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Zukunft der UN-Friedensmissionen
Blauhelme sollen kämpfen dürfen

Die Vereinten Nationen beraten derzeit über die Zukunft der Blauhelm-Missionen. Die alte Idee des Peacekeepings scheint nicht mehr zu greifen. Ein Bericht empfiehlt, die Friedenstruppen sollten proaktiver sein, sich auch in Kämpfe einmischen. Viele Länder, die Soldaten stellen, wollen das nicht.

Von Georg Schwarte | 24.03.2018
    Senegalesische Soldaten der UN-Blauhelm-Mission Minusca patrouillieren in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik
    Senegalesische Soldaten der UN-Blauhelm-Mission Minusca patrouillieren in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik (AFP/ Marco Longari)
    Antonio Guterres, der UN-Generalsekretär, Oberbefehlshaber über 110.000 Blauhelmsoldaten, er sitzt an diesem 8. Dezember des Vorjahres in New York und trauert. 15 Blauhelmsoldaten aus Tansania, im Einsatz getötet. 40 verletzt im Kongo.
    "Das ist der schlimmste Angriff auf Blauhelme in der jüngsten UN-Geschichte."
    Peacekeeper heißen sie. Jean-Pierre Lacroix, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen, der Mann, der sämtliche Blauhelm-Missionen koordiniert, sitzt hoch oben im 35. Stock des UN-Hauptquartiers in New York und sagt im ARD-Interview sehr nüchtern: Der blaue Helm biete heute keinen natürlichen Schutz mehr. Das spiegle schon die Tatsache wider, dass es 2017 so viele tote Blauhelme gab wie noch nie in der jüngeren UN-Geschichte.
    Die alte Idee des Peacekeepings ist tot
    Tausende Kilometer weit weg von New York, in Bangui, der Zentralafrikanischen Republik, sitzt der Oberkommandierende der Minusca-Blauhelm-Mission, Force-Commander General Balla Keita, frustriert in der Fernmeldezentrale. Im ARD-Interview sagt der Senegalese, der seit Jahrzehnten Blauhelme kommandiert, er wisse, dass er draußen 16-, 18-jährigen Bewaffneten gegenüberstehe, die nie eine Schule besucht, noch nie von den Vereinten Nationen gehört hätten:
    "Die wissen nicht, was Blauhelme sind. Wenn Du denen im Weg stehst, wirst Du zum Ziel."
    Antonio Guterres, der UN-Generalsekretär, hat längst verstanden, dass die alte Idee des Peacekeepings tot ist. Friedenstruppen, die zwei Kriegsparteien, die sich auf einen wenn auch wackligen Frieden geeinigt haben, mit Blauhelmen zu trennen, das war einmal.
    UNO-Generalsekretär Antonio Guterres am Rednerpult bei der 72. Generaldebatte der UNO-Vollversammlung im UNO-Hauptquartier in New York/USA am 19.09.2017.
    UNO-Generalsekretär Antonio Guterres (AFP PHOTO / TIMOTHY A. CLARY)
    Cruz-Report: "Schwäche tötet unsere Leute"
    Guterres reagierte, beauftragte den pensionierten brasilianischen Generalleutnant Carlos Alberto dos Ramos Cruz, aufzuschreiben, was es jetzt brauche. Der Cruz-Report, er kommt zu dem Schluss: "Schwäche tötet unsere Leute". Soll heißen: Blauhelme von heute, sie sollen proaktiv sein, kämpfen können und auch wollen.
    Generalleutnant Keita in Bangui, der Mann der Praxis, sagt es offen: Wir müssen unsere Gegner neutralisieren. Ausschalten. Wir müssen sie töten, bevor sie uns umbringen:
    "Wir dürfen sie nicht die Zivilisten zuerst töten lassen. Wir müssen so handeln, dass wir sie ausschalten können."
    Viele Truppensteller formulieren Bedingungen
    Zweites Problem. Die unselige Geschichte der Einsatzvorbehalte. Viele Truppensteller formulieren Bedingungen, Auflagen für den Einsatz ihrer Soldaten. Keine Kampfeinsätze. Nur innerhalb von UN-Lagern. Nur Eskorten. General Balla Keita sagt, so könne er als Befehlshaber vor Ort nicht arbeiten:
    "Wir können nicht akzeptieren, dass Soldaten kommen, die sagen, wir wollen kein Risiko eingehen, manche wollen nur das Minimum machen. Entweder der gleiche Job für alle - oder sie sollen zu Hause bleiben."
    General Balla Keita aus dem Senegal ist Oberkommandierender der Minusca-Blauhelm-Mission in der Zentralafrikanischen Republik
    General Balla Keita aus dem Senegal ist Oberkommandierender der Minusca-Blauhelm-Mission in der Zentralafrikanischen Republik (AFP/ Issouf Sanogo)
    Mehr Geld, weniger Mandate nötig?
    In diesen Tagen beraten sie bei den Vereinten Nationen, wie es weiter gehen soll mit den Blauhelm-Missionen. Sie brauchen mehr Geld, anderes Personal, konkretere und möglicherweise weniger Mandate. "Schwäche tötet unsere Leute", heißt es im Cruz-Report. General Keita hat das längst verinnerlicht und sagt es auch ganz offen. Er gebe seinen Soldaten immer folgendes mit auf den Weg:
    "Ich will, dass ihr überlebt und die Zivilisten auch und dass ihr sie schützt. Ich nehme lieber eine UN-Untersuchung in Kauf, die fragt, warum ihr geschossen habt, als eine Untersuchung, die fragt, warum ihr nicht in der Lage wart, euch selbst oder die Zivilisten zu schützen."