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Zugriff auf Personalausweisfoto
"Der Totalüberwachung einen sehr großen Schritt näher gekommen"

Mit dem elektronischen Personalausweis können Behördengänge online erledigt werden - wenige nutzen diese Funktion, nur ein Drittel hat sie überhaupt freigeschaltet. Künftig soll das automatisch passieren. Damit bekommen die Behörden Zugriff auf Passbilder - etwa zur besseren Fahndung. Datenschützer sind empört über diese Bundestagsentscheidung.

Ein Kollegengespräch mit Philip Banse | 19.05.2017
    Deutscher Personalausweis
    Mit der eID-Funktion des Personalausweises können Behördengänge online erledigt werden. Praktisch. Kritiker befürchten Überwachung. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Peter Sawicki: Behördengänge online und ohne Warteschlangen erledigen – mit den neuen scheckkartengroßen Personalausweisen, die 2010 eingeführt wurden, ist das mittlerweile möglich. 45 Millionen Bundesbürger haben schon den neuen Ausweis. Und sie konnten die eingebaute Online-Funktion bislang freiwillig nutzen. Genau das gilt aber nicht mehr. Gestern Abend hat der Bundestag nämlich Änderungen beim dazugehörigen Personalausweisgesetz beschlossen. Philip Banse in Berlin…
    Philipp Banse: Es sind im Kern zwei Änderungen. Zum einen wird die sogenannte eID jetzt verpflichtend eingeschaltet. Das ist diese kleine elektronische Ausweisfunktion, die in diesen neuen Personalausweisen im Scheckkartenformat seit 2010 technisch drin ist, aber bisher nicht automatisch aktiviert war.
    Ab jetzt werden Ausweise mit der aktivierten Funktion ausgegeben, damit kann man sich dann, wenn es denn Angebote gibt, im Netz oder aus der Ferne bei Behörden oder anderen Anbietern authentifizieren mit seinem Personalausweis. Das ist das eine und das andere, was beschlossen wurde und was sehr umstritten ist, dass Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, wie es heißt, "zur Erfüllung ihrer Aufgaben" ab Mai 2018 Zugriff kriegen auf die Fotodaten, die für diese Personalausweise und die Pässe erhoben werden.
    "Leichtere Fahndung"
    Sawicki: Und was bringt das den Behörden ganz genau?
    Banse: Zum einen, was diese eID-Funktion angeht, muss man sagen, dass die bisher fast nicht akzeptiert ist. Es wurden bislang 45 Millionen dieser neuen Personalausweise ausgegeben, bei einem Drittel dieser ausgegebenen Ausweise haben die Bürgerinnen diese automatische eID-Funktion aktiviert. Aber nur ungefähr 15 Prozent haben sie dann auch wirklich mal ausprobiert und die allerwenigsten dürften dafür ein Lesegerät haben. Ziel des Gesetzes ist es, die eID-Funktion attraktiver zu machen und weiterzuverbreiten.
    Was das andere angeht, den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf diese Fotodaten bei den Melde- und Passbehörden, das soll die Fahndung erleichtern. Wenn jetzt Personalabfragen gemacht werden mit analogen Fotos, so sagt die Bundesregierung, die Koalition, da seien zu viele Leute involviert, da sei der Geheimschutz nicht gewährleistet. Wenn das automatisiert demnächst digital übers Netz passiert, dann ginge das eben schneller und würde auch weniger Bürokratie bei den Meldeämtern verursachen.
    "Furcht vor Massenüberwachung"
    Sawicki: Also weniger Bürokratie sagen die Ämter, die Behörden, Datenschützer dürften das aber kritisch sehen, was sagen die denn dazu?
    Banse:Ja, Datenschützer sehen das sehr kritisch. Zum einen geht es einmal um die eID-Funktion, da sagen viele, das Ding ist tot, so ein totes Pferd, heißt es. Könnt ihr auch nicht wiederbeleben, durch so ein Gesetz, das ist einfach zu unattraktiv für alle Seiten, sagt der Chaos Computer Club. Die größte Kritik zieht aber quasi die Möglichkeit der Sicherheitsbehörden, auf die Fotodaten zuzugreifen, auf sich. Da sagt Peter Schaar, der einstige Bundesdatenschutzbeauftragte, das sei eine "datenschutzrechtliche Ungeheuerlichkeit". Er befürchtet eine Massenüberwachung.
    Ähnlich auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Zitat: "Zusammen mit der geplanten Ausweitung der Videoüberwachung" sei man dem Überwachungsstaat sehr nahe. Der Gedanke dahinter ist einfach, wenn die Videoüberwachung ausgeweitet wird und die Gesichtserkennung - also die Möglichkeit, Gesichter in Videos und Fotos zu erkennen - heute schon enorm und für manche erschreckend gut ist.
    Und dann gleichzeitig Sicherheitsbehörden wie Geheimdienste, Zollfahndung, Polizei automatisiert Zugriff auf alle Fotos von Menschen haben, die einen Personalausweis oder Pass haben, und dann diese Videodaten aus der Videoüberwachung abgeglichen werden können, quasi eigentlich mit allen Fotos aller Bundesbürger, da sei man der Totalüberwachung technisch zumindest einen sehr großen Schritt näher gekommen.