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Zu schwer für den Ingenieur

Ein Ingenieur muss rechnen können, doch für viele Studienanfänger sind die Formeln und griechischen Buchstaben zu schwer. Viele brechen das Studium ab. An der Ruhr-Universität Bochum wird deshalb anders gelehrt und gelernt.

Von Aeneas Rooch | 27.08.2010
    "In den Vorlesungen sitzt man halt rum, in der Oberstufe hat man das vorher noch nie gesehen, und dann ist man erst mal schockiert, und man kann gar nicht folgen – zu schnell und auch die ganzen Bezeichnungen, und diese ganzen Buchstaben, da kann man nicht folgen."

    Für viele Maschinenbaustudenten im ersten Semester ist Mathe eine Horror-Veranstaltung.

    "Sie müssen hier ja sehr große Stoffmengen aufbereiten, die über ein oder zum Teil auch mehrere Semester verteilt gelehrt werden und die dann für eine Klausur parat sein müssen."
    Roland Span ist Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Der Ingenieur kennt das Problem seiner Erstsemester: Mathematik. Wesentlich schneller als an der Schule müssen die Anfänger anspruchsvolle Formeln und Rechentechniken lernen.

    "Und das schafft man nicht, indem man sich in den Wochen vor der Klausur hinsetzt und büffelt, sondern da muss man kontinuierlich dranbleiben. Und das ist was, was manche Schülerinnen und Schüler von der Schule erst einmal nicht mitbringen."

    Und genau das, vermutet der Ingenieur, sorgt für die hohe Abbrecherquote: In Bochum brechen 40 Prozent der Anfänger ihr Ingenieurstudium ab, die meisten davon innerhalb der ersten Semester.
    "Ist halt viel Stoff in kurzer Zeit. Viel zu lernen. Ich glaube nicht, dass ich das irgendwann gebrauchen werde, deswegen haue ich mal wieder ab, so war das halt bei uns.

    Die Übungsgruppen bringen nicht wirklich was, der Dozent rechnet das vor, das war's, aber es gibt kaum Erklärungen dazu, nach sieben, acht Vorlesungen habe ich aufgehört. Nach einer Zeit, wenn man da nicht mitkommt, macht das ja auch keinen Sinn."

    Die Bochumer Mathematiker wollen Abhilfe schaffen und haben ein Projekt erarbeitet, mit dem Namen "mp-Quadrat". Es besteht aus den beiden Teilen "Mathe 1 Plus" und "Mathe 2 Praxis".

    Im ersten Teil, "Mathe 1 Plus", soll den Anfängern der harte Übergang von der Schule zur Uni erleichtert werden, und zwar, daher der Name, mit einer Zusatzübung, sozusagen Förderunterricht auf Uni-Niveau. Bevor die angehenden Ingenieure in ihre Rechenübung gehen, müssen sie natürlich die Vorlesung nacharbeiten. Das wird jetzt aber gemeinsam gemacht, sagt Mathematiker Dr. Jörg Härterich:

    "Es wird noch mal geschaut: Was war wichtig, was war vielleicht nicht so wichtig? Es wird noch mal geguckt: Wie hängen die Sachen aus der Vorlesung miteinander zusammen und, vor allen Dingen, wie hängen die auch mit diesen Aufgaben, die dann zu lösen sind, zusammen? Das ist ja auch an der Universität auch manchmal ein bisschen anders als an der Schule, dass man den Aufgaben gar nicht so genau ansieht, zu welchem Stoff der Vorlesung die jetzt genau dazugehören. Das ist ja wie später, wenn sie ein praktisches Problem haben, da wissen sie ja meistens auch nicht, mit welchem Werkzeug sie da rangehen müssen."

    "Das ist einfach viel zu abstrakt, das sind keine Beispiele vom echten Leben. Also man weiß auch nicht, wofür man das brauchen wird.

    Das habe ich ein bisschen vermisst, dass man den Zusammenhang zwischen Mathematik und Maschinenbau an sich nicht wirklich gesehen hat, wenn man die Mathevorlesung gehört hat. Das war einfach nur Formeln, Formeln, Formeln und viel zu theoretisch. Spätestens, wenn die komplexen Zahlen kommen, ist der Praxisbezug weg."

    Ein Problem an sich: Bis sich die einzelnen Puzzleteile Mathematik, Physik, Chemie und technische Vorlesungen zusammensetzen und die Studenten mit ihrem Wissen reale Probleme angehen können, dauert es halt einige Semester.

    Im zweiten Teil des Bochumer Matheprojektes, "Mathe 2 Praxis", soll das vorgezogen werden. In kleinen Gruppen berechnen die Anfänger im zweiten Semester zum Beispiel, was passiert, wenn man im Auto den Fuß vom Gas nimmt oder im Zug die Klimaanlage anschaltet. Die nötigen Rechentechniken, um solche Fragen zu beantworten, lernen die Studenten just in der Mathevorlesung. Und das sollen sie jetzt auch merken, sagt Jörg Härterich:

    " Das sind Aufgaben aus dem echten Leben, aber soweit runtergekocht, dass man die in überschaubarer Zeit verstehen und bearbeiten kann."

    Ingenieur-Professor Span hofft, dass das Bochumer Projekt den Anfänger hilft, die Hürde Mathematik zu meistern.

    "Ich glaube, dass fast die Hälfte unserer Abbrecher eigentlich das Potenzial hätten weiterzumachen und dann entweder sehr früh scheitern, weil sie methodisch die Kompetenz nicht haben, oder irgendwann in ein Motivationsloch fallen."

    MP-Quadrat, die Bochumer Mathe-Starthilfe für Ingenieure, soll beides verhindern und so dem drohenden Mangel an Fachkräften in Industrie und Forschung entgegenwirken.