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Zum 80. von Vaclav Havel
Seine Stimme fehlt in der Flüchtlingsdebatte

Heute feiern Freunde und Anhänger von Vaclav Havel den 80. Geburtstag des verstorbenen Dichterpräsidenten - mit einer Großkundgebung auf dem Prager Wenzelsplatz. Anders als seine Nachfolger steht der ehemalige Bürgerrechtler Havel für Humanität und Weltoffenheit in der Politik. Seine Stimme wird von vielen Tschechen auch in der aktuellen Flüchtlingsdebatte schmerzlich vermisst.

Von Stefan Heinlein | 05.10.2016
    Zu Sehen ist Vaclav Havel nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten der Tschechoslowakei am 29. Dezember 1989.
    Am 29. Dezember 1989 wurde Vaclav Havel zum Staatspräsidenten gewählt - zwei Monate zuvor hatte er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. (picture alliance / dpa)
    "Nur mit euch werden Wahrheit und Liebe die Lüge und den Hass besiegen."
    Der Liedermacher David Koller hat die wohl berühmteste Havel-Aussage aktuell interpretiert. Mit seiner Ballade wird er heute auf dem Prager Wenzelsplatz das demokratische Engagement der Tschechen einfordern. Das große Geburtstagfest zu Ehren des verstorbenen Präsidenten soll an die Werte der Samtenen Revolution von 1989 erinnern, so Mitorganisator Michal Zantovsky:
    "Wir spüren sehr genau wie sehr er der heutigen Gesellschaft fehlt. Vor allem sein Sinn für Verantwortung und seine Bereitschaft sich öffentlich zu engagieren. Vaclav Havel hat dafür auch seine persönliche Freiheit geopfert. Solche Politiker haben wir heute leider nicht."
    Tatsächlich ist das politische Erbe von Vaclav Havel in der tschechischen Gesellschaft inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten. Die öffentliche Debatte um die Flüchtlingspolitik wird beherrscht von den schrillen Tönen des amtierenden Präsidenten Milos Zeman. Die Mitte-Links-Regierung wehrt sich gegen eine europäische Quotenlösung. Eine breite Mehrheit der Bevölkerung will keine Muslime ins Land lassen. Brüssel ist vielen Tschechen inzwischen suspekt. Hier fehlt die Stimme von Vaclav Havel, so der Wissenschaftler Tomas Sedlacek:
    Sein Nachfolger hat ihn vom Sockel gestürzt
    "Er hat immer für die zentralen europäischen Werte gekämpft und einen offenen Dialog der Religionen gefordert. Seine klare Vision und seine Weitsicht hätten deshalb viele Fehler in den heutigen Debatten korrigiert."
    Mit vielen Lesungen und mehrtägigen Musik- und Theaterfestivals wollen die Havel-Anhänger deshalb an das politische und kulturelle Erbe des Dichterpräsidenten erinnern. Sein Nachfolger Milos Zeman wird an keiner dieser Veranstaltungen teilnehmen. Anders als im Ausland haben er und viele Tschechen die Ikone der demokratischen Revolution längst vom Sockel gestürzt, so der Politikwissenschaftler Jiri Pehe:
    "Er hat das provinzielle Milieu und die latente Fremdenfeindlichkeit seiner Landsleute immer sehr laut kritisiert. Das hat den meisten Tschechen schon zu seinen Lebzeiten nicht gefallen. Auch heute wäre für ihn klar: Wir müssen unsere humanistischen Werte verteidigen und den Menschen in Not helfen."
    "Havel hätte Merkel unterstützt"
    Der neue Graben zwischen Berlin, Brüssel und den ost- und mitteleuropäischen Ländern in der Flüchtlingspolitik wäre mit Vaclav Havel nicht entstanden. Als Präsident hätte er Brücken gebaut und sich für eine gemeinsame europäische Lösung eingesetzt:
    "Vaclav Havel hätte Angela Merkel eindeutig unterstützt. Natürlich hätte er auch manches kritisiert, aber er hätte wohl die deutsche Kanzlerin für die Rettung von einer Millionen Menschen sogar für den Friedens-Nobelpreis vorgeschlagen."
    Zumindest eine kleine Ehrung gibt es heute für den Bürgerrechtler, Dramatiker und Präsidenten auch von Seiten der Stadt Prag. Der Platz vor dem Nationaltheater trägt künftig den Namen Vaclav Havel.