Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Zukunftsrat Kleine Fächer
Orchideenfächer zukunftsfähig aufstellen

Orchideenfächer - also kleine Fächer - werden weniger. dem entgegenzuwirken versucht Markus Hilgert, Vorsitzender des Zukunftsrats Kleine Fächer in Baden-Württemberg. Es werde überlegt, wie man Kooperationsmodelle schaffen könne, die dafür sorgen, dass die gesellschaftlich relevanten Kompetenzen der kleinen Fächer nicht verloren gehen.

Markus Hilgert im Gespräch mit Michael Böddeker | 27.03.2017
    Markus Hilgert, Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin
    Markus Hilgert ist Direktor des vorderasiatischen Museums im Pergamon-Museum in Berlin (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    Michael Böddeker: BWL, Jura und Informatik kennt jeder, aber wie sieht es aus mit Tibetologie, Archäozoologie und Keltologie? Solche Orchideenfächer oder kleinen Fächer sind sehr viel seltener, und genau wie bei seltenen Tieren oder Pflanzen gibt es auch hier Anstrengungen, um sie vom Aussterben zu bewahren, denn was weg ist, ist erst mal weg. Schließen geht schließlich viel schneller als einen Studiengang neu aufzubauen. In Berlin beraten heute Experten über "Kleine Fächer und große Potentiale", so der Titel der Tagung. Christiane Habermalz war für uns dabei.
    Beitrag: Kleine Fächer - Tagung in Berlin
    Ganz besonderes Fachwissen also auf der Tagung in Berlin. Als Experte geladen ist dort heute auch Professor Markus Hilgert. Er ist der Direktor des vorderasiatischen Museums im Pergamon-Museum in Berlin, und er ist Vorsitzender des Zukunftsrats Kleine Fächer in Baden-Württemberg. Dieser Rat soll die Angebote landesweit koordinieren. Vor zwei Jahren ungefähr wurde diese Idee vorgestellt, wir hatten damals auch darüber berichtet. Ich habe vor der Sendung mit Markus Hilgert gesprochen und ihn gefragt, wie weit ist der Rat denn inzwischen?
    Markus Hilgert: Wir haben unsere Arbeit im Jahr 2015 aufgenommen. Der Zukunftsrat war ja eine der Empfehlungen der Expertenkommission für die kleinen Fächer in Baden-Württemberg, weil es uns damals sehr schnell klar geworden ist, dass man ohne eine moderierende, eine Kommunikationsinstanz auf Landesebene, es sehr schwierig ist, tatsächliche politische Lösungen für die Herausforderungen zu finden, die sich im Bereich kleine Fächer ergeben. Da geht es ja zum Beispiel auch um die Frage, wie auf Landesebene bestimmte wissenschaftliche Fachkompetenzen erhalten beziehungsweise ausgebaut werden können, und wenn wir daran denken, dass es ja in Baden-Württemberg, wie anderswo auch, eine Hochschulautonomie gibt, dass also Universitäten mehrheitlich oder weitestgehend autonom entscheiden können, welche Fächer sie erhalten und welche nicht, dann erschien es uns wichtig, dass es da eine Kommunikationsplattform gibt. Die haben wir geschaffen mit dem Zukunftsrat, und ich denke, wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg. Wir haben zahlreiche innovative Projekte gefördert beziehungsweise sind gerade dabei, in eine zweite Förderrunde zu gehen, und da zeigt sich eben auch tatsächlich, dass es Bedarf gibt für diese Art von struktureller Förderung, und darüber hinaus ist der Zukunftsrat ja tatsächlich auch das Gremium, in dem sehr grundsätzlich über Fragen auch der Moderation, des Qualitätsmanagements in den kleinen Fächern nachgedacht wird, und das tun wir.
    "Unser Modell ist weniger das des Schließens"
    Böddeker: Dieser Zukunftsrat, haben Sie gesagt, soll für Kommunikation sorgen, für Moderation, dafür, dass das ganze zukunftssicherer wird. Das klingt alles sehr positiv, aber heißt das nicht auch, dass man wirklich überlegen muss, an welchen Standorten es noch Sinn macht, einfach aufrecht zu erhalten und dass manche auch vielleicht dann zusammengelegt werden und eben an manchen Standorten auch geschlossen werden?
    Hilger: Ich glaube, dass es tatsächlich darum geht, zu überlegen, wie man bestimmte fachwissenschaftliche Kompetenzen zukunftsfähig aufstellen kann, und zukunftsfähig aufstellen heißt, dass sie natürlich sinnvoll in einen Verbund von Disziplinen eingebunden sein müssen, von denen sie einerseits profitieren, in die sie andererseits aber auch Wissen exportieren können, das heißt eine isolierte fachwissenschaftliche Kompetenz, und eine Universität macht in der Tat wenig Sinn. Unser Modell ist weniger das des Schließens, des isolierten Schließens oder des isolierten Wiederaufbauens, sondern dass man sich tatsächlich gerade auf der Landesebene überlegt, wie man Kooperationsmodelle schaffen kann, gegebenenfalls auch standortübergreifend, die dafür sorgen, dass diese gesellschaftlich relevanten Kompetenzen nicht verloren gehen beziehungsweise weiter ausgebaut werden. Das können ja zum Beispiel auch Verbünde mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen sein. Genau um solche innovativen Struktur- und Handlungsmodelle zu fördern, gibt es ja den Zukunftsrat. Wir fördern ja keine Forschung im herkömmlichen Sinne, sondern wir fördern tatsächlich solche strukturbildenden Modelle, die versuchen sollen, mit den Herausforderungen, die sich in diesem Bereich ergeben, produktiv umzugehen.
    Böddeker: Das klingt jetzt alles noch relativ abstrakt. Können Sie vielleicht mal ein Beispiel dafür geben, wie so eine Zusammenarbeit aussieht, die dann auch die verschiedenen Standorte stärkt?
    Hilger: Also es gibt ein sehr gutes Beispiel, das vom Zukunftsrat gerade auch gefördert wird: Das ist ein Verbund von Universitäten, aber auch von Museen und Landesdenkmalämtern in Baden-Württemberg beziehungsweise vom Landesdenkmalamt in Baden-Württemberg, bei dem es um die Erhaltung von münzkundlicher Kompetenz geht, also Numismatik. Numismatik ist ein Fach, das mal als historische Grundwissenschaft galt, dass es aber kaum noch an deutschen Universitäten gibt, das aber in mehrfacher Hinsicht bedeutsam ist, auch gesellschaftlich relevant, zum einen, weil immer wieder Münzen gefunden werden, zum anderen, weil sich natürlich Münzen im auch illegalen Handel mit Kulturgütern befinden. Die Frage ist natürlich, wie man diese numismatische Kompetenz langfristig sichern kann, und da haben sich die verschiedenen Universitäten des Landes mit ihren teilweise sehr bemerkenswerten Münzsammlungen zusammengeschlossen, haben einen Verbund gegründet zusammen auch mit Landesmuseen, und das wird jetzt in Baden-Württemberg gefördert, dass sowohl sichergestellt ist, dass die numismatische Kompetenz auf Landesebene insgesamt erhalten ist als auch, dass die Weiterbildung und Ausbildung in diesem Fach gewährleistet ist.
    "Entscheidend ist, dass wir natürlich nicht die Kulturhoheit der Länder infrage stellen"
    Böddeker: Wir haben jetzt über Baden-Württemberg gesprochen. Wäre es Ihrer Meinung nach sinnvoll, dieses Konzept vom Zukunftsrat auch in anderen Ländern oder bundesweit umzusetzen?
    Hilger: Eins unserer Ziele ist ja gewesen, genau diese Frage zu beantworten, nämlich ob das, was wir in Baden-Württemberg testen, erproben im Rahmen der Landesinitiative, sich auch auf einer übergeordneten Ebene umsetzen lässt. Grundsätzlich ist es ja tatsächlich so, dass wir aufgrund der Kulturhoheit der Länder in Deutschland ja einen erheblichen Kommunikations- und Moderationsbedarf im Bereich der Kultur haben. Das gilt ja nicht nur für die kleinen Fächer, sondern das gilt auch in anderen Bereichen, die für die Kultur relevant sind, und insofern glaube ich schon, dass man darüber nachdenken muss, wie man den Wissenschaftsstandort Deutschland insgesamt im Bereich kleiner Fächer stärken beziehungsweise weiter ausbauen kann, und dafür ist tatsächlich auch eine länderübergreifende Moderation beziehungsweise ein länderübergreifendes Gespräch notwendig. Entscheidend ist, dass wir natürlich nicht die Kulturhoheit der Länder infrage stellen, sondern dass wir versuchen, parallel dazu gewissermaßen ein Gesprächsforum zu schaffen, in dem die Bedarfe formuliert werden und in dem ausgehandelt werden kann, wie man sich längerfristig strategisch in diesem Bereich aufstellt, denn es geht hier vor allen Dingen eben tatsächlich auch darum, strategisch zu überlegen und zu handeln, denn was bislang gefehlt hat in diesem Bereich, ist wirklich eine länderübergreifende Strategie für den Wissenschaftsstandort Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.