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Zug bereits abgefahren?

Klimaforschung. – Haben wir beim Klima noch einen Gnadenfrist, oder sind bereits die Würfel gefallen in Richtung einer unabwendbaren Veränderung zu unseren Ungunsten? Diese Frage treibt viele um, wenn nicht in der Wissenschaft, so doch in der Öffentlichkeit. Eine neue Studie behauptet jetzt zumindest für die Nordatlantik-Oszillation, daß der Zug bereits abgefahren sei.

Von Volker Mrasek | 25.02.2005
    Seit Jahrzehnten schon hakt es über dem Nordatlantik. Wie zwei Boxer stecken Island-Tief und Azoren-Hoch im Clinch und können sich nicht lösen. Beide zeigen ihre Muskeln, der Druck-Unterschied zwischen ihnen ist unablässig hoch, zumindest im Winter. Das führt dazu, daß Westwinde vorherrschen. Milde atlantische Meeresluft strömt dann mit aller Kraft nach Mitteleuropa und drängt Kälte aus Sibirien zurück. Dadurch ist unser Winter tendenziell wärmer und schneeärmer geworden. Doch ja keine voreiligen Schlüsse bitte! mahnten Klimaforscher bisher. Die Nordalantik-Oszillation, wie die Island-Azoren-Connection offiziell heißt - sie sei schwer berechenbar und von Natur aus sehr variabel. Noch könne niemand sagen, ob die Klimaerwärmung ihre Finger im Spiel habe. Doch das hat sich nun offenbar geändert.

    Unsere Ergebnisse zeigen: Das Verhalten der Nordatlantik-Oszillation in den letzten vier, fünf Jahrzehnten liegt nicht mehr im Rahmen der natürlichen Schwankungen.

    Eine gewagte Aussage! Sie stammt von Svetlana Kuzmina. Die russische Meteorologin forscht am Nansen-Zentrum für Umwelt und Fernbeobachtung in Sankt Petersburg. Gemeinsam mit norwegischen und schwedischen Wissenschaftlern legt sie jetzt eine neue Studie vor. Und die darf man schon als ungewöhnlich bezeichnen. Denn die Forscher benutzten für ihre Analyse alle gängigen globalen Klimarechenmodelle, ein ganzes Dutzend an der Zahl. Modelle, die auf Supercomputern in aller Welt laufen: in den USA, in Kanada, Australien, Japan und China, in Frankreich, England, Norwegen - und in Deutschland, am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Der Norweger Helge Drange, Professor für Klimaforschung an der Universität Bergen und einer der Studienautoren:

    Mit diesen zwölf Klimamodellen wurden jeweils zwei Simulationen durchgeführt: eine ohne zusätzliche Treibhausgase in der Atmosphäre, das ist der sogenannte Kontroll-Lauf. Und eine Simulation mit steigenden Kohlendioxid-Konzentrationen. Dabei zeigte sich: Kein einziger der Kontroll-Läufe brachte eine Nordatlantik-Oszillation hervor, wie wir sie derzeit erleben. Doch das schaffte die Mehrzahl der Modelle im zweiten Testlauf mit zunehmenden CO2-Mengen.

    Immerhin ist der Mathematiker und Klimamodellierer so ehrlich zu sagen, daß nicht alle zwölf Simulationen das gleiche, stimmige Ergebnis lieferten. Drange:

    In der jetzigen Veröffentlichung ist noch keine Rede davon, aber wir haben inzwischen weitere Modelläufe absolviert. Um zu sehen, wie wahrscheinlich es ist, daß die Nordatlantik-Oszillation weiter so stark ausgeprägt bleibt. Und wir glauben sagen zu können. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei immerhin 60 bis 70 Prozent, daß sie in Zukunft sogar noch stärker wird.

    Mitteleuropa könnte demnach unter noch stärkeren Einfluß des Nordatlantik und seiner milden Luftströmungen aus Westen geraten. Die Wahrscheinlichkeit für warme, schneearme Winter wüchse weiter. Und nicht nur das. Drange:

    Wenn sich die Oszillation verstärkt, wie wir glauben, dann müssen wir auch mit häufigeren Stürmen und höheren Niederschlägen im Winter in Nordwesteuropa rechnen.

    Also könnten auch Wetterextreme zunehmen, wobei in erster Linie an Winterorkane und Überschwemmungen zu denken wäre - wenn denn die Prognose der Klimaforscher stimmt. Auf welche Weise Treibhausgase Island-Tief und Azoren-Hoch beeinflussen könnten, ist übrigens offen. Am häufigsten hört man die folgende Theorie: Ein Anstieg der Meerestemperatur in den Tropen lasse mehr Wasser verdunsten. Als Dampf steige es auf und kurbele die Luftzirkulation zusätzlich an. Dadurch veränderten sich Drucksysteme, und die Westwind-Strömung werde verstärkt. Aber wie gesagt: Das ist bisher bloß Spekulation.