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Zülpich
Kleine Stadt mit großer Geschichte

Ursprünglich hieß die Stadt Tolbiacum: Zülpich galt früher als das "Autobahnkreuz", als wichtiger Handelsknotenpunkt im Römischen Reich. Doch nicht nur den Römern, auch den Franzosen hat es das Städtchen bei Bonn angetan, wie man sogar mitten in Paris feststellen kann.

Von Franz Nussbaum | 16.02.2014
    Die Kurkölnische Landesburg Zülpich.
    Die Kurkölnische Landesburg Zülpich. (LAGA Zülpich 2014)
    Wir stehen in Paris auf einer Seine-Brücke. Sie heißt "Pont de Tolbiac" im 12. Arrondissement. Und Tolbiac ist die französische Version des römischen Ortsnamens Tolbiacum, für Zülpich, rund 5oo Kilometer von Paris entfernt. Die Pont de Tolbiac geht dann über in die Rue de Tolbiac, Boulevard mit vielen Touristenhotels. Und da ist auch die Metrostation Tolbiac.
    Warum wird Tolbiac, das kleine Zülpich, mit einer Brücke und mit einer Straße und mit einer Metrostation erwähnt? Die Antwort hängt im Louvre. In der eine monumentale "Schlacht von Tolbiac", übersetzt die Schlacht von Zülpich von 496. Chlodwig besiegt die Alemannen. Die Hintergründe aus unterschiedlichen Quellen angedeutet. Wir lesen:
    "In den wirren Zeiten der Völkerwanderung werden römisch gegründete, reiche Städte wie Köln und Bonn geplündert. Die ziellos umher wandernden Völker jener Zeit stoßen in das Macht-Vakuum der dekadenten römischen Herrschafts-Reste.
    In dieser nebulösen Zeit hilft der fränkische Führer Chlodwig I. und sein Heer. Die mit den Franken rivalisierenden Alemannen zu besiegen. Diese Schlacht von Zülpich ist eine von 3 Aufeinandertreffen der Kontrahenten. Rund 10 Jahre später treten die endgültig geschlagen Alemannen vom Roulettetisch der expandierenden Mächte ab und werden als Herzogtum ins fränkisch-merowingische Reich okkupiert."
    Und im Gründungsmythos Frankreichs ist jene siegreiche Schlacht von Zülpich quasi die Geburtsstunde des Viel-Völker-Franken-Reiches. Nach Karl dem Großen, und nach der Drei-Teilung seines Reiches verschmilzt das Westfranken-Reich zu Frankreich.
    Und während ich Ihnen das so als Einstand auf Zülpich erzähle, rasen wir von Paris in einem gewaltigen Sprung, sowohl nach Zülpich und auch in das Jahr 1911. Und da erwischen wir Wilhelm II. in seinem kaiserlichen Töff-Töff bei seiner Anreise zu einem Stadtbesuch nach Zülpich. Und Majestät, 51 Jahre, erblicken bei sprichwörtlichem Kaiserwetter aus rund fünf Kilometern Entfernung die Türme der vier Zülpicher Stadttore und der prächtigen Kurkölnischen Stadtburg. Bitte Herr Chronist, ihre kaiserlichen Reisenotizen.
    "Unsere Stadt hatte in Erwartung des Kaisers ihr schönstes Festgewand angelegt. Am Kölntor, an welchem die kaiserliche Einfahrt erfolgte, waren Tribünen errichtet, auf denen weiß gekleidete Mädchen der Volksschule den Kaiser begrüßen durften. Am Tor selber war die Inschrift zu lesen NOBILE TOLBIACUM SALUTAT IMPERATOREM."
    In meinem kümmerlichen Messdienerlatein übersetzt, die Noblen von Tolbiacum grüßen den Imperator. Bitte, Herr Chronist.
    "Die oberen Türme und die Stadtmauer von Zülpich waren von Fanfarenbläsern der Köln-Deutzer Kürassiere besetzt, die mit schmetternden Klängen das Herannahen des Kaisers ankündigten. Unter dem Jubel der Bevölkerung fuhr der Kaiser lebhaft grüßend mit Gefolge in langsamen Tempo bis zur Kirche."
    Und ausführlich zählt unser Chronist nun auf mit wie vielen Generaladjutanten, Generalobristen, Flügeladjutanten, mit und ohne Flügel, Chefs des Militärkabinetts, wie also die kaiserliche Entourage vor der Kirche den Autos entsteigt. Ein devotes Geknickse und Zylinderziehen, Verbeugungen...
    Und unten in der Krypta kommt es zum Eklat, zu einer Verstimmung. Der Kaiser erblickt mit scharfem Auge zwei französische Geschenktafeln aus schwarzem Marmor mit güldenen Buchstaben. Sie feiern den fränkischen Sieg Chlodwigs "über die Germanen". Ein Sieg über die Germanen ... darüber ist ihre kaiserliche Majestät in Zülpich nicht amüsiert. Der hochrangige Besuch verlässt verschnupft wieder den Ort.
    Und wir bleiben in der Kirche und stehen vor einem flämischen Schnitzaltar. Ein hochwertig bebilderter dreiflügeliger Altaraufsatz mit eindrucksvollen holzgeschnitzten Figuren. Kaplan Stefan Wißkirchen:
    Wißkirchen: "Also der Altar, vor dem wir nun stehen und den wir beide glücklicherweise sehen, die Hörer leider nicht, ist von 1525. Und in dieser Zeit gibt es in Antwerpen, das ja in Flandern liegt, eine reiche Kultur der Schnitzkunst. Aber eben auch der Tafelbilder. Einmal gibt es so ne Massenfertigung. Auf der anderen Seite gibt aber auch für bestimmte Orte speziell hergestellte Altäre. Und vor einem solchen befinden wir uns jetzt hier in der Pfarrkirche Sankt Peter."
    Nussbaum: "Unter dem Motto, wenn ihr ein bisschen mehr bezahlt, dann machen wir euch den nach Maß, ihr könnt ihn aber auch aus dem Katalog kaufen."
    Wißkirchen: "Genauso wird das gelaufen sein. Und an der Qualität, an der Größe, an der Ausstattung des Altares kann man sehen, die Mönche, die hier waren, hatten ordentlich viel Geld."
    Nussbaum: "Das ist fast wie ein Video. Es sind neun Bilder. Die Kreuzigung, das ist das zentrale Bild. Und das Ungewöhnliche ist, und Jesus-mäßig muss ich mich entschuldigen, ist nicht, dass er da hängt und tot ist. Sehr ungewöhnlich sind die beiden Schächer, rechts und links, sehr naturalistisch dargestellt."
    Wißkirchen: "1525 ist natürlich auch für die Kirchengeschichte und für die Geschichte an sich eine wichtige, eine bewegte Zeit. 1492 fährt Christoph Columbus nicht nach Indien, sondern in das heutige Amerika. 1500 ist, dass Kopernikus ein ganz neues Weltbild entwickelt. Johannes Gutenberg in Mainz, nicht weit von hier, entwickelt den Buchdruck.
    1517 kommt dann ein gewisser Martin Luther, der die Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg anschlägt. Es findet in der Geschichte und vor allem auch in der Kunstgeschichte eine Individualisierung statt. Das kann man eigentlich ganz schön an den Schächern auch wirklich sehen, die dort hängen."
    Nussbaum: "...die Gesichter sagen was."
    Wißkirchen: "Man merkt an den beiden Schächern, der eine wendet sich ja dem Kreuz zu, der andere wendet sich ab ... und es gibt ja in der Kunst den Begriff der Mitnahmefiguren.
    Für wen entscheide ich mich, für den guten Schächer, für den schlechten Schächer? Ich glaube, dass die Menschen in dieser Zeit vielmehr in den biblischen Geschichten und in den Bildern drin waren. Sie waren anders von Bildern geprägt als wir das heute sind. Und so ist also dieser Schnitzaltar, den wir hier sehen mit seinen biblischen Geschichten eine stumme Predigt. "
    Und vielleicht lädt uns der Altar von Zülpich auch zu einem Nachblättern in die Welt von 1525 ein. Kopernikus, ein Domherr, bringt seiner Kirche behutsam bei, die Erde dreht sich um die Sonne.
    Drei Jahre nach dem unglücklichen Kaiserbesuch beginnt der 1. Weltkrieg. Gleichsam auf den römischen Routen in die Eifel und in die Ardennen werden junge Männer zu den Schlachtfeldern transportiert.
    25 Jahre später läuft der deutsche Blitz-Krieg-Überfall im 2. Weltkrieg auf Frankreich, ebenfalls über diese Aufmarschlinien. Und Ende 1944, vor 70 Jahren,beginnt Hitlers Ardennenoffensive. Er will in einem letzten verzweifelten Aufbäumen in dem von ihm postulierten totalen Krieg ... die anrückende alliierte Übermacht stoppen. Hitlers Ardennenoffensive wird hier (rundum) in der Voreifel aufgestellt.
    Deswegen wird am Weihnachtsabend 1944 in Zülpich nicht der Christbaum angezündet. Die ganze Stadt brennt an Heilig Abend wie Zunder nach einem alliierten Luft-Bombardement bis unter die Grundmauern ab. Das heißt, die heutige Kirche St. Peter und die vollkommen zerstörte Stadt ... sind erst 1953 auferstanden aus Ruinen.
    Und nun drehen wir unsere Sanduhren der Geschichte 2.000 Jahre zurück. Denn Römerstadt-Zülpich geht zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus, wenn man die Umstände nicht bebildern kann. Wir lesen...
    "GaiusJulius Cäsar plant einen Eroberungsfeldzug nach Gallien, weil er privat hoch verschuldet und politisch pleite ist. Eroberung heißt, Cäsar benötigt unbedingt die Tributzahlungen dieser Völker. Cäsar unterwirft Gallien von Süden nach Norden und vom französischen Atlantik bis an die Rheingrenze. Und er braucht dafür 9 Jahre, schafft rechnerisch jedes Jahr rund 100 Kilometer.
    Cäsar ist 47Jahre. Seine Armee umfasst rund 53.000 kriegserprobte Legionäre, Bogenschützen, Steinschleuderer, dabei auch angeworbene germanische Reiterei. Zusätzlich dienen 20.000 Hilfstruppen, Gepäckträger und Tross. Dazu 17.000 Pferde, Mulis, Esel und Treiber."
    Und Cäsar ist der Antreiber. Hans Gerd Dick:
    "Zu dem Zeitpunkt, den sie grade beschreiben, lebt hier ein Volk, das von Cäsar als die Eburonen angesprochen wird. Und die Eburonen kennzeichnet, dass sie im Gegensatz zu den anderen unterworfenen Stämmen, die Cäsar sich inzwischen einverleibt hat, sich als besonders widersetzlich gezeigt haben. Dieses Eburonenvolk, das zwischen Rhein und Maas siedelte, hat mehrfach und wiederholt sich der römischen Herrschaft zu entledigen versucht."
    Die aufmüpfigen Eburonen überfallen im November die Römer im Winterlager. . sie locken die Truppen mit einer psychologischen List aus ihrem befestigten Lager in die bitterkalten dunklen Wälder. Aus den raren Quellen zusammengetragen:
    "Cäsar verliert bei diesem Überfall der Eburonen bis zu 3 Legionen (?). Es ist seine größte Niederlage beim Unternehmen "Gallien". Er verhängt eine Nachrichtensperre und verfügt nun "seine" Ardennenoffensive. Sie stöbern die Eburonen, die wohl gewisse Verträge mit den Besatzern gebrochen hatten ... stöbern sie auch im Umkreise von hundert Kilometern um Zülpich auf. Auch in ihren kaum durchdringlichen Urwäldern und in den Sümpfen des hohen Venns."
    Er statuiert ein Exempel. Die Eburonen werden wahrscheinlich versklavt, gekreuzigt und verschwinden als Volksstamm spurlos in der Mülltonne der Geschichte. In den folgenden 200 Jahren blüht das römische Rheinland auf. Römische Kultur, Brot und Spiel. Unser Zülpich liegt am Kreuzpunkt wichtiger Straßen. Also Pferdewechsel, Markt, Hotellerie, Thermen, der Rubel und die Räder rollen. Und so finden wir in Zülpich neben der Kirche eine gewaltige römische Badeanlage, mit 5 Becken. Jedes etwa in Zimmergröße. Heute mit einem modernen Museum umbaut und bebildert. Dr. Iris Hofmann-Kastner:
    "Man kann sagen, dass eine relativ lange Zeit diese Thermen als solche benutzt wurden. Und dann im vierten Jahrhundert wurde es schließlich umgebaut zu einer Herberge. "
    Nussbaum: "Ich weiß ja nicht wie groß dieses römische Zülpich war? 200 Einwohner plus zwei-, dreihundert Sklaven? Wer ist denn hier reingekommen, doch wahrscheinlich nur die oberen Zehntausend?"
    Hofmann: "Nein, man weiß ganz genau, dass alle baden durften. Also wie es nun genau in Tolbiacum war, können wir nicht sagen, weil es natürlich keine Schriftquellen gab. Die kleineren Ansiedlungen wie Tolbiacum, schätzt man, dass man einen gewissen Eintritt bezahlen musste. Allerdings ist in mehreren Quellen überliefert, dass die Frauen mehr zahlen mussten, als die Männer. Man trennte ja geschlechtlich die Badenden. Dann kamen wahrscheinlich die Frauen vormittags mit den Kindern bis ungefähr zu einem Alter von 12 Jahren. Und nachmittags, abends die Herren, eben waren sie unter sich."
    So badeten die Römer, die ja nicht nur original aus Rom waren.
    Wir kennen also die saubere römische Seite der Stadt, wir kennen einige der Kriege und Schlachten um Zülpich. Wir kennen den Besuch Kaiser Wilhelms. Und nun folgt der Besuch des thüringischen Königs He r m i n a f r i e d gegen 532, der Königsmord im Tatort Zülpich. Wir lesen...
    "Die Nachfolgegeneration des Clans des Merowingers Chlodwig expandiert weiter oder legt sich innerhalb der Herrscherfamilie gegenseitig um. Das nächste Ass im Machtmonopoly wäre ihnen Thüringen. Das war vor 1.500 Jahren wesentlich größer als heute und vertraglich in einer anti-fränkischen Koalition mit Theoderich dem Großen und seinen Ostgoten in Italien "gesichert"."
    Theoderich kränkelt, stirbt. Es kommt zu fränkischen Eroberungen in Thüringen. Es gibt Streit um Verträge. Die Merowinger laden König Herminafried in den Konferenzort Zülpich ein. Er kommt sicherlich mit Bodyguards. Man weiß, was man voneinander zu halten hat. Eine Einladung zu einem zwanglosen Sonntagsspaziergang auf der breiten Festungsmauer des Konferenzhotels. Dabei stürzt König Herminafried von der hohen Mauer in die Tiefe. Ein Schelm, wer sich dabei nicht etwas Kriminelles denkt. Der Rest ist wie immer. Thüringen wird dem fränkischen Reich zugeschlagen. Und so schlagen wir die letzte Etappe unseres Sonntagsspaziergangs auf. Der "Sommernachtstraum" von Zülpich.
    Wir hören die Bigband des Franken-Gymnasiums. Joachim Petermann probt mit seinen Schülern, trotz Schulstress und Notendruck, für ihre Auftritte bei der Zülpicher Landesgartenschau in diesem Sommer. Die Bigband tritt im Showprogramm gegen Tausende Rosen, Tulpen und Narzissen an. Zülpich will sich erstmals nach dem Abzug der Römer gründlich aufhübschen, verschönern, etwas Farbe auflegen. Saxofone, Gitarren, Pauken und Trompeten wollen die rundumlaufende mittelalterliche Stadtmauer zum Swingen bringen.
    Bibelfeste Hörer werden sich an die Wirkung von Posaunen vor den Mauern des alten Jericho erinnern. Ab Mitte April blüht und swingt Zülpich täglich bis zum Einbruch der Dunkelheit. Ich werde vielleicht, durch die Blume gesagt, wegen dieser Bigband wiederkommen. Mich faszinieren auch die Jagdfalken, die 2 x täglich in der Gartenschau ihre Flugkunststücke zeigen. Wer das Vertrauen dieser putzigen Falken erschleicht, dem erzählen sie vielleicht, dass ihre Vorfahren vor grade mal 300 Jahren noch für den Kölner Kurfürsten Clemens August im nahen Brühl und im Jagdschlösschen Falkenlust geflogen sind. Aber diese Falkengeschichte, die Blütenpracht und die Bigband wären schon wieder einen Extra-Sommertraum-Spaziergang wert.