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Zugriff auf Boden als wichtige Voraussetzung für die Stadtentwicklung

Mitte des Jahrtausends werden fast so viele Menschen in Städten leben wie heute auf dem ganzen Planeten. Eine gigantische Herausforderung, sagt Stadtforscher Eckart Ribbeck - Ausgang ungewiss. Klar sei, wenn die wirtschaftliche Potenz gegeben sei, gebe es quasi keine Grenze nach oben. Doch das gilt für viele Megacities nicht.

Eckart Ribbeck im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.10.2011
    Jasper Barenberg: Viermal mehr Menschen auf der Welt leben heute in der Stadt als noch vor 50 Jahren. Und die Stadt wächst weiter, vor allem in Asien, in Afrika und in Lateinamerika. Dort gibt es auch die meisten sogenannten Megastädte, Ansammlungen von 10, von 20, ja von 30 Millionen Einwohnern. Deren Zahl wird bis 2025 nach Berechnungen der Vereinten Nationen auf 29 steigen, angeführt von Tokio, Mumbai, Mexiko-Stadt, Sao Paulo und New York. In die Reihe gehören aber auch Jakarta in Indonesien, Lagos in Nigeria und Dakar in Bangladesch. Viele sind Orte harter Gegensätze: rasantes Wachstum und unvorstellbarer Reichtum auf der einen Seite, ausufernde Slums und erbärmliche Armut auf der anderen. Mitte des Jahrtausends werden fast so viele Menschen in Städten leben wie heute auf dem ganzen Planeten. Kann es gelingen, sie aufzunehmen, sie zu versorgen?

    Am Telefon begrüße ich Professor Eckart Ribbeck, er hat sich unter anderem an der Universität Stuttgart viele Jahre intensiv mit Städtebau und Städteplanung beschäftigt, und zwar besonders mit der Entwicklung in Asien, Afrika und Lateinamerika. Schönen guten Morgen.

    Eckart Ribbeck: Ja guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Immer mehr Menschen leben in den Städten und die Städte werden immer größer. Macht Ihnen das Sorge?

    Ribbeck: Also wir hier bei uns in den alten Industrieländern brauchen uns ja weniger Sorgen machen. Die Bevölkerung wächst nicht mehr, sondern schrumpft eher. Das heißt, wir können uns relativ gelassen um den Status quo unserer Städte kümmern und die entsprechend verbessern. Aber in den Entwicklungs- und Schwellenländern sieht das natürlich ganz anders aus. Die müssen in den nächsten 20 Jahren etwa 1,5 Milliarden neue Stadtbewohner verkraften, versorgen, mit Arbeit versorgen, mit Infrastruktur, mit Wohnraum, und das ist natürlich eine Herausforderung, eine gigantische Herausforderung, von der noch niemand weiß, ob sie gelingen wird.

    Barenberg: Sie haben unter anderem in Mexiko-City, in Mexiko-Stadt gelebt, kennen Kairo sehr gut, auch Mumbai beispielsweise. Wie stellen sich vor Ort da die Probleme ganz konkret dar?

    Ribbeck: Ja natürlich muss man genauer hinschauen und je nachdem, in welche Region man blickt, in welches Land, sehen auch die Chancen, die Risiken für die Megastädte natürlich sehr unterschiedlich aus. Mexiko-Stadt würde ich vielleicht in das Mittelfeld einordnen, es gibt dort gewaltige Probleme auch der städtischen Armut, der Infrastruktur. Aber man kann auf der anderen Seite sagen, die Grundversorgung ist einigermaßen gewährleistet. Es gibt erhebliche Planungskapazität, wenn auch nicht umfassend. Also es ist ein Beispiel, das vielleicht, wenn ein Wirtschaftswachstum dazukommt, wenn eine gewisse Dynamik dazukommt, durchaus Chancen hätte, die Stadt zu verbessern bis zu einem Grat, der dann wirklich akzeptabel ist.

    Barenberg: Das heißt, wir müssen zunächst mal ausgehen von großen Unterschieden innerhalb dieser Gruppe dieser Mega-Citys, auf der einen Seite sehr reiche, gut organisierte, Tokio wäre vielleicht ein Beispiel. Wir haben vorhin aus Lagos in Nigeria berichtet, ein Beispiel vielleicht für das krasse Gegenteil, oder?

    Ribbeck: Ja. Tokio ist ein gutes Beispiel dafür, dass man nicht Angst vor der großen Zahl haben sollte. Tokio ist ja die größte Stadt der Welt mit etwa 34 Millionen Einwohnern. Und niemand wird behaupten, dass Tokio - - Tokio hat natürlich ein enormes Erdbebenrisiko, aber davon abgesehen: Es ist doch eine sehr effektive, gut funktionierende und produktive Agglomeration. Es scheint also, wenn wirtschaftliche Potenz und Technologie gegeben ist, doch keine Grenze nach oben zu geben, was die Städte betrifft. Und da stehen noch ganz andere Herausforderungen an.

    In China etwa bilden sich Städtecluster. Da fließende Dutzende von Städten zusammen, zum Beispiel im Pearl River Delta, deren Bevölkerung man insgesamt auf etwa 40 Millionen, vielleicht sogar 50 Millionen schätzt. Also es entsteht neben den Megastädten schon wieder eine neue Städtekategorie. Die Vereinten Nationen haben die Hyperstädte genannt. Es gibt da Städte, die die Schwelle von 20 Millionen längst überschritten haben, und das ist natürlich noch eine weitere Herausforderung.

    Barenberg: Mit vielen dieser Städte verbinden wir ja vor allem große Verkehrs- und Umweltprobleme, Müllhalden, fehlender Wohnraum, ungenügende Wasserversorgung, Kriminalität. Nun sagen ja einige Beobachter, wir haben längst alle Technologien in der Hand, um all diese Probleme in den Griff zu bekommen. Mit anderen Worten: Sind solche Städte möglicherweise auch geradezu Labore für ein zukünftiges Leben in solch großen Ansammlungen, wie wir das alles bewältigen können?

    Ribbeck: Das kann man sagen in gewisser Weise. Nur die Umsetzung. Auf konzeptioneller Ebene, auf Vorschlagsebene gibt es natürlich sehr gute und sehr viele Vorschläge. Vielleicht ein Schlüssel dazu ist, zunächst mal eine Voraussetzung zu schaffen, die die Vereinten Nationen Good Governance nennen, oder ein effektives Stadtmanagement, also dass die Ressourcen gerecht, vielleicht auch demokratisch verteilt werden, dass sie effektiv eingesetzt werden, und da hapert es schon in vielen Megastädten an der Koordination der Planung, zum Beispiel an der Abstimmung, wo investiert man, wo nicht. Und da gibt es eben zwei große Probleme: Einmal ist die Gesellschaft dieser Städte sehr stark gespalten in Arm und Reich, das heißt Bevölkerungsgruppen mit sehr unterschiedlichen Interessen, und die politisch immer auf einen Nenner zu bringen, ist sehr, sehr schwierig. Und planerisch besteht Mexiko-Stadt zum Beispiel aus einer Kernstadt, aus dem Bundesdistrikt, und aus etwa 24, 25 Randgemeinden, die natürlich auch andere, eigene Bürgermeister haben, eigene Verwaltungen haben, und das zu einer Gesamtplanung zusammenfließen lassen, ist natürlich enorm schwer. Und es gibt ja auch in Europa kaum eine große Stadt – wir haben ja auch Megastädte -, London, Paris, die sich zahlenmäßig ja schon fast zu den Megastädten zählen, die tun sich natürlich auch schwer mit einer Gesamtplanung.

    Barenberg: Aber Sie sehen durchaus Ansätze, Anzeichen dafür, dass auch in solchen Städten es mit den Möglichkeiten der Stadtplanung eben gelingen kann, die Probleme zu bewältigen?

    Ribbeck: Na ja, man muss eben sich mal die einzelnen Regionen ansehen. China zum Beispiel, das ist ganz interessant mal zu sehen: Das Entwicklungsmodell von China, das basiert auf Industrialisierung, und das ist natürlich ein Sektor, der sehr viele Menschen absorbieren kann. Deswegen ich glaube überhaupt, auch wenn von Partizipation dort überhaupt keine Rede sein kann, von der Stadtbevölkerung, hat China ganz gute Karten, ihr Verstädterungsproblem, ihre schnell wachsenden Großstädte doch einigermaßen im Griff zu behalten, weil eben viele Menschen absorbiert werden können, Einkommen haben in der Industrie. Und eine andere, sehr wichtige Voraussetzung: Die Regierung hat Zugriff auf den Boden. Sämtlicher städtischer Boden ist im Eigentum der Verwaltung, des Staates, und damit kann man natürlich enorm etwas machen und die Stadtentwicklung lenken. China verfolgt also eine sehr bewusste Stadtpolitik und könnte also ganz gute Chancen haben, das auch trotz dem Druck der Massen und der Zuwanderung vom Lande in ein, zwei Jahrzehnten unter Kontrolle zu halten.

    Barenberg: ... , sagt der Stadtforscher Eckart Ribbeck, lange Jahre Professor an der Universität Stuttgart. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Ribbeck: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.