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Zugunglück in Bayern
"Die eingleisige Strecke ist nicht generell unsicherer"

Das Zugunglück in Bayern fand auf einer einspurigen Bahn-Strecke statt. Müssten solche als Konsequenz abgeschafft werden? Soweit würde er nicht gehen, sagte Jochen Trinckauf von der TU Dresden im DLF. Auf einer eingleisigen Strecke seien auch immer weniger Züge unterwegs. Sie sei auch nicht generell unsicherer.

Jochen Trinckauf im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 09.02.2016
    Ein Feuerwehrmann steht am Unglücksort des Zugunfalls von Bad Aibling.
    Ein Feuerwehrmann steht am Unglücksort des Zugunfalls von Bad Aibling. (dpa/picture alliance/Sven Hoppe)
    Ann-Kathrin Büüsker: Zwecks Ursachenforschung habe ich vor dieser Sendung mit Professor Jochen Trinckauf von der TU Dresden gesprochen. Er ist Spezialist für Verkehrssicherungstechnik und ich habe ihn gefragt, was im Normalfall passiert, wenn auf einem einspurigen Streckenabschnitt zwei Züge unterwegs sind, damit eben kein Zusammenprall zustande kommt.
    Jochen Trinckauf: Im Normalfall ist es so, dass auf den Bahnhöfen, die am Rande einer solchen eingleisigen Strecke sind, Signale stehen. Diese Signale sind über Stellwerke angesteuert und die Stellwerke kommunizieren untereinander über den Streckenblock. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass zwei Signale gleichzeitig Fahrt zeigen können, sodass verhindert ist, dass man von beiden Seiten gleichzeitig in die eingleisige Strecke einfahren kann.
    Büüsker: Wie werden diese Signale geschaltet? Wer macht das?
    Trinckauf: Das passiert im Stellwerk. Das macht der Fahrdienstleiter, der dort zuständig ist. Der stellt eine Fahrstraße ein und dann läuft bei dieser Art Technik die Sicherungsroutine automatisch ab und prüft ab, dass auch die Signale in der Gegenrichtung in der Haltstellung sind.
    "Dann übernimmt der Mensch die Verantwortung"
    Büüsker: Jetzt wurde in den Medien viel über die sogenannte punktförmige Zugbeeinflussung berichtet. Wie funktioniert die?
    Trinckauf: Punktförmige Zugbeeinflussung bedeutet, dass ein Zug, der irrtümlich an einem Halt zeigenden Signal vorbeigefahren wird, weil der Lokführer das Signal nicht gesehen hat, nicht beachtet hat und so weiter, dass in diesen Fällen der Zug zwangsweise gebremst wird und damit im Regelfall etwa 200 Meter hinter dem betreffenden Signal zum Stehen kommt. In unserem Falle wäre das immer noch im Bahnhof gewesen.
    Büüsker: Kann dieses Stoppsignal, was der Zugführer da bekommt, diese Zwangsbremsung, kann die überbrückt werden?
    Trinckauf: Die kann überbrückt werden, wenn beispielsweise der Zug absichtlich an einem Halt zeigenden Signal vorbeigefahren werden muss. Das tritt immer dann ein, wenn wir zum Beispiel eine Signalstörung haben, oder aus anderen Gründen das Signal nicht in die Fahrtstellung geraten kann. Dann gibt es auf der Rückfallebene Betriebsverfahren, die vorsehen, dass zum Beispiel mit einem schriftlichen Befehl oder mit einem Ersatzsignal am Signal vorbeigefahren werden kann. In dem Falle hat der Lokführer eine sogenannte Befehlstaste, die es ihm ermöglicht, am Halt zeigenden Signal vorbeizufahren.
    Büüsker: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es hier diverse Punkte, wo der Risikofaktor Mensch zum Tragen kommen könnte?
    Trinckauf: Ja, da haben Sie recht. Das heißt, für die seltenen Fälle, dass technische Störungen vorliegen, muss dann in menschlicher Verantwortung gehandelt werden, und zwar auf der Rückfallebene. Da gibt es entsprechende Vorschriften. Aber im Grunde genommen stimmt es: Dann übernimmt der Mensch, also die handelnden Personen, die Verantwortung.
    Büüsker: Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Lösung?
    Trinckauf: Das ist eine nicht ganz einfach zu beantwortende Frage. Bei der Eisenbahn ist der sichere Zustand immer der Haltzustand und dann steht natürlich die Frage, ob man jetzt einen Zug dann lange stehen lässt, bis eine Reparatur erfolgt ist oder ob man dann auf ersatzweiser Handlungsebene weiterfahren kann. Es ist ein Prinzip, was seit Anbeginn der Eisenbahn so gehandhabt wird.
    Büüsker: Und da kann eine Vollautomatisierung keine gute Alternative sein?
    Trinckauf: Auch bei einer Vollautomatisierung wird es immer die theoretische und natürlich auch praktische Möglichkeit geben, dass der Automat nicht funktioniert, oder im sicheren Zustand verharrt und praktisch den Betrieb letztendlich nicht möglich macht. Man wird bei jedem automatischen System immer nach einer Möglichkeit suchen, im Störungsfall oder beim Ausfall einzelner Komponenten ersatzweise das System weiterzubetreiben. Das betrifft nicht nur die Eisenbahn.
    Mit Aufzeichnungsgeräten gut nachvollziehbar, was eigentlich passiert ist
    Büüsker: Muss dann die Konsequenz aus dem Unglück, wie wir es heute erlebt haben, sein, dass einspurige Strecken abgeschafft werden?
    Trinckauf: Soweit würde ich nicht gehen. Wenn man Risikoanalysen sich betrachtet oder anstellt, dann ist das Risiko auf der eingleisigen Strecke zwar qualitativ gegeben, dass sich zwei Züge begegnen können. Das ist auf der zweigleisigen Strecke eher nicht der Fall. Andererseits sind insgesamt auf einer eingleisigen Strecke immer weniger Züge unterwegs als auf einer zweigleisigen Strecke, sodass unter Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen deswegen die eingleisige Strecke nicht generell unsicherer ist.
    Büüsker: Verkehrsminister Dobrindt, der hat bei der Pressekonferenz heute Mittag erklärt, dass sich in jedem der Züge jeweils drei Black Boxes befanden. Was zeichnen solche Black Boxes in Zügen eigentlich auf?
    Trinckauf: Dieses Zugbeeinflussungssystem, was ich erwähnt habe, was verhindert, dass Züge an Halt zeigenden Signalen vorbeifahren, registriert praktisch auf dem Fahrzeug alle Vorgänge, Geschwindigkeit, Bremseinsatz, auch Zugbeeinflussung, falls an einem halt zeigenden Signal vorbeigefahren wird, und die Handlung des Lokführers. Man kann mithilfe dieser Geräte, dieser Aufzeichnungsgeräte sehr gut nachvollziehen, was eigentlich auf dem Fahrzeug passiert ist.
    Büüsker: Professor Jochen Trinckauf war das von der TU Dresden. Er hat dort den Lehrstuhl für Verkehrssicherungstechnik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.