Mittwoch, 24. April 2024

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Züchter in Amman
Bitterarm - bis auf die schönsten Tauben

Die Taubenzucht im Orient geht zurück bis ins Jahr 1150. Doch anders als in Europa fliegen die Tauben hier nicht um die Wette, vielmehr geht es darum, sich gut um die Vögel zu kümmern und die Sammlung zu vergrößern. Die Züchter in Jordanien sprechen eher ungerne über ihr Hobby, weil es viele Vorurteile gibt.

Von Stephanie Rohde | 09.08.2015
    Blick auf die Stadt Amman
    Amman, die Hauptstadt von Jordanien (Imago / CTK )
    Elegant gleiten die Tauben in einem großen Kreis über den Dächern des Stadtzentrums, die Gleichmäßigkeit ihrer Flugformation im üppigorangen Sonnenuntergang hat etwas sehr Beruhigendes. Fast wirkt es, als hätten die Tauben genau für diesen Moment trainiert, als wäre ihr Flug schon immer intuitiv auf den Gesang des Muezzins abgestimmt gewesen. Am Boden auf einer Terrasse sitzen zwei Männer auf schäbig-weißen Plastikstühlen und dirigieren ihre Tauben mit einer Gelassenheit, als hätten sie nie etwas anderes getan oder tun müssen. Mehr nach links, ein Schluck Tee trinken, weiter nach oben.
    Diese Terrasse hier ist eine Terrasse wider willen, erzählen sie. Sie war früher mal ein Zimmer, bevor das Dach abgerissen wurde. Nur noch eine Außenwand steht verlassen herum. Diese Terrasse ist vielleicht die bemitleidenswerteste in Amman, zugleich aber auch die beneidenswerteste: Sie liegt direkt am Hang, freistehend in bester Lage mit Blick auf den gegenüberliegenden Hügel, der von der angestrahlten Zitadelle gekrönt wird. Unten im Tal schlängeln sich Autos durch das Zentrum, doch ihr Motorenlärm und Gestank dringt nicht nach oben. Das einzige, was man neben dem Muezzin in dieser skurrilen Idylle auf der Terrasse hört, ist Gurren. Aber nicht nur das der Tauben.
    Samir und Karim Maron kommunizieren mit den Tauben, indem sie ihr Gurren imitieren. Manchmal gurren sie auch einfach so vor sich hin - und lustigerweise bewegen sie ihre Köpfe dabei auch als wären sie Tauben. Je länger man die beiden beobachtet, desto weniger wirken sie wie zwei unterschiedliche Personen. Die Zwillinge teilen nicht nur den gleichen Nachnamen, sie sehen sich auch zum Verwechseln ähnlich, bewegen sich gleich, haben den gleichen wohlwollenden Blick, und zu allem Überfluss haben sie den gleichen Sprachfehler und die ulkige Angewohnheit, spontan synchron zu sprechen.
    Diebe sind unterwegs
    Etwas entfernt von hier fliegt ein weiterer kleiner Taubenkreis. Aufpassen, meinen beide, denn es gibt andere, die mit unlauteren Methoden die Tauben entführen und verkaufen - einige Exemplare sind immerhin mehrere hundert Euro wert. Die Tauben werden von anderen paarungswilligen Tauben in einen fremden Kreis gelockt, dann werden sie mit einem Netz aus der Luft gefangen, demonstriert Samir empört - nicht, ohne hinzuzufügen, dass für ihn alle Tauben gleich wertvoll und beschützenswert sind, egal wie viel sie in Dollar wert sein mögen. Aber heute scheint kein Dieb unterwegs zu sein. Die Tauben fliegen weiter brav im Kreis. Karim greift eine Taube, die gerade angeflogen kommt, wie selbstverständlich aus der Luft, setzt sie auf seine rechte Schulter und streichelt sie unsanft, aber liebevoll. Genug bewegt für heute.
    "Es ist wie Sport für die Tauben, jeden Abend von vier bis sechs Uhr fliegen sie in der Formation, also fast Stunden täglich."
    Doch anders als in Europa fliegen die Tauben hier nicht um die Wette, erzählt er, vielmehr geht es darum, sich gut um die Vögel zu kümmern und die Sammlung zu vergrößern. Die Taubenzucht im Orient geht zurück bis ins Jahr 1150, als der Sultan von Bagdad das Brieftaubensystem etablierte. Viele Mythen ranken sich um die Zucht, nicht immer nur gute. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass Taubenzüchter kaum besser seien als Kriminelle oder sexuell verwirrt sein müssten, schließlich schauten sie den Vögeln ständig beim Sex zu. Karim öffnet einen selbst gebauten Verschlag und holt eine große Plastiktüte mit Futter heraus.
    Ihre Eltern sind Palästinenser, erzählt er, aber sie sind aber hier geboren. Karim arbeitet als Sicherheitsmann an der Universität, Samir wurde nach elf Jahren entlassen. Inzwischen sind alle Tauben gelandet, es sind um die 50, sie laufen wirr auf der Terrasse herum - typisch Tauben eben. Karim greift in die Futter-Plastiktüte und belohnt seine Tiere mit einem Körnerregen. Er selbst isst süßes Baklava.
    Die Tauben sehen überraschend edel aus, vor allem, wenn man nur den Anblick dreckiger Stadttauben gewöhnt ist. Einige sind hellbeige, nur um ihren Nacken ringt ein schwarzes Band, welches umsäumt wird von weißen Federn. Andere Tauben sind strahlend weiß, einige haben lila-blauschimmerndes Brustgefieder. Dass sie aus gutem Hause sind, sieht man auch daran, dass sie nicht einmal mehr aufschrecken, als die puschelige Hauskatze um sie herumschleicht. Karim und Samir schauen den Tauben mit ihrem gutmütigen Blick beim Fressen zu und trinken zu süßen Tee. "Unschuld" könnte das Wort sein, das über den Zwillingen und ihren Tauben in dieser skurrilen Idylle schwebt.
    "Als wir zwölf Jahre alt waren, haben wir ein paar Männer beobachtet, die sich um Tauben kümmerten, wir fanden das wunderbar und haben irgendwann selbst angefangen, Tauben zu züchten an unserem eigenen Ort."
    Fast das ganze Geld geht in die Taubenzucht
    Inzwischen sind sie diejenigen, denen kleine Kinder staunend zusehen, wenn sie ihre Vögel in hohe Lüfte entlassen.
    "Wir machen das hier schon seit 25 oder 30 Jahren, wir sind die Erfahrensten hier in Amman. Alle anderen kommen zu uns, wenn sie Hilfe brauchen, zum Beispiel wenn ihre Tauben krank sind und Medizin brauchen."
    Fast ihr ganzes Geld stecken sie in Medizin und Futter für die Tiere, die knapp 300 Euro Miete können sie nur noch mit Mühe aufbringen, erzählt Samir, während er in die untere Etage steigt. Ein vollgestelltes Zimmer, das mit kitschigen glitzernden Taubenbildern geschmückt ist, die auch bei alten Frauen im Wohnzimmer hängen könnten. Daneben verwackelte Fotos von Tauben in der Luft, Taubenbronzefiguren, schlaglichtartige Verweise auf ein Leben, in dem die Faszination nicht mehr von der Obsession zu unterscheiden ist. Als Götterboten oder heilige Geister wurden Tauben in fast allen Kulturen verehrt. Dieses Zimmer hier ist die moderne Form eines Schreins.
    Wieder oben auf der Terrasse, die Tauben sind zurück im Verschlag, und die Zwillinge zurück auf ihren Plastikstühlen. Es gibt mehr übersüßten Tee, die Abendluft kühlt sich ab. Die Tauben kommen immer hierhin zurück, versichert Karim, weil sie eine Art sechsten Sinn haben.
    "Vor einiger Zeit haben wir eine Taube gefunden und sie Omari genannt. Ein Freund von uns mochte sie so gerne, dass er sie mitgenommen hat, in eine andere Stadt, nach Zarqa. Aber innerhalb von nur fünf Stunden hat die Taube wieder ihren Weg zu uns zurückgefunden."
    Die Zwillinge sehen aus, als wären sie schon immer hier gewesen und immer da gewesen für die Tauben, egal, von woher sie zurückkehrten. Je länger man sie beobachtet, desto unklarer wird, wer wem treuer ist: die Tauben den Zwillingen oder die Zwillinge den Tauben.