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Zukunftshäuser für das Ruhrgebiet

Jugendliche aus vier verschiedenen Städten sollen ein Jahr lang gemeinsamen ihre Idee von Zukunft entwickeln und dann auf die Bühne bringen. "Next Generation" heißt dieses Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010.

Von Friederike Schulz | 04.02.2010
    "So, alles klar. Dann startet mal und unterhaltet uns bitte."

    Omid Kermani zieht den Regler am Mischpult auf, nickt den Jungs seiner Band zu, die sich im Halbkreis aufgestellt haben. Fast jeden Nachmittag treffen sich die zehn jungen Hip-Hopper von "X-Vision" im Jugendzentrum in Bochum-Wattenscheid. Das Jugendzentrum ist eines von zehn sogenannten Zukunftshäusern des Jugendprojekts "Next Generation" der Kulturhauptstadt Ruhr 2010.

    "Bruder, lass die Waffe fallen, denn es gibt andere Wege, denn in dieser Welt muss man alles selber regeln. Es sind Tage, die dir Atem und die Liebe klauen, denn in dieser Welt kannst Du nicht mal Freunden trauen. Ich hab so viel erlebt. Man ist der Grund, dass Schüler nur noch Fünfen sehen. Diese Vorurteile machen meinen Kopf kaputt. Andere ignorieren es, die Jugend sagt dazu: na und."

    Es ist ein düsteres Bild, das die Hip-Hopper von "XVision" von der Zukunft malen. Ihre Eltern sind Einwanderer, aus Albanien, der Türkei und dem Libanon. Was fehlt, sei eine Perspektive, sagt Robin, der unbedingt Abitur machen will. Die meisten von ihnen gehen in die zehnte Klasse einer Haupt- oder Realschule und fragen sich, was danach kommen soll.

    "Wir sind die Zukunft, wir arbeiten zurzeit daraufhin, dass wir in zwei, drei, vier Jahren, vielleicht sogar in einem Jahr einen Job haben. Die Möglichkeiten, dass wir eine Arbeit oder eine Ausbildungsstelle bekommen, werden immer geringer. Deswegen sind die meisten von uns immer nur noch am Lernen, Lernen, Lernen, damit wir gute Noten haben, um eine Ausbildungsstelle zu bekommen."

    Thomas Laue, Chefdramaturg am Schauspiel Essen, hat das Projekt initiiert. Ihn interessierte die Frage, welche Ideen junge Menschen im Ruhrgebiet vom Leben in einer Region haben, die von Strukturwandel und Arbeitslosigkeit geprägt ist. Er hatte bereits vor drei Jahren ein Bühnenprojekt mit Jugendlichen gestaltet, das lange Zeit auf dem Spielplan des Essener Grillo-Theaters stand. Als feststand, dass Essen und das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt werden, war für Thomas Laue klar, dass dazu auch unbedingt ein Jugendprojekt gehören sollte.

    "Was passiert, wenn Leute, die zwar in einer Stadt, aber in dieser Stadt unter ganz unterschiedlichen Bedingungen leben, über Zukunft nachdenken? Kommen die alle auf die gleiche Vorstellung von Zukunft, entwickeln sie alle die gleiche Vision, oder haben sie die gleichen Sorgen und Ängste? Oder besteht da doch ein Unterschied, je nachdem, wie man aufwächst. Was passiert, wenn man sich diese unterschiedlichen Vorstellungen von Zukunft gegenseitig erzählt? Das hat uns interessiert."

    Der Dramaturg kontaktierte Schulen, Hip-Hop-Gruppen und Tanzvereine in der Region und suchte professionelle Partner, die die Jugendlichen betreuen. Entstanden sind zehn ganz unterschiedliche Häuser. In Herne ist zum Beispiel ein Straßentanzprojekt geplant. In Bochum werden Auszubildende des Opel-Werks mit professionellen Kameraleuten einen Film über die ungewisse Zukunft ihres Arbeitgebers drehen. An der Ruhr-Universität schreiben Studenten ein szenisches Chorprojekt, in dem sie sich mit den Wünschen und Ängsten ihrer eigenen Generation auseinandersetzen.

    Das kleinste "Zukunftshaus" ist gerade mal 15 Quadratmeter groß - ein altes Ladenlokal im Essener Stadtteil Altendorf. Ein großes Fenster zur Straße raus, ein wuchtiger brauner Holztisch, ein Sofa mit quietschgrünem Plastikbezug und zwei Ledersessel aus der Theaterrequisite - fertig. Das Lokal soll als Basislager für Erkundungen im Viertel dienen, denn die Regisseurin Ines Habich möchte mit Jugendlichen aus der Gegend ein Theaterstück über den früheren Arbeiterbezirk Essen-Altendorf schreiben. Zehn junge Leute sind der Einladung zur Eröffnung gefolgt, sie sitzen auf dem Sofa und der Fensterbank und hören der Zweimannband zu, die zum Auftakt spielt.

    Die 31-Jährige stammt selbst aus dem Ruhrgebiet, kannte Altendorf aber bis vor Kurzem auch nur vom Durchfahren - bis ihr die riesige Baustelle am Rande des Viertels auffiel. Dort baut ThyssenKrupp seine neue Konzernzentrale, direkt daneben entsteht eine riesige Parkanlage mit Teich. Die Firma Krupp hatte lange Zeit ihren Sitz hier in Essen, zog dann aber nach Düsseldorf. Nun will der inzwischen fusionierte Großkonzern zurück zu seinen Wurzeln.

    "Es gab bunt besprühte Wände mit Mega-Zukunftsvisionen, was dieses Unternehmen für diesen Stadtteil plant. So eine komische Cyberwelt war da auf den Plakaten. Da bin ich dann mit dem Auto weitergefahren und komme dann in den wirklichen Stadtteil und habe gedacht: Irgendwie komisch, dass das jetzt so direkt nebeneinander liegt, beziehungsweise miteinander verbunden werden soll. Und ist den Leuten hier überhaupt klar, dass direkt nebenan so eine Cyberwelt entsteht?"

    Ein Spannungsfeld, das den perfekten Hintergrund für ihr Zukunftshaus bietet, dachte sich Ines Habich, die zu dem Zeitpunkt noch einen Standort suchte. Schließlich geht es bei "Next Generation" darum, gemeinsam mit den Jugendlichen darüber nachzudenken, in was für einem Umfeld sie leben wollen.

    Zum Abschied drückt Ines Habich jedem Gast einen Flyer in die Hand, darauf der Termin fürs Casting in der kommenden Woche. Ferdi, der mit seinen Freunden die ganze Zeit auf dem Sofa gesessen hat, steckt im Rausgehen den Flyer ein. "Wir kommen sicher", seine Freunde Arslan und Mehmed nicken.

    "Wir müssen zeigen, was in Altendorf steckt, was hier passiert, wieso wir hier wohnen. Viele sagen ja auch, in Altendorf sei es voll schlimm, Drogenverkauf und alles. Aber so ist das hier eigentlich gar nicht, wenn man hier lebt, dann weiß man, dass das nicht stimmt."

    Ines Habich ist sich sicher: Die Vision aus ihrem Zukunftshaus wird am Ende des Jahres anders aussehen als die auf dem Bauzaun von ThyssenKrupp.