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Zukunftsfestival in Karlsruhe
"Wenn der Krake Eddie nach der Kamera greift"

Mit einer Ausstellung und einem Symposium feiert und fabuliert das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe im Jahrestakt seit 2011 die Zukunft herbei. Wie wollen wir leben? Wie wird alles sein? - Keine Angst vor German Angst: "Beyond - das 3D-Festival" hat in diesem Jahr prägnante und aufwühlende Antworten auf die großen Fragen.

Von Peter Backof | 28.09.2016
    Hyper-Reality by Keiichi Matsuda: Wie wollen wir leben? Wie wird alles sein? "Beyond – das 3D-Festival" hat in diesem Jahr prägnante und aufwühlende Antworten auf die großen Fragen.
    Hyper-Reality by Keiichi Matsuda: Wie wollen wir leben? Wie wird alles sein? "Beyond – das 3D-Festival" hat in diesem Jahr prägnante und aufwühlende Antworten auf die großen Fragen. (Keiichi Matsud)
    Wesen. Ihre Gehirnleistung kommt der von Menschen gleich, sagt die Wissenschaft. Festivalleiter Ludger Pfanz hat seinen Kraken "Eddie" getauft. 70 Quadratmeter groß erscheint er bei Nacht, als "bio-luminiszentes" LED- und RGB-Video projiziert auf die Wand des Zentrums für Kunst und Medientechnologie. Eddie greift sich eine Kamera und zieht sie in seine Höhle. Sein Manko - auch das sagt die Wissenschaft: Er gibt sein Erlerntes nicht - also nie! - an seine Nachkommen weiter: Was dann Menschen schon auch trennt - von Kraken:
    Ludger Pfanz: "Einer der evolutionären Momente von uns, als Sapiens, ist die Fähigkeit, Erfahrungen über Generationen weiter zu liefern. Und das nimmt immer weiter zu: Was früher Jahrhunderte gebraucht hat, um sich weiter zu entwickeln, entwickelt sich jetzt täglich."
    Also quantitativ betrachtet. Es geht um Datenmengen und Rechenleistungen. Um Wissensstand.
    "Wir bringen Entwicklungen aus der Biotechnologie, aus der Stammzellenforschung, aus der Nanotechnologie, aus der Informatik zusammen und versuchen damit eine - seriöse! - Spekulation auf Zukunftsentwicklungen zu machen."
    "Future Design Thinking" heißt der Kongress und "Out of Control" die dazu gehörende Ausstellung auf 1000 Quadratmetern. Außer Kontrolle geraten? Da ist man - das macht ja auch den Sapiens aus - bei der qualitativen Befragung von Wissensstand und Zukunftsdesign gelandet.
    "Ich gebe Ihnen ein schönes Beispiel: Sie haben vielleicht vor zweieinhalb Jahren gehört, dass jemand einen Burger aus Stammzellen zubereitet und serviert hat. Auch ich dachte am Anfang: Eklig!
    Stammzellen- und Gen-Burger? Glibberig wie ein Krake?
    "Aber!"
    Debatte über die Technik der Zukunft
    Aber - so wurde Ludger Pfanz von dem Kongressteilnehmer Mark Post aus Maastricht informiert - bis 2030 könnte aus einer einzigen Stammzelle das Eiweiß für die Ernährung der gesamten Menschheit gezüchtet werden. Oder für Menschen, die - heute - drei Mal in der Woche zur Dialyse müssen, eine Niere gezüchtet und ausgedruckt werden. Beim Blick auf das gesamte Festivalprogramm wird deutlich: Das, was in ein paar Jahrzehnten Alltag sein wird, entwickelt sich heute und wird auf Chancen und Nutzen hin abgeklopft. Und nicht nur immer gleich auf die Risiken.
    "Wir debattieren wünschenswerte Zukünfte und versuchen, sie durch die Debatte wahrscheinlicher zu machen."
    Und sie durch die Kunstausstellung zu illustrieren. Ästhetisch ein Augenschmaus, technisch State of the Art. Da klettern zum Beispiel künstlich-intelligente Schwarmwesen als holografische Illusion eine Wand hoch. Was sie können, haben sich diese Algorithmen, diese per Virtual Reality Gestalt-gewordenen Orks von Menschen abgeschaut. Und sie sind dann selbständig geworden. Also im Prinzip wie ein Programm, das diesen Radiobeitrag geschrieben und produziert haben könnte? So etwas ist ja auch schon möglich.
    "Es gibt Studien, die wir mit Oxford gemacht haben: Dass in England 64 Prozent der Berufe, die wir kennen, nicht mehr existieren werden, sondern durch Algorithmen übernommen werden. Die Prognose für Deutschland ist ein bisschen günstiger: 43Prozent."
    Universale Kunst
    Fast die Hälfte der Deutschen wird - möglicherweise - demnächst ohne Job dastehen. Ui! Und dann? Postkapitalistisch denken, Modelle eines Grundeinkommens ernst nehmen, das Festival setzt da ganz klar positive Akzente. Kunst machen wäre eine tolle Beschäftigung für den Sapiens der Zukunft:
    So wie Elke Reinhuber, die den Mythos von Orpheus und Eurydike neu inszeniert. Da geht es nicht mehr um barocke Tragik und Trauer, um ein Gleichnis für die Macht des Faktischen, die der Tod bedeutet. Anstatt in die Unterwelt zielt ihre Installation ins Weltall und macht - basierend auf echten Daten der NASA - Planetenbahnen hörbar. Das ist vom Konzept her deutlich universaler, als - wozu Menschen bisher so neigen - klägliche, nationale Plastikflaggen in die Mondoberfläche zu stecken. Oder - das mahnt die deutsch-türkische Künstlerin Gülsel Özkan an: In Deutschland über eine Flüchtlingsobergrenze zu diskutieren. Sie hat in einen Überseecontainer Gucklöcher installiert:
    "Ich wollte unbedingt den Zuschauern das Gefühl geben, dass sie, wenn sie in den Container rein gucken, tatsächlich Menschen live erleben."
    Man sieht in die Gesichter echter Flüchtlinge. Unglaublich realistische Videos! Die Entsprechung im Kongressteil, wird ein Vortrag sein, der sich mit Traumatisierungen durch Virtual-Reality-Brillen befasst und Heilungsmöglichkeiten erforscht. Man wird krank, weil man das, was man mit 3D-Brille sieht, wie echt erlebt. Ein ganz neues Syndrom. Aber deswegen diese Brillen verbieten? Ginge nicht! Das ist ein Jahrgang dieses Festivals, der Reizpunkte setzt, Stellung bezieht, - ästhetisch, technisch, theoretisch - und etwas bewirken will. Wohin das führt: Wird die Zukunft zeigen. Allemal interessant.