Freitag, 29. März 2024

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Zum 75. Geburtstag von Peter Rühmkorf.

Frommer Wunsch

von Agnes Hüfner | 25.10.2004
    Wünsch mir im Himmel einen Platz
    (auch wenn die Balken brächen)
    bei Bellmann, Benn und Ringelnatz
    und wünschte, daß sie e i n e n Satz
    in e i n e m Atem sprächen:
    nimm Platz!

    Noch, vor allem in diesen Tagen, kann man Peter Rühmkorf auf vielen Hochzeiten tanzen sehen, ihn in Buchhandlungen und Festsälen und im Radio hören und in der Presse – ein Lob gibt das andere – Auszüge Besprechungen seines soeben erschienenen Tagebuchs "Tabu II" lesen.

    13. April 71. Mit 41 auf einmal sein ganzes Leben aufzeichnen wollen?
    ...
    schließlich ein Komposthaufen bildet.

    Ungefähr zeitgleich mit der Niederschrift von Tabu II – es beginnt im April 1971 und schließt im Juni 1972 – schrieb Rühmkorf sein Leben auf. Während das Tagebuch im Literaturarchiv in Marbach zwischengelagert wurde – ehe der Autor es Ende der 80er zurückrief – veröffentlichte er die Biographie "Die Jahre die Ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen" unmittelbar nach Abschluß des Manuskripts im April 1972.

    Das hatte schon seinen Anlaß, weil diese blaue oder blaurote Luftblase der Utopie, den die APO sich und uns versprochen hatte, geplatzt war und auf einmal diese utopische Gemeinschaftswelt in lauter Partikel und Streusel auseinander gesprengt war. Und da ich keiner politischen Gruppe anhing, in die sich viele flüchteten damals, fand ich doch nirgends recht Unterkommen und fühlte mich - es ist ja ein alter Begriff - von der heimatlosen Linken. Ich war ein einzelner heimatloser Linker, aber davon gab es eine ganze Menge. Und während ich noch an den Memos saß, begann ich gleichzeitig, die Tage mitzuschreiben, und dann habe ich ein gemischtes Tagebuch seitdem geführt, eisern, aus allen möglichen Privatissima, aber auch aus politischen Anwehungen, aus politischen Verärgerungen, und insofern entstand ein buntes Gemisch, wie sie eben nur ein Tagebuch bildet.

    Zu den streng vertraulichen Mitteilungen in "Tabu II" gehört eine über viele Seiten ausgebreitete Liebesgeschichte, ein Seitensprung des Autors und seines Freundes Erich.

    Mit einem Freund zusammen, auch älteren Datums, er war 10 Jahre älter als ich, kommen diese beiden alten Kerle in gewisse erotische Verwicklungen hinein mit sehr jungen Mädchen, und es war ja so eine recht bewegte Zeit, wo du gar nicht mehr wußtest, von wem die Verführung und von wem die Frechheiten ausgingen. Die jungen Mädchen waren auch alle vom Geist noch der APO, des Antiautoritären so durchweht, daß sie sich sonst was herausnahmen. Eigentlich hatte es doch etwas wie die Einlösung einer Utopie insofern, als die Altersgrenzen aufgehoben schienen. Das ist eine wirklich große, persönlich erlebbare Utopie, daß Du auf einmal siehst, Altersgrenzen zählen gar nicht mehr.

    In der Biographie Die Jahre die Ihr kennt nicht anders als in seinem Tagebuch stellt der Autor sich wiederholt und gern als einen alten Mann dar – zu diesem Zeitpunkt, Anfang der 70er, ist Peter Rühmkorf 42, 43 Jahre alt.

    Schon in meinen Jugendgedichten tauchen so viele Verelendungsmotive und Herbstgedanken auf, die sich dem Alter nähern. Das ist ein Lebensmotiv von mir, komischerweise ein durchgehendes, daß man sich vorzeitig schon von irgendwelchen Schatten bedroht sieht. Diese Beschattung - wir kennen es ja aus dem frühen Expressionismus. Das waren alles ganz junge Kerle, zwischen 21 und 24 Jahren, aber alles sehr von Vergänglichkeitsanwehungen getrübt oder eingefärbt. Und da war ich in die Schule gegangen, und, naja, in dem Alter von 17,18,19 Jahren hatte ich eine richtige Psychoneurose, die mich fast gelähmt hat. Ich hatte eine Angst- und Zwangsneurose, die soweit ging, daß ich das Haus nicht mehr verlassen konnte. Naja. Das war so ein Mehltau, der mein Leben und meine Lebensansichten schon sehr früh irgendwie sehr grau bedeckte. Darunter aber wühlte ein Vitalismus, der sich nicht totkriegen lassen wollte. Und aus diesem trüben Gemisch hat sich dann wirklich eine literarische Kennungslinie herausgearbeitet, daß fast alle meine Gedichte mit einem tiefen, tiefen melancholischen, elegischen Durchhänger anfangen, ganz langsam sich dann zu einer gewissen Munterkeit erraffen und am Schuß mit einem sozialen Imperativ in die Freundschafts- und Genossenschaftswelt hineinreden. Das ist meine eigentliche poetische Signatur, die ich so, ja, die ich so, derart vergleichbar, noch sonst nirgendwo entdeckt habe. Nicht.

    Ansteckendes Pfeifen
    Heute mich plötzlich wieder mal
    auf der Straße pfeifen gehört
    ...
    In Ordnung.
    In zwei Stunden?
    Können wir so machen!


    Das Gedicht Ansteckendes Pfeifen erschien vor kurzem in der FAZ. Daß es im nächsten Tagebuch, das Rühmkorf hat längst in Arbeit hat - nachzulesen sein wird, erscheint gewiß, denn die Notate aus dem Alltag des Autors sind zugleich Werkstattberichte.

    Dieses Tagebuch ist auf der einen Seite auch ein Arbeitstagebuch. Es wird zB berichtet über dramatische, theatralische Experimente, irgendwo tauchen dann Vorentwürfe eines Hörspiels auf, das sehr viel später im WDR unter dem Titel "Sperrmüll" gesendet wurde, dann kommen wieder rhythmische Verbindungen, Gedichte, bröckelweise, eigentlich ist es nur Sternenstaub. Dann taucht Walther von der Vogelweide mit ins Gespräch. Das nächste Buch, das ich dann geschrieben habe, "Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich" deutet sich bereits an. Eigentlich wollte ich eine Minnesängeroper schreiben. - Das heißt: Der Autor probiert sich selbst durch in allen Möglichkeiten, die ihm vielleicht gegeben sind. Dieses ganze Buch ist eigentlich eine Experimentierstrecke.

    Gänzlich unerwartet – wie oft hat Rühmkorf schon erklärt, er könne keine Romane schreiben - wechselt z.B. das Tagebuch-Ich in die Rolle eines Erzählers und beschreibt, die privaten Auskünfte unterbrechend, die Geschichte seines Freundes Erich, eines Lebens- und Verstellungskünstlers.

    Diese Figur hatte für mich etwas repräsentativ poetisches. Er arbeitet in seinem Leben mit sich, wie die Dichter in ihren Schriften verfahren, wie sie sich selbst überhöhen in Gedichten oder in Romanen sich eine ganz andere Form verleihen, wie Arno Schmidt, alles Heldengestalten bei Arno Schmidt, und immer heimlich das Ich dahinter. Und das schien mir eine interessante und auch literarisch verfolgungswürdige Figur. Immer wenn ich da war, sagte ich, komm erzähl‘. Dann hat er mir sein Leben in seinen ganzen Etappen erzählt, und diese Etappen sind im Tagebuch eingelagert. Dafür gibt es literarische Beispiele, zB den "Kater Murr" von ETA Hoffmann. Auf der einen Seite den Spießer, den Kater Murr, das bin ich, und dazwischen haben wir die außerordentlich interessante Biographie des Dirigenten Kreislers. Eigentlich ist es ein romantisches Buch. Das Tagebuch ist ja so, daß es nur das und das und dann, d.h. keine Perspektive. Aber dieser Typ brachte auf einmal einen erzählerischen Keil in dieses ganze zerstreuselte und verstreuselte Treiben des Tagebuches. Das Mosaik oder Kaleidoskop eines bunten Tagebuchs wurde durchbrochen durch diesen erzählerischen Keil einer richtig dollen Lebensgeschichte, deren wahre Dolligkeit, Dreistigkeit sich leider erst im Tabu III enthüllt.

    Neben dem Romanentwurf – so nennt der Autor seine Erzählung über den Freund Erich -, den erotischen Privatissima und Befindlichkeitsmitteilungen, befaßt Rühmkorf sich ausführlich mit der RAF. Heftig lehnt er deren Aktionen ab, spricht von "totalem Theater" , scheußlicher Schmierenkomödie. Dann notiert er: Ulrike Meinhof ist verhaftet worden, Ulrike, die vertraute Kollegin, Mitarbeiterin der Zeitschrift konkret wie Rühmkorf selbst.

    19. Juni. An einem Umspannkasten des E-Werks, Treppe Lüdemanns Weg, ‘Hier ist Baaders Waffenversteck’ ...
    Ich? Kloß im Kugelschreiber.


    Wenn ich mal richtig ICH sag heißt ein gerade erschienener, opulent mit Fotos, Faksimiles, Textauszügen, persönlichen und historischen Dokumenten ausgestatteter Band, ein Buch zum Blättern und Sichfestlesen. Der Titel klingt anmaßend.

    Der ist nicht so ansprüchlich, wie er zunächst sich anhört. Denn das Gedicht geht ja weiter. Vorn steht – das ist der Überraschungseffekt, der ästhetische des Gedichtes –
    "Wenn ich mal richtig ICH sag, Punkt, Punkt Punkt
    wie viele da noch mitreden können?!"
    Aber das geht weiter:
    "Einspruch? Nichtsda.
    ‚N Ich hat irgendwie jeder, und das ist auch gar nicht so ungewaltig.
    Wenn es die Augen zuklappt,
    geht die Erde unter,
    sind die Sterne aus."
    D.h., daß das ansprüchliche Ich nur scheinbar vorgeschoben wird, um dann in ein soziales Du, in die Ansprache an die Genossen und Genossinnen, überzugehen: Kinder, ermutigt Euch zu Eurem eigenem faltenreichen, zerbrochenen, bröckligen Ich – nicht, das schlägt in eine soziale Gemeinschaftsfigur um, und das muß und will und kann auch mitgelesen werden.


    Als ein Kritiker ihn dieser Tage fragte, wie er sich erkläre, daß sein Name jetzt in aller Munde sei, beschied Peter Rühmkorf ihn mit dem Satz: Gute Ware müsse lange hängen und wie guter Wein lange lagern.

    Ich bin richtig angenehm überrascht, das noch zu Lebzeiten zur Kenntnis nehmen zu können.

    Wollte nur mal fragen, Punkt, Punkt, Punkt.
    Dieses Gedicht ist eigentlich eher zu singen:
    Wollte nur mal fragen, wie’s so ist – fiel mir so ein. Ist ja ne hübsche Formulierung. Auf einmal fiel mir ein eine Melodie: "Long is the way to go home". Wollte nur mal fragen, wie’s so ist. Wollte nur mal sehn undsoweiter. Und auf einmal merkte ich, daß ich im Shanty drin war, und deswegen ist das Lesen so ein bißchen... Ich werde es einfach mal versuchen, jetzt:

    Wollte nur mal fragen, wie’s so ist.
    Wollte nur mal sehn, ob meine Sterne
    Noch am Leuchten sind
    Und man mich in der Ferne
    Etwa gar vermißt...

    Wollte eigentlich,
    wollte, weil mein Sinn für das Posthume
    wie bekannt in engen Grenzen bleibt
    und der Geist auf seiner schmalen Krume
    ungenetzt nur parfümierte Blumen treibt,
    also, wollte fragen, ob man sich ...

    Ob man, wenn es Deine Zeit erlaubt,
    und du kannst dich auch real entreißen,
    weil: du bist genauso spitz wie ich,
    meine, ob du dich
    in ein Auto, einen Zug, ein Flugzeug schmeißen
    würdest und du kämest schneller als man glaubt
    hier ganz einfach angestaubt:
    ein speziell für mich
    in Gang gesetztes Ding-an-sich ...



    Besprochene Werke:
    wenn - aber dann. vorletzte gedichte
    Rowohlt, EUR 18,-

    wenn ich mal richtig ICH sage ... Ein Lese-Bilderbuch
    Steidl, EUR 29,50

    tabu II. Tagebücher 1971-1972
    Rowohlt, EUR 22,90