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Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys
Mythos und Mission

Kataloge, Biografien, Deutungen: Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys ist eine Flut von neuen Büchern erschienen. Sie alle eint eine Erkenntnis: Das synkretistische Werk des selbsternannten Heilsbringers entzieht sich bis heute jeder klaren Deutung.

Von Stefan Koldehoff | 12.05.2021
3 Cover von besprochenen zu Joseph Beys
Beuys suchte die Öffentlichkeit. Was bleibt von seiner Kunst ohne seine charismatische Präsenz? (Cover von kultur.west, Steidl, C.H. Beck)
Drei sehr unterschiedliche Bücher ragen aus den Neuerscheinungen zum Beuys-Jubiläum heraus: Eine Biografie unter Einbeziehung von Zeitzeugen der Düsseldorfer Journalistin Christiane Hoffmans, ein Bildband der langjährigen Weggefährten Gerhard Steidl und Klaus Staeck und eine Annäherung an das Werk des Zürcher Kunsthistorikers Philip Ursprung.
Ursprung hat sein fundiertes und gut zu lesendes Buch "Kunst, Kapital, Revolution" in 24 Kapitel gegliedert, die er Tableaus nennt. Quer durch ganz Europa reiste der Autor, um in Museen wie in Landschaften den Spuren des Künstlers nachzugehen - im Leben wie im Werk. Der Autor bezeichnet sich als Freund des so genannten "Reenactments", also des Versuchs, sich historische Ereignisse durch Inszenierungen anzuverwandeln und zu verstehen. Biografie und Werk will er dabei trennen, nicht nach der Bedeutung, sondern nach der Funktion von Beuys‘ Arbeiten fragen. Dafür zeichnet er an Orten wie dem Hessischen Landesmuseum in Darmstadt mit seiner großen Werkgruppe "Block Beuys" am Niederrhein, aber auch in Belgien und Irland den Lebensweg des Künstlers nach.

"Erweiterter Kunstbegriff" und "Soziale Plastik"

Ursprung erzählt von Beuys' Vergangenheit als Wehrmachtssoldat, der Mythen- und Legendenbildung bis hin zur Selbstinszenierung als Heilsbringer, der die Gesellschaft durch Kunst verändern wollte. Der Kunsthistoriker erklärt den angeblich erst durch ihn "erweiterten Kunstbegriff" und die "soziale Plastik", an der Alle – "Jeder Mensch ist ein Künstler" – mitwirken sollte. Das liest sich bisweilen aber sehr affirmativ – nicht zuletzt deshalb, weil Ursprungs Text in weiten Passagen ein Erfahrungsbericht in der Ich-Form ist.
Fragen, die er stellt, wirken gelegentlich so, als sollten sie nur der Bestätigung seines eigenen Beuys-Bildes sein. "Ich wollte mich nicht mit einem Werk befassen, dem man wie einem Orden beitreten muss", kommentiert Ursprung selbst den Beuys-Kult schon zu Lebzeiten; nicht immer wird er seinem Anspruch gerecht. Auch die immer wieder als Referenz zitierte Geschichte der europäischen Geschichte trägt nicht dazu bei, Beuys vom bis heute esoterisch-anthroposophischen Podest zu holen, auf das ihn seine treue Anhängerschaft – mit Beuys' tatkräftiger Hilfe zu Lebzeiten – bis heute gesetzt hat.
Jonathan Meese - "Beuys ohne Polit-Beuys ist geil!"
Anlässlich des 100. Geburtstags von Joseph Beuys veranstaltet Jonathan Meese in Wien eine Theaterparty. Bei dieser soll der Künstler Beuys gefeiert werden, nicht jedoch der Politiker. Die beiden Bereiche müsse man trennen, findet Meese.

Auch unangenehme Fragen

Deutlich sachlicher und distanzierter nähert sich die Kunstkritikerin Christiane Hoffmans ihrem Gegenstand. Auch sie kennt sich aus im Werk von Joseph Beuys und hat viel davon gesehen. Ihre chronologisch aufgebaute Einführung "Der Jahrhundertkünstler Beuys" löst sich aber immer wieder vom Künstler und seiner Kunst und schafft es, den Überblick zu behalten. Beuys' Lehrtätigkeit und die Auseinandersetzung mit dem NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau, sein gescheitertes politisches Engagement bei den "Grünen", die große Retrospektive 1979 im Guggenheim Museum werden bei ihr – wie bei Ursprung – beschrieben und analysiert.
Vor allem aber scheut Hoffmans sich nicht, die unangenehmen Fragen zu stellen, die spätestens gestellt werden müssen, seit Hans Peter Riegel von 2013 an eine vierbändige Biografie (bei Riverside Publishing) mit aufklärerischem Anspruch vorgelegt hat: War Beuys' Selbstinszenierung als Erlöserfigur und Heiler eine Reaktion auf Auschwitz? Welche Rolle spielte seine Ablehnung der Moderne, sein Hang zu einem romantisierenden Okkultismus, seine These, der Rationalismus vernichte die Seele der Menschen? Wie völkisch und nationalistisch waren Beuys' Aktionen, Schriften und Initiativen – etwa die "Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung". Und gab es für das Ziel, die Politik zu ästhetisieren, nicht auch historische Vorbilder?
Vor allem aber stellt Hoffmans die entscheidende Frage nach der Gegenwart der Kunst von Joseph Beuys: Sind in den Museen nicht nur lediglich Relikte seiner Aktionen und seiner enigmatischen Präsenz zu sehen – tote Gegenstände aus längst vergangenen Zeiten, Ideen und Ideologien? Welche Arbeiten und Aktionen haben bis heute ihre Relevanz behalten? Wie sollen Museen mit Beuys und seinem Werk umgehen? Und wird es in einigen Jahrzehnten noch eine wesentliche Rolle spielen, wenn seine Weggefährten den Beuys-Mythos nicht mehr aufrechterhalten können?

Freundschaftsalbum

Allein diesem Mythos ist der Bildband "Beuys Book" der beiden Verleger und Beuys-Freunde Gerhard Steidl gewidmet. Auf 736 Seiten haben Sie ausschließlich Fotografien versammelt, die immer wieder Beuys zeigen. 452 Aufnahmen: Beuys bei der Arbeit, Beuys in Ausstellungen, im Atelier, beim Signieren, in Gesprächen, mit Fans. Die Fotografie und der Film sind die einzigen Medien, in denen das Werk und das zweifellos vorhandene Charisma des Künstlers selbst, jenseits seiner Arbeiten, bis heute erhalten bleibt. Kritische Distanz, analytische Annäherung gar, vermittelt die Auswahl mit nur einem kurzen Einleitungstext aber nicht. Das allerdings wollte wohl auch nicht der Zweck dieses Freundschaftsalbums in Buchform sein. Es will nur affirmativ hinzufügen, was die beiden anderen Büchern – wohl aus Lizenz- und Kostengründen – nur sehr spärlich leisten können: visuelle Dokumentation.
Philip Ursprung: "Joseph Beuys. Kunst, Kapital, Revolution"
C. H. Beck Verlag, München
336 Seiten. 29,95 Euro
Klaus Staeck/Gerhard Steidl: "Beuys Book"
Steidl Verlag, Göttingen
736 Seiten mit 452 Abbildungen. 45 Euro
Christiane Hoffmans: "Der Jahrhundertkünstler Joseph Beuys.
Einführung in Leben und Werk"
Verlag kultur.west, Essen
160 Seiten. 14,95 Euro