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Zum 100. Geburtstag von Samuel Beckett

Der am 13. April 1906 in Dublin geborene Samuel Beckett veröffentlichte Anfang der 30er Jahre sein erstes Essay über sein Vorbild James Joyce, den anderen großen irischen Schriftsteller. Ab 1937 lebte er in Paris, wo er sich später der Resistance anschloss. 1942 musste er fliehen. Nach Kriegsende kehrte er nach Paris zurück und lebte dort abseits der Öffentlichkeit als freier Schriftsteller bis zu seinem Tod am 22. Dezember 1989. Im Jahre 1969 wurde er mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Eine Auswahl an Hörspiele und Gedichten sind auf sechs CDs in einem Hörbuch erschienen.

Von Angela Gutzeit | 13.04.2006
    Wladimir: Müsste eigentlich hier sein.
    Estragon: Er hat allerdings nicht fest zu gesagt, dass er käme.
    Wladimir: Wenn er nicht kommt?
    Estragon: Dann kommen wir morgen wieder.
    Wladimir: Dann übermorgen.
    Estragon: Vielleicht.
    Wladimir: Und so weiter.
    Estragon: Was heißt ..?
    Wladimir: Bis er kommt.
    Estragon: Der lässt nicht locker.
    Wladimir: Ich glaube ja, wir waren gestern Abend schon hier.
    Estragon: So, da täuschst du dich.
    Wladimir: Ja was haben wir dann gestern gemacht?
    Estragon: Ja, was haben wir dann gemacht?
    Waldimir: Ja?
    Estragon: Wo es was zu bezweifeln gibt, da bist du dabei.
    Wladimir: Ich meine, dass wir hier waren.


    Heinz Rühmann spielte den Wladimir, Friedrich Domin den Estragon. Das war 1954 auf der Generalprobe in den Münchner Kammerspielen. Fritz Kortner hatte die Regie. "Warten auf Godot" - das Stück hatte den damals 47-jährigen Samuel Beckett ein Jahr vorher, also 1953, weltberühmt gemacht.

    Das Drama hob das konventionelle Theater buchstäblich aus den Angeln. Beckett, so sagte einmal der amerikanische Schriftsteller Raymond Federman, Beckett habe - zu seiner Freude, wie auch manchmal zu seinem Verdruss - mit jedem Stück, mit jedem Roman oder Hörspiel immer die Nase vorn gehabt. Diese Sprachspielereien, dieses Sich-im-Kreise-Drehen seiner Figuren, dieses ewige Suchen und nicht Finden, dieses Wollen aber nicht können, - das sei es gewesen, was in der Luft lag und was auf unheimliche Art und Weise mit den experimentellen Tendenzen in Musik und Malerei korrespondierte.

    Klaus Herm, der unter Becketts Regie 1975 am Berliner Schiller-Theater spielte, sprach später von diesem Stück als einem Ereignis, das ihm die Sprache verschlug.

    Es ist daher konsequent, dass der Hörverlag sein 6 CDs umfassendes Beckett-Hörbuch mit "Warten auf Godot" eröffnet. Heute verfolgen wir es wohl eher mit Gelassenheit, wie der Bekettsche Clown, der als Clochard, Landstreicher oder Versehrter immer wieder bei Beckett auftaucht - hier gleich im Doppelpack - gegen Ohnmacht und Orientierungslosigkeit ankämpft.

    Aber beim Hören dieser alten Aufnahme stellt sich doch erstaunlicherweise wieder ein wenig von dieser Spannung ein, von der in Gaby Hartels Feature "A Stain upon the Silence" am Schluss des Hörbuches die Rede ist. Wir wollen ja schließlich, dass Wladimir und Estragon von der Stelle kommen, dass sie nicht umsonst warten. Warum geht das nicht? Und warum gehen sie nicht einfach? Diese Fragen, dieses Warten auf "Erlösung" vermitteln sich noch heute Zuhörern wie Zuschauern.

    Die Beckettschen Figuren zeigen den aufs Elementare reduzierten Menschen. James Joyce, Becketts Leitstern der frühen Jahre, habe einmal geäußert, so gibt das hörenswerte Feature Auskunft, wenn man sich mit dem menschlichen Unglück beschäftige, sei jeder Anflug von Eloquenz unerträglich. Beckett hat diese Anforderung von Joyce in sprachlich-ästhetischer Hinsicht noch bei weitem übertroffen. Er hat mit seiner Suche nach einer authentischen Sprache nicht nur seine Figuren immer weiter reduziert, sondern auch die Sprache von ihren Trägern losgelöst, sie immer weiter komprimiert, sie in Beziehung gesetzt zu Musik, Geräuschen, Pausen und zur Stille.

    Wer so arbeitet und experimentiert, der kommt an Film, Fernsehen und den Möglichkeiten des Hörspiels nicht vorbei. Becketts erstes Hörspiel "At that Fall" ("Alle, die da fallen") von 1957 ist auf einer der CDs im englischen Original mit Becketts Lieblingsschauspielerin Billie Whitelaw zu hören.

    Eine Frau versucht zum Bahnhof zu kommen, um ihren blinden Mann abzuholen. Stimmen fließen ineinander, Erinnerungsfetzen tauchen auf, Geräusche werden vernommen: Wind, Regen, keuchender Atem, knirschende Schritte, Tierrufe. Die Schauspielerin Billi Whitelaw sprach einmal davon, dass Beckett Skulpturen auf der Bühne erschaffen würde. Hier, im Hörspiel, produziert Beckett eine Laut- und Stimmenmalerei, um Lebewesen und Dinge auf ihre akustische Präsenz zu reduzieren. Eine derartig ausgefeilte Ästhetik bereicherte die Entwicklung des Hörspiels seit den fünfziger Jahren ungemein.

    Fünf Hörspiele hat Samuel Beckett zwischen 1957 und 1976 verfasst. "Pochade Radiophonique", aus dem gerade ein Ausschnitt zu hören war, entstand in den 60er Jahren, eine Produktion des Bayrischen Rundfunks von 2005 unter der Regie von Karl Bruckmaier. Eine Versuchsanordnung von drei Stimmen, einer Peitsche und einem Aufnahmegerät. Ein Animator lässt einem Mann namens Fox den Knebel abnehmen, um ihn unter Gewalteinwirkung zum Sprechen zu bringen. Fox - die Ähnlichkeit mit dem Wort "Vox", die Stimme, ist überdeutlich. Frei zirkulierende Stimmen und die geradezu schmerzliche Hyperpräsenz von Geräuschen lassen in der Phantasie des Hörers eine irritierend unbestimmte Konstellation von Opfer und Täter entstehen.

    Das Beckett-Hörbuch bietet auch eine Auswahl von Gedichten Becketts, wie seine Kurzgedichte, erschienen unter dem Titel "Trötentöne", wie auch kurze Prosastücke. Bei den Prosafragmenten "Um abermals zu enden und anderes Durchgefallenes" begegnen wir im ersten der sechs Texte aus den 70er Jahren wieder dem Beckettschen Clown und Landstreicher. Es handelt sich hier um eine Produktion des Bayrischen Rundfunks aus dem Jahre 2004. Ein einsamer Mensch, unternimmt eine ziellose Wanderung. Er geht langsam, er verliert Blut, aber er gibt nicht auf.

    Die sechs CDs geben Einblicke in das Schaffen Becketts als Dramatiker, Romancier, Lyriker und Hörfunkautor. Becketts Figuren lassen sich auf wenige Typen und Konstellationen zurückführen. Von seinem Romanerstling "Molloy" bis zu seinen späten Prosaarbeiten, von "Warten auf Godot" bis zur kurz vor seinem Tod 1989 produzierten Videoarbeit "Who Where" ist bei Samuel Beckett nicht nur das Spielerische, das Clowneske, das trotz aller Einschränkungen immer noch Lebendige der Figuren auf der Strecke geblieben, sondern am Schluss sogar die Sprache. Aber auch das sollte nicht mit Aufgeben gleichgesetzt werden, sondern als Versuch, in äußerster Konsequenz Erkenntnis zu vermitteln.