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Zugänge zu einer differenzierten Perspektive

Parsua Bashi nennt sich trotz des Erfolges ihrer grafischen Novelle "Nylon Road" ganz bescheiden eine technische Arbeiterin. Wörtlich sogar: Eine kulturelle Tagelöhnerin. So steht es im Eingangskapitel zu ihrem neuen Buch Briefe aus Teheran.

Von Martin Zähringer | 06.01.2011
    Diese pessimistische Selbsteinordnung hat einiges mit ihrer Rückkehr in die Islamische Republik Iran zu tun, denn dort gibt es derzeit für eine Grafikerin kaum Arbeit:

    "Ich entwerfe Buchumschläge für Romane, Gedichte, philosophische Schriften, Literatur sowie Plakate für Theateraufführungen und Konzerte. Normalerweise wird mir die Arbeit von Verlegern, Regisseuren oder Programmgestaltern angetragen, doch im Moment ist das nur selten der Fall. In den vergangenen Jahren, der Ära des Präsidenten Chatami, war das noch anders, da hatten die Grafiker noch reichlich zu tun. Jetzt aber verstauben die Bücher der Verleger in der langen Schlange bei der Zensurbehörde des Erschad, des Ministeriums für islamische Führung und Kultur, während sie auf eine Druckerlaubnis warten."

    Ebenso ergeht es den Theaterleuten und Filmproduzenten, und entsprechend sieht die Auftragslage der Grafikerin aus. Doch eine "kulturelle Tagelöhnerin" hat viele Quellen der Wertschöpfung. Da gibt es noch ihren Stammverlag in der Schweiz, und so macht sie sich daran, ihre derzeitige Lage und die des Landes für die Leser im Ausland zu beschreiben.

    Parsua Bashis "Briefe aus Teheran" sind eine Stilmischung aus Kolumne, Reportage und Interview, elf Zustandsberichte aus dem ersten Jahr in ihrer alten Heimat. Immer in Augenhöhe mit den ganz normalen Stadtbewohnern, sondiert die Autorin den sozialen Alltag im politischen Zentrum des Iran. Und weil sie nach ihrer Westerfahrung genau zwischen Propaganda und Wirklichkeit unterscheiden kann, sind diese "Briefe aus Teheran" naturgemäß riskant. Sie sind aber zunächst einmal auch witzig und überraschend. Zum Beispiel, wenn der Leser im Kapitel "Verbotener Rausch" ausführlich über die komplizierte Herstellung von Möhrenwein und anderen Alkoholika informiert wird. Es gibt eine Geheimproduktion, der sich die Teheraner laut Autorin massenhaft widmen. Und das, obwohl barbarische Strafen drohen:

    "Wird in Iran ein Alkoholkonsument festgenommen und gesteht er den Verzehr, sind ihm siebzig oder achtzig Peitschenhiebe auf den Rücken sicher – die Strafe für sein Vergehen gemäß der Scharia. Vielleicht bewirkt diese Bestrafung, dass sich die schwere Sünde nicht wiederholt. Wird jemand beim Befördern von Spirituosen verhaftet, werden ihm, abgesehen von den Peitschenhieben, zur Zahlung einer hohen Geldstrafe auch noch die Taschen geleert."

    Über das Leeren der Taschen, sprich die Korruption, gibt die Autorin in den weiteren Texten Auskunft. Besonders interessieren sie die Gesetzesübertretungen im erotischen Bereich. Der leichtsinnige Umgang mit dem Kopfhaar oder das zu enge Kleid werden mittels direkter Bußgeldabgabe an die Sittenwächter gebüßt, während sich in einigen Teilen der Stadt schon ganz andere Sitten durchgesetzt haben. Dort, wo die Reichen leben, die dem strafwütigen Sittenwächter nur zuraunen müssen, dass er den und den Offizier oder jenen Richter grüßen soll, und schon sind die Sünden verziehen. Ein Bußgeld von 150 Euro sei dort aber auch kein großer Verlust. Die Autorin gewinnt ihre Erkenntnisse oft in Interviews oder durch Berichte von Bekannten. So erzählt ihr eine nervöse junge Nachbarin mit drei kleinen Kindern heimlich, wie sich der geliebte Gatte als Tyrann entpuppt hat, der die Scharia zur Durchsetzung ganz persönlicher Macht nutzt. Diese plumpe Art der Männerherrschaft scheint aber erst nach der Heirat zu greifen. Das erfährt der Leser in einem Interview, das die Autorin mit ihrer eigenen 19-jährigen Tochter geführt hat. Auf die Frage nach den vorehelichen Beziehungen in ihren Kreisen antwortet die Tochter:

    "Das erste Jahr ist man lose miteinander befreundet, geht gemeinsam aus, besucht mit der Zeit alle Einladungen gemeinsam, sodass die anderen einen zusammen kennenlernen. Eine sexuelle Beziehung ergibt sich vielleicht nach drei oder vier Monaten. Alle haben diese sexuellen Beziehungen, und man braucht gar nicht darüber zu sprechen."

    Natürlich spricht die Autorin ausgiebig über erotische Fragen, Geschlechterbeziehungen, Gewalt in der Familie oder die Emanzipation der Frau, die in ihren Augen in Iran kaum aufzuhalten ist. Über Themen wie etwa die hohe Arbeitslosigkeit, die verbreitete Heroinsucht und die sozialen und politischen Verhältnisse in Teheran würde man gerne noch etwas mehr erfahren. Dafür gibt es reichlich Informationen aus dem absurden Reich der Zensur und aus der Kulturszene, insbesondere im Zusammenhang mit der islamischen Kulturpolitik. Eine Art Fluchtpunkt in diesem Buch ist die sogenannte Grüne Bewegung. Sie entstand infolge des vermuteten Wahlbetruges vom 12. Juni 2009 und brachte Millionen auf die Straßen des Iran. "Sehnsucht und Hoffnung" heißt das zentrale Kapitel dazu. Es ist ein Rückblick aus der Sicht eines jungen Aktivistenpaares. Doch während die junge Pharmazeutin Schirin trotz der brutalen Repressionen immer wieder auf die Straße gehen würde, ist ihr Freund Sina zurückhaltender. Er meint, der Preis den die Bevölkerung gezahlt habe, sei zu hoch gewesen. Parsua Bashi hütet sich, selbst politische Positionen zu beziehen. Das ist begründet, schließlich lebt sie jetzt in Teheran. Sie erreicht mit ihren leichthändigen und subjektiven Lageberichten dennoch ihr Ziel: Sie eröffnet Zugänge für eine differenzierte Perspektive.

    Parsua Bashi: Briefe aus Teheran
    Deutsch von Susanne Baghestani.
    Kein & Aber 2010,
    199 Seiten; 18,90 Euro.