Donnerstag, 28. März 2024

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Zu Besuch bei Deutschlands Regionalzeitungen
Die Zukunft ist jetzt

Über die Zukunft der Tageszeitung wird seit Jahren ausgiebig diskutiert - so lange schon, dass die Zukunft eigentlich schon längst angefangen haben müsste. Und tatsächlich hat sie das auch. Das zeigt sich, wenn man sich das Hier und Jetzt der deutschen Regionalzeitungen anschaut.

Von Christoph Sterz | 30.08.2014
    Tageszeitungen stecken in Frankfurt am Main an einem Zeitungsstand.
    Welche Tageszeitungen stellen sich dem Medienwandel? (Frank Rumpenhorst, dpa picture-alliance)

    Station 1: Die "Rhein-Zeitung"

    Die Reise beginnt in einem Industriegebiet am Stadtrand von Koblenz, mit malerischem Blick auf eine Papierverwertung. Die "Rhein-Zeitung" ist hier zu Hause, aber nicht nur hier - auch im Netz tummelt sie sich, Ende 1995 war sie die erste deutsche Zeitung mit einem eigenen Online-Dienst - und wenn irgendeine Regionalzeitung online längst angekommen sein müsste, mit funktionierender Digitalstrategie, dann wohl die "Rhein-Zeitung". Tatsächlich lässt sich hier schon seit ein paar Jahren finden, womit andere Redaktionen immer noch herumexperimentieren: ein fester Social-Media-Redakteur zum Beispiel - und seit fünf Jahren eine Multimedia-Reporterin, aktuell Jennifer de Luca. Sie dreht Videos, macht Fotos und schreibt Texte, alles für rhein-zeitung.de - und immer erkennbar an den Utensilien, die mit einer klassischen Zeitung nichts zu tun haben.
    "Ich hab meine VJ-Kamera, das ist schon ein ordentliches Ding, ein richtig professionelles, natürlich Mikrofone, die dazu gehören, dann Licht und so weiter und so fort, dann habe ich ein iPhone und ein iPad mit der jeweiligen Ausstattung, auch mit Mikrofon und mit allen möglichen Apps, die man für das Mobile Reporting so braucht. Einen Dienstwagen, mein RZ-Mobil, was im großen Kofferraum, das ist so ein großer Caddy, wo viel Platz drin ist, auch einen kleinen Klappschreibtisch hat, wo ich auch mich reinsetzen kann und am Tisch quasi arbeiten kann. Und dann habe ich noch einen Rucksack mit allen möglichen Ladegeräten, einer Flip-Kamera, einem ordentlichen Fotoapparat, ach so, einen Block und einen Stift hab ich auch. Ganz analog."
    "Wir wollen einfach crossmedial arbeiten"
    Jennifer de Luca ist gerade zurück von einer Pressekonferenz der Polizei wegen einer großen Razzia in Koblenz. Von dort hat sie einen Liveticker geschrieben, dazu ein Video gedreht, eine Online-Umfrage gestartet und Leserbilder in einer Galerie zusammengestellt. Die Multimedia-Reporterin kümmert sich vor allem um bunte Themen, ist im Verbreitungsgebiet inzwischen bekannt mit ihrem großen Rucksack und dem blauen Kugelmikro, das sie hält, während sie gleichzeitig filmt - die Arbeit als Multimediareporterin gehört ganz selbstverständlich zum Geschäft einer Regionalzeitung, meint Jennifer de Luca.
    "Wir wollen einfach crossmedial arbeiten. Genauso wie wir sagen als Zeitung: Wir wollen auch online sein, wir wollen einen Ticker haben von Ereignissen direkt live, wir machen Livestream mit dem Handy, wir machen große Fotostrecken, so wollen wir auch Bewegtbild haben. Das gehört einfach mittlerweile dazu, das ist crossmediales Arbeiten - und wenn wir es können und wenn wir jemanden dafür haben, dann machen wir das auch."
    #huiwäller - roman #weidenfeller wurde in seiner heimat #nentershausen empfangen. mein video: http://t.co/AY69fS8Vkd pic.twitter.com/TD2u2kScxI— ☀️ Jennifer de Luca (@die_jennifer) 8. August 2014
    So twittert "Rhein-Zeitungs"-Redakteurin Jennifer de Luca von einer Veranstaltung.
    Und damit die "Rhein-Zeitung" das machen kann, kümmern sich sechs Onliner um die Seite, in enger Zusammenarbeit mit den Printredakteuren. Das meiste ist Alltagsgeschäft, kurze aktuelle Texte auf der etwas angestaubt wirkenden Homepage; denn auch wenn die "Rhein-Zeitung" früh dran war, so hat sie aktuell eine Seite, die sich auf den ersten Blick kaum positiv unterscheidet von den Auftritten vieler anderer Regionalzeitungen. Aber das Angebot hebt sich auf den zweiten Blick dann doch ab vom Standard, eben mit den schon erwähnten Videos, mit dem zurzeit pausierenden Rheinstagram, mit dem über die Foto-App Instagram lokale Fotos eingesammelt werden sollen, und manchmal auch mit aufwendigen Dossiers, auf die der Digitalchef Marcus Schwarze besonders stolz ist - lange Geschichten sind das dann zum Beispiel über einen Mann in Koblenz, der es vom Tellerwäscher zum Millionär geschafft hat.
    "Beispielsweise ist da eine Karte eingebaut, und wenn ich dann hier über einzelne Standorte fahre, bekomme ich Näheres zu den Häusern angezeigt. Eine kleine aufwendige Grafik, die so im Print natürlich nicht geht. Wir haben hier Fotostrecken dazu, wir haben die Geschichte sehr ausführlich mit Zwischenüberschriften markiert. Wir haben hier als größeres Highlight eine Zeitleiste eingebaut, die also praktisch noch mal den Werdegang dieses Menschen darstellt, größere Unterlagen. Und das ist eine riesige Lesegeschichte auf einer einzelnen Seite. Zwischendurch erscheint dann auch mal ein Video, Selbstdarstellung des Unternehmens, ein bisschen tonanimiert. Da kann man ein bisschen sehen, was sich da in den Häusern so tut. Das ist eine Geschichte, wo ich sage: Regional, aufwendig gemacht, hat Spaß gemacht und ist eine schöne Lesegeschichte von meinem Kollegen Hartmut Wagner und dem Lokalchef Ingo Schneider geschrieben und online so umgesetzt, dass man da gerne durchscrollt."
    "Hunderte, tausende Augen und Ohren da draußen"
    Solche Dossiers sind aber die Ausnahme - und werden es auch bleiben - weil sie sehr aufwendig und teuer sind. Was bei der "Rhein-Zeitung" dagegen jeden Tag wichtig ist, sind die Social-Media-Kanäle; mit den Jahren hat die Redaktion gelernt, dass es sich lohnt, vor allem Facebook immer im Blick zu haben - auch wenn das Zeit und damit Geld kostet; es zahlt sich am Ende für die Zeitung aus; aber nicht, weil auf einmal Tausende Nutzer die geposteten Inhalte teilen und so mehr Leute auf rhein-zeitung.de gehen; es hat sich eher in eine andere Richtung entwickelt.
    "Also eigentlich ist es mehr der Kanal von draußen nach drinnen. Die können uns fragen: Warum kreist hier der Polizeihubschrauber? Die können uns auch auf Fehler hinweisen, die wir mal haben. Und die weisen uns vor allem auf Themen hin. Themen, die wir gar nicht selber auf dem Plan haben. Und diese hunderte, tausende Augen und Ohren da draußen, die sind eine Hilfe für uns, die man nicht bemessen kann. Wir haben vielleicht drei, vier, fünf Geschichten in der Woche, die nur darauf basieren, dass jemand über Social Media in Kontakt zu uns getreten ist. Und darum geht's."
    Und worum es am Ende natürlich auch trotzdem immer geht, das sind die Zahlen; und das Geld, das ausgegeben beziehungsweise idealerweise auch eingenommen wird. Denn auch die "Rhein-Zeitung" ist ein Wirtschaftsunternehmen; das hat sich ganz konkret Ende letzten Jahres gezeigt, als die Lokalredaktion in Mainz geschlossen wurde, aus Kostengründen. Aber auch wenn das meiste Geld immer noch durch Abos und Print-Anzeigen reinkommt: Rhein-Zeitung.de ist laut Marcus Schwarze zumindest schon mal aus den roten Zahlen raus.
    "Ich kann jetzt keine konkreten Zahlen nennen, aber wir kommen zu stattlichen Summen bei den Einnahmen. Zwei Drittel durch Anzeigen, ein Drittel durch Nutzer. Zusätzlich zu den Anzeigen, die wir online, im Digitalen verkaufen, zahlen unsere Nutzer bereits für digitale Inhalte. Das sind unsere E-Paper-Abonnenten, das sind auch die Tagespass-Käufer, wir haben eine Bezahlschranke auf rhein-zeitung.de. Und wir haben kleine Summen, die sich halt einfach zu größeren Summen ergeben."
    Online ist unverzichtbarer Bestandteil des Regionaljournalismus
    Die erste Regionalzeitungs-Station zeigt also Folgendes: Online ist unverzichtbarer Bestandteil des Regionaljournalismus, Online bringt die Lokaljournalisten wieder näher an die Nutzer ran und liefert zusätzliche Inhalte. Außerdem ist die Zeit der Online-Experimente vorbei; mit Online muss Geld verdient werden, und mit seriösen Digitalangeboten lässt sich inzwischen auch Geld verdienen; bisher noch zu wenig Geld; allen Bemühungen zum Trotz. Das ist ein Problem, weil Zeitungsverlage nun mal Geld verdienen müssen - heißt also: Vielleicht muss das Geld auch eingespart oder anderswo erwirtschaftet und die Abläufe komplett verändert werden. Wie das gehen kann und wozu das führt, das zeigt sich bei der zweiten Etappe der Regionalzeitungs-Expedition.

    Station 2: "Nordkurier"

    Cara kommt angelaufen, schnuppert ein bisschen am Besucher herum und springt an ihm hoch, auch wenn das ihr Herrchen nicht so gerne sieht. Ihr Herrchen heißt Lutz Schumacher, und der ist nicht nur Hundebesitzer, sondern auch noch Geschäftsführer und Chefredakteur in einer Person. Schumacher ist seit knapp sieben Jahren beim "Nordkurier" in Neubrandenburg, er hat den Laden komplett umgekrempelt, wie er selber sagt; und ihn nach eigener Meinung fit gemacht, um im Verbreitungsgebiet nördlich von Berlin bis zur Ostsee, also in einer extrem strukturschwachen Region, bestehen zu können.
    "Alle Kennzahlen, die man dazu aufrufen kann, sind bundesweit im negativen Sinne führend. Es ist auch eine sehr arme Region. Dementsprechend, das haben wir schon vor Jahren erkannt, muss man schon auch ein paar alte Zöpfe abschneiden und unkonventionell arbeiten. Wenn man nicht bereit ist, sich zu verändern, oder sagt: ja, Veränderung können immer nur oben drauf kommen, also ich lasse alles, wie es ist und dann mache ich noch neue Sachen - das wird hier wirtschaftlich nicht funktionieren. Ich glaube, das ist ein bisschen der Erfolgsweg, dass wir relativ früh bereit waren, uns wirklich an Fuß und Gliedern zu erneuern."
    Ein Zusteller (Briefträger) vom Nordkurier Briefdienst und Paketservice hat in Stralsund sein Rad auf der Straße abgestellt, an dem das Logo der Firma zu sehen ist.
    Der "Nordkurier"-Verlag gibt zwar nach wie vor eine Zeitung heraus, ist aber gleichzeitig auch Postzusteller. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    "Paradies für Menschen, die sich gerne mit GmbH-Recht beschäftigen"
    Und dieses Erneuern, das sieht beim "Nordkurier" ähnlich aus wie bei vielen anderen Regionalverlagen - aber der diplomierte Kaufmann Lutz Schumacher ist beim kreativen Unternehmensumbau besonders konsequent gewesen: Der Kurierverlag gibt zwar nach wie vor eine Zeitung heraus, ist aber gleichzeitig auch Postzusteller. Außerdem ist der Verlag beteiligt an einem regionalen Radiosender, besitzt zwei lokale Fernsehstationen; betreibt ein Tourismusportal; druckt für seine Kunden Prospekte und Magazine im nigelnagelneuen Druckzentrum; und ist ein wahres Paradies für Menschen, die sich gerne mit GmbH-Recht beschäftigen: Waren es 2006 noch zehn 100-prozentige Tochterunternehmen, so sind es heute über 40. Wenigstens auf dem Papier. Allein im Haupthaus in Neubrandenburg haben neun Unternehmen ihren Sitz, zumindest steht das so auf dem Schild am Eingang: Da ist zum Beispiel die Kurierverlags GmbH & Co. KG, die Nordost-Medien GmbH & Co. KG, die Nordost-Redaktion GmbH & Co. KG, die Nordost-Sport GmbH & Co. KG oder die Nordost-Honorar GmbH & Co. KG. Dazu kommen noch die GmbHs der Zustellvertriebe, und oben drauf noch die Lokalredaktionen, die sind nämlich ebenfalls ausgelagert, in vier Regionalverlage. Laut Schumacher liegt das daran,
    "dass also Marktbearbeitung und neue Entwicklung von Produkten und so weiter schon in kleinen Einheiten schneller und konsequenter vorangetrieben werden können als in großen Organisationen, die dann ja auch immer vom Tempo her ein bisschen anders arbeiten. Und ich glaube, dazu ist die Zeit einfach nicht mehr da, dass man eben große Organisationen durch so Veränderungsprozesse schickt. Das geht mit vielen kleinen Beibooten schneller."
    Einzelne Bilanzen müssen für die Unternehmenstöchter übrigens nicht vorgelegt werden. Besonders transparent ist das alles also nicht. Zumindest aber sagt Schumacher auf Nachfrage, dass sich die Rendite auf rund fünf Prozent beläuft - und dass die Gewinne vor allem durch die Postzustellung reinkommen. Das steht beispielhaft für viele andere Verlage: Es wird noch Geld verdient, zum Teil nach einem kräftigen Unternehmensumbau; aber deutlich weniger als früher.
    Mini-Betriebsräte statt Gesamtbetriebsrat
    Und auch wenn Schumacher das natürlich abstreitet, so hat die Sache mit den vielen GmbHs noch einen ganz angenehmen Effekt für die Geschäftsleitung: Die Angestellten können sich nicht mehr so gut organisieren wie in einem Unternehmen, das nicht so massiv zergliedert ist. Einen Gesamtbetriebsrat, den gibt es hier nicht mehr; für die Gewerkschaften ist es schwer geworden, die Interessen der Mitarbeiter zu vertreten, sagt Iris Diessner, Betriebsratsvorsitzende im Regionalverlag Peene-Müritz.
    "Dass wir als Mini-Betriebsräte nicht sehr viel erreichen können, das haben wir leider auch gemerkt. Wir können versuchen, die Stimmung der Leute aufzugreifen, wir können versuchen, diese Stimmung den jeweiligen Geschäftsführern der Töchter zu vermitteln, wir können versuchen, mit ihnen in Verhandlungen zu treten über bestimmte Erleichterungen. Und das gelingt mal mehr und mal weniger, und wenn ich ehrlich bin, meist weniger."
    Lutz Schumacher würde am liebsten mit jedem einzelnen Redakteur ein leistungsbezogenes Gehalt festlegen; das wäre gerechter, meint er - während die Gewerkschaften befürchten, dass so ein Modell für die meisten Mitarbeiter ganz klar eines bedeuten würde: weniger Lohn, noch weniger.
    Redaktioneller Hinweis: Aus juristischen Gründen musste an dieser Stelle ein Zitat aus dem Sendemanuskript sowie aus der Audio-Datei entfernt werden.
    Der Geschäftsführer und Chefredakteur verweist beim Thema Gehalt auf die Wirtschaftslage der Region, in der der "Nordkurier" erscheint. Die Löhne seien angemessen, das Einstiegsgehalt nach dem Volontariat liege bei 2600 Euro brutto; zum Teil werde auch übertariflich bezahlt. Und dass der Verlag an allen Ecken und Kanten spart, das stimmt tatsächlich nicht: Vor einem Jahr wurde die Mantelredaktion wieder neu gegründet, nachdem der überregionale Teil der Zeitung fünf Jahre lang zusammen mit der "Schweriner Volkszeitung" produziert wurde; insgesamt 120 feste Redakteure leistet sich der Verlag nun, dazu 14 Volontäre und 7 Mediengestalter; über 30 Niederlassungen gibt es, oft kleine Büros, aber eben auch vier regionale Desks - noch so ein Projekt von Schumacher, ein weiteres Beispiel dafür, was die Regionalzeitungen in Deutschland in ihrer internen Organisation umgestellt haben.
    Das Prinzip des fliegenden Reporters
    Zu Besuch beim Regionalverlag Südvorpommern in Anklam, kurz vor der Ostsee - hier stellen acht Redakteure zusammen, was von den lokalen Reportern geliefert wird - die Lokalredaktion, die alles vom Text bis zum Layout selbst macht in der lokalen Geschäftsstelle, die gibt es nicht mehr beim "Nordkurier", erklärt der Leiter des Regionalverlags, Jürgen Mladek.
    "Unsere Reporter haben eine regionale Verantwortung. Wir haben Regionen definiert, für die der Reporter zuständig sein will. Der Reporter hält aus eigener Verantwortung die Kontakte zu den Themen, zu den lokalen Akteuren. Die Rückmeldung erfolgt hier an den Desk, was gerade aktuell anliegt. Dann kann man sich gemeinsam überlegen, ob man die Online-Nutzung in den Mittelpunkt stellt und definiert, dass es Vorabmeldung gibt. Es gibt gemeinsame Überlegungen, wie man Themen illustrieren kann, es wird gleich schon beraten, wie man sie platziert, in welchem Umfang, der Austausch mit den Partnerredaktionen aus unserem Verlag besprochen, Rückmeldung ans Haupthaus erfolgt, welche Themen sich anbieten für eine Nutzung auf den Landesseiten. Und dann geht's los."
    Zum Prinzip des fliegenden Reporters, der unentwegt in der Region unterwegs ist, kommt beim "Nordkurier" noch eine Sache dazu, die zum neuen Geschäftsmodell gehört: Die Reporter schreiben nicht nur für die Tageszeitung, nicht nur für den Online-Auftritt, sondern auch für Publikationen, die mit wenig Aufwand zusätzliches Geld bringen sollen.
    "Hier sieht man zum Beispiel, das ist ein touristisches Produkt für die Insel Usedom, das sich an die Touristen richtet. Es gibt die Wochenblätter für die Region, hier ist der ‚Greifswald Kurier' zum Beispiel. Hier machen wir noch so andere Dinge, zum Beispiel in Anklam gibt es das größte Trabbitreffen der Welt, sagen wir selbstbewusst. Ein Extrablatt zur Ankündigung, das in der ganzen Region erschienen ist. Das Material haben wir, im Laufe der Jahre liegt das vor, da gibt es auch ein Expertenwissen dann natürlich, wo man dann eine kleine Kraftanstrengung unternimmt und sagt: Mensch, lass uns was draus machen aus den Dingen, die wir schon haben, kann man auch ein bisschen was für die Finanzierung dessen tun, was wir hier für die Region tun."
    Am Ende geht es immer noch um Journalismus
    Mit all diesen Methoden macht der "Nordkurier" längst, wozu zum Beispiel die Macher vieler Regionalzeitungen in NRW gerade erst übergehen, wie die "Rheinische Post" in Düsseldorf oder der "Kölner Stadtanzeiger": Mehrere Standbeine, möglichst leistungsbezogen und unabhängig von Tarifverträgen und Gewerkschaften und vor allem viel stärker betriebswirtschaftlich gesteuert als noch zu Zeiten satter Renditen. Gleichzeitig betont der "Nordkurier" aber seine Eigenständigkeit mit der eigenen Mantelredaktion; während das bei anderen Medien wie der "Westdeutschen Zeitung", der "Leipziger Volkszeitung" oder der "Münchner Abendzeitung" deutlich anders aussieht. Nur: Am Ende geht es immer noch um Journalismus, um regionale und lokale Inhalte; und vor allem um die eigene Kundschaft, um den Leser. Und den muss man erst mal auf seine Seite bekommen, oder wieder auf seine Seite bekommen.

    Station 3: "Nordbayerischer Kurier"

    In der Fußgängerzone von Bayreuth. Hier ist der "Nordbayerische Kurier" zu Hause, mit einer Auflage, die genau wie an jedem anderen Ort Jahr für Jahr kleiner wird - und mit Lesern, die nicht unbedingt alle als glühende Verehrer des Kuriers bezeichnet werden können.
    - "Mittlerweile ist er ein bisschen besser geworden, seit der neue Chefredakteur da ist, da kaufe ich den ab und zu. Aber unter der Woche ist mir das zu langweilig."
    - "Der Inhalt ist der Inhalt einer Provinzzeitung. Wir lesen außerdem noch überregionale Zeitungen, um wirklich die politischen Inhalte, vielleicht auch aus dem Ausland, mitzukriegen. Aber ich lese den ‚Nordbayerischen Kurier' wegen des Bayreuther Teils."
    - "Ich hab ihn in elektronischer Form. Er ist knapp, sind 18 Seiten oder so am normalen Arbeitstag. Ist völlig in Ordnung, ist halt eine gute Zeitung, also eine normale Zeitung."
    - "Das kenne ich alles schon. Letzten Endes schaue ich bloß die
    Todesnachrichten und wo ich was einkaufen kann. Und welche Gaststätte offen hat und den Sportteil noch und Ende."
    Im kleinen Konferenzraum, im Industriegebiet, direkt neben der riesigen Zigarettenfabrik und der vorbeirauschenden A 9, sieht man die Sache mit den Inhalten etwas anders. Hier entsteht der "Nordbayerische Kurier", und hier ist man stolz darauf, schon seit einiger Zeit inhaltlich vieles anders zu machen als früher - hier ist der zeitgemäße Lokaljournalismus zu Hause; dieser Ansicht sind die meisten Mitarbeiter, allen voran Chefredakteur Joachim Braun, seit 2011 in Bayreuth.
    Joachim Braun, Chefredaktur des "Nordbayerischen Kuriers"
    Joachim Braun, Chefredaktur des "Nordbayerischen Kuriers": "Wir haben das Blatt komplett umgedreht" (picture alliance / dpa / ecomedia / Robert B. Fishman)
    "Wir haben das Blatt komplett umgedreht, wir haben einfach viele neue Dinge eingeführt, und vor allen Dingen planen wir die Zeitung sehr intensiv inzwischen voraus und machen nicht eine Zeitung, wo sich dann am Morgen entscheidet: Der stärkste Termin wird der Aufmacher, sondern wir suchen uns unsere stärksten Geschichten selber."
    Auch lokale Würdenträger hart rannehmen
    Es geht trotzdem auch beim "Nordbayerischen Kurier" um die klassischen lokalen Themen: Um den Mangel an Busfahrern, um Ampeln und Baustellen, um volle Kitas und leere Schulen, aber es gibt zwei Dinge, die der "Nordbayerische Kurier" anders macht als früher: Erstens: Die Zeitung nimmt auch lokale Würdenträger hart ran, erfüllt also ihre Aufgabe als kritischer Begleiter des Tagesgeschehens.
    "Der Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth war sauer auf unseren neuen Kurs, nachdem ich hier angefangen hatte, und hat sich gedacht: Ich mache jetzt meinen Wahlkampf allein basierend auf meiner großen Zahl an Facebook-Freunden und mit irgendwelchen Aktionen in der Stadt. Und er hat sich dann zum Schluss sogar geweigert, an der Kandidaten-Podiumsdiskussion teilzunehmen, und er wurde abgewählt. Und die CSU war in der Zeit stinkesauer auf mich, Teile sind es nach wie vor. Aber ich gehe dann auch, notfalls auch ohne Einladung, zum CSU-Neujahrsempfang und rede dann mit den Leuten. Man muss halt einfach dann auch das Echo aushalten können."
    Für den zweiten Teil seiner Reform brauchte Joachim Braun ebenfalls ein ziemlich breites Kreuz - er entschied sich nämlich, die klassische Vereinsberichterstattung aus dem Blatt zu schmeißen. Stattdessen erscheint nun jeden Freitag "Mein Verein", eine über 40 Seiten dicke Beilage, mit weitgehend unredigierten Mitteilungen der Vereine aus der Region, von der Allgemeinen Baugenossenschaft bis zum Wanderverein.
    "Wir versuchen, dass wir Vereinsberichterstattung sehr wohl machen. Aber nicht mit dem Anlass Jahreshauptversammlung, sondern Vereinsberichterstattung bezogen auf die Menschen, die da sind. Über Porträts, einfach über besondere Ereignisse, aber nicht mehr dieses rein Chronistische."
    "Die Lokalzeitungen in Deutschland sind einfach nicht gut"
    Aber auch wenn die Redakteure so wie bei der Blattkritik am Mittag alles in allem zufrieden sind mit der neuen inhaltlichen Ausrichtung, mit der höheren Qualität, mit der Rückbesinnung auf eigentlich selbstverständliche journalistische Aufgaben: Die Auflage sinkt weiter, und wie auch bei der "Rhein-Zeitung" und dem "Nordkurier" lässt sich online noch nicht das große Geld verdienen. Trotzdem glauben die Mitarbeiter vom "Nordbayerischen Kurier" daran, dass sie das Richtige tun mit ihrer Qualitätsoffensive, dass sie in dieser Gegenwart des Lokal- und Regionaljournalismus auch gar keine Wahl mehr haben - dass sie aber gleichzeitig Exoten sind, dass es in vielen Redaktionen noch nicht so läuft. Das bringt am Ende der Reise noch einmal die Redaktionsleiterin Region und Kultur, Christina Knorz, auf den Punkt, ein Appell für Qualität im Lokalen.
    "Die Lokalzeitungen in Deutschland sind, wenn man da einen Schnitt durch macht, einfach nicht gut. Die sind langweilig, das sind Verlautbarungsorgane von Entscheidern, das hat nichts mit Journalismus zu tun, wie er gemacht werden sollte. Die Texte sind unverständlich, bürokratisch, es ist unattraktiv, man schlägt es auf und will gleich weglaufen. Ich kann verstehen, dass Menschen so eine Zeitung nicht kaufen wollen. Ich würde das auch nicht tun. Aber es liegt ja an uns, dass wir uns zurückbesinnen, was wir eigentlich tun sollten und das deshalb dann auch machen."
    Was die Inhalte angeht, sind Zeitungen wie der "Nordbayerische Kurier" also aufgewacht; berichten zeitgemäß, aber oft, ohne dass die potenziellen Leser das sofort merken - wie sollen sie das auch mitkriegen, wenn sie die Zeitung nicht lesen, nicht auf die Homepage gehen, oder sie wegen der Bezahlschranke wieder schnell verlassen?
    Das ist das Hauptproblem des "Nordbayerischen Kuriers", der "Rhein-Zeitung", "des Nordkuriers" und aller anderen Regional- und Lokalzeitungen, die schon reagiert haben, die Dinge anders machen online, inhaltlich, geschäftlich - die aufgewacht sind, und nur deswegen überhaupt noch die Chance haben, die Sache wieder in den Griff zu kriegen. Diese Zeitungen, sie haben also eine Gegenwart - und wenn sie die nicht hätten, dann müsste auch niemand lange nachdenken über die Zukunft der Zeitungen.