyer für Humanismus und Toleranz ist, dafür, die Kritik in der eigenen Gesellschaft und Religion zuzulassen, und zugleich das Eigene auch in der fremden Kultur nicht zu übersehen.

    Navid Kermani: "Der Schrecken Gottes" - Attar, Hiob und die metaphysische Revolution"
    Verlag C.H.Beck, München 2005, 335 S., 24,90 Euro