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Zu wenig bezahlbare Wohnungen
Konkurrenz nährt Sozialneid auf Flüchtlinge

Mit der großen Zahl an Flüchtlingen entsteht zusätzliche Konkurrenz auf einem ohnehin schon engen Markt: Studenten, Geringverdiener und eben auch immer mehr Asylbewerber buhlen um günstigen Wohnraum. Jetzt treten Versäumnisse im sozialen Wohnungsbau deutlich zutage. Doch schnell oder billig beheben lassen sie sich nicht.

Von Johanna Herzing | 10.11.2015
    Besonders in Ballungszentren ist der Bedarf an Wohnungen gestiegen
    In Großstädten gibt es kaum noch bezahlbaren Wohnraum (dpa / picture-alliance / Armin Weigel)
    Es ist dunkel und die Gartenstühle aus Metall sind noch ganz nass vom Regen. Doch daran stört sich niemand. In dem engen Innenhof eines früheren Hotels in der Kölner Südstadt herrscht großer Andrang. Alle wollen mit Lena sprechen.
    "You wanna move out? Where you're from? Eritrea... Do you have your ID on you?"
    Lena Junker lässt sich Papiere zeigen, Telefonnummern aufschreiben. Die wird sie später an die anderen ehrenamtlichen Helfer von der Willkommensinitiative verteilen. Sie selbst kann nicht allen der jungen Flüchtlinge helfen, die demnächst aus dem Wohnheim ausziehen wollen oder müssen, weil es dort zu eng, zu laut, zu angespannt ist.
    "Also wir werden einfach schauen, was wir machen können, dir jemanden zur Seite stellen, der dich unterstützt, der mit dir auch nach Wohnungen guckt, nach WGs – Wohngemeinschaften – weißt du, was das ist?"
    "Ja, ich weiß!"
    Von Anwaltsassistentin zur Wohnunsexpertin
    Innerhalb weniger Wochen ist die junge Frau, die sonst als Assistentin in einer Anwaltskanzlei arbeitet, zur Expertin für Wohnungswesen und Flüchtlingshilfe geworden. Ihre Erfahrungen gibt sie an die anderen ehrenamtlichen Helferinnen weiter.
    "Es kommt auch immer darauf an, wenn man die Wohnung sucht, also man schaut, was ist der Aufenthaltsstatus, also wenn jemand einen Aufenthaltstitel hat, ist es natürlich schon mal einfacher, weil Vermieter suchen natürlich längerfristig jemanden und da hat man wirklich was in der Hand um zu sagen: Hey, kuck mal, der darf so und so lang bleiben, viele haben auch schon ihre Ausbildung angefangen oder gehen zur Schule, machen einen Integrationskurs, haben ihr Leben aufgebaut. Merkt man ja auch, wir sprechen mit den meisten auch Deutsch...
    Am Grundproblem allerdings ändert das nichts, sagt Lena. Günstigen Wohnraum, davon gibt es in Köln genauso wie in den meisten anderen deutschen Großstädten viel zu wenig. Über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, wurden – wenn überhaupt, vor allem Wohnungen für Besserverdiener gebaut. Zwar wollen Bund und Länder in Zukunft wieder deutlich mehr Geld in den geförderten Wohnungsbau stecken. Doch Lena und den Flüchtlingen hilft das erst mal nicht weiter.
    Studenten konkurrieren jetzt mit Flüchtlingen
    "Wir haben angefangen als mehr oder weniger auch alle Studenten auf der Suche waren und man muss sagen, dass das natürlich auch der günstige Wohnraum ist, den die Studenten wollen, die konkurrieren natürlich auch mit den Flüchtlingen beziehungsweise. eher andersherum. Also es ist schwierig, das muss man sagen, die Rückmeldung auf viele Anzeigen ist relativ niedrig, das muss man sagen."
    Drei Rückmeldungen bei 80 Anfragen an Vermieter. Du brauchst manchmal viel Geduld, erklärt Lena bereits dem nächsten jungen Mann, der sie um Hilfe bei der Wohnungssuche bittet.
    Im Innern des ehemaligen Hotels steht Ezaz Osman aus Eritrea an der Rezeption und gibt Schlüssel aus. Der Flüchtling arbeitet als Mini-Jobber hier im Wohnheim, bald wird er in eine kleine Wohnung am Stadtrand von Köln einziehen. Insgesamt 8 Monate hat er die entsprechenden Internetseiten mit Wohnungsangeboten durchforstet.
    "Die Vermieter immer fragt: Was machst du beruflich oder was arbeitest du? Wer bezahlt die Wohnung? Wenn sagt man Jobcenter oder Sozialamt, sagen: "Wir haben keine Wohnung."
    Jetzt kann er es kaum erwarten, raus zu kommen aus der Enge und dem Trubel. Er besucht verschiedene Kurse, sein Ziel: das Abitur.
    "Jetzt ich brauch ruhig. Ich möchte Abitur machen und deswegen nach der Schule muss ich zu Hause auch weiterlernen. Aber im Wohnheim ich kann nicht, kein ruhig, zu laut, man kann nicht schlafen."
    Seinen Helfern von der Willkommensinitiative und von der Stadt, sagt Osman, ist er unendlich dankbar. Doch Köln, die selbst ernannte "Stadt mit Herz und Seele", eine Stadt, die sich am liebsten freundlich, großzügig und weltoffen präsentiert, hat auch andere Seiten.
    "Ja, wer hat uns geholfen? Wir mussten uns selbst helfen. Wir haben selbst Steine geklopft..."
    Aufkeimender Sozialneid in den Großstädten
    Die drei älteren Frauen sitzen an einem Tisch vor einem Brauhaus in der Kölner Südstadt, rauchen und regen sich auf. Sie, die Kriegs- und Flüchtlingskinder von damals, haben wenig Verständnis für die Flüchtlingskinder von heute. Jedenfalls sollen die es nicht besser haben, als sie selbst es damals hatten, so die drei Alten im Chor.
    "Wir haben auch alte Mütterchen hier, die überhaupt keine Unterstützung kriegen, aber die kriegen das Geld in den Arsch geblasen..."
    Dass das Sozialamt oder Jobcenter Flüchtlingen wie Ezaz Osman etwa für die Miete nur ein ziemlich knappes Budget gewähren, interessiert sie nicht. Es geht ums Prinzip: Moslems, Christen, alle zusammen – das könne ja gar nicht gut gehen, meinen die Frauen und ziehen aufgebracht an ihren Zigaretten.
    Durchmischte Stadtteile schaffen Zusammenhalt
    Gisbert Schwarzhoff, Geschäftsführer der WSG, einer Wohnungsgesellschaft des Sozialverbands VdK, sieht das anders. Bei den Sozialwohnungen, die sein Unternehmen baut und betreut – wie etwa in der sogenannten Klanggarten-Siedlung in Köln-Porz, ist Vielfalt ganz entscheidend. Denn: Gettos, so sagt er, schaffen Vorurteile, durchmischte Stadtviertel sozialen Zusammenhalt:
    "Dann hab ich die Sicherheit, dass der Flüchtling, die Flüchtlingsfamilie auch einen Nachbarn hat, der deutsch ist, der sich kümmern kann. So funktioniert Integration. Die geht nicht so: Ich bau da jetzt mal ein Camp mit 300 Wohnungen und lass die Flüchtlinge alleine; das wäre nicht unser Stil!"
    Die Versäumnisse im sozialen Wohnungsbau aber, so Schwarzhoff, lassen sich weder schnell, noch billig beheben.
    "Ich hab' Leute gehört in den letzten Wochen, die haben gesagt: Ja, ich hab da noch n Grundstück, da können wir 350 drauf bauen für Flüchtlinge. Da hab ich nur gesagt: Das würden wir nicht mitmachen. Für zehn Jahre kann ich natürlich einen billigen Wohnraum bauen und dann reiß ich ihn wieder ab, aber da frag ich mich immer, was soll das für eine Stadtentwicklung sein? Dann haben wir wirklich die Entwicklungen verpennt.