Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Zum Frühstück Gift

Biologie. - Alle Pflanzen und Tiere haben sich im Laufe der Evolution die Nische erobert, in der die Lebensbedingungen für sie optimal sind und sie am besten zurecht kommen. So wächst zum Beispiel das Westfälische Galmeiveilchen auf Böden, die den meisten anderen Pflanzen innerhalb kürzester Zeit den Garaus machen.

Von Monika Seynsche | 14.08.2009
    Karsten Schnell bahnt sich vorsichtig einen Weg in die grasbewachsene Senke hinunter. Butterblumen wachsen hier, die eine oder andere kümmerliche Fichte und viele kleine Pflänzchen mit blauen Blüten. Und genau die haben es dem Wissenschaftler der Biologischen Station im Kreis Paderborn-Senne angetan.

    "Jeder hat schon mal irgendwie ein Foto von dieser Pflanze gemacht und diese ganzen Botanikfreaks, die im Internet dann ihre Seiten mit Fotos aufbauen, die haben auch alle ein Foto vom Galmeiveilchen. Also die müssen schon regelmäßig hier sein."

    Das Westfälische Galmeiveilchen mit seinen blauen Blüten bekommt so oft Besuch, weil es eine der seltensten Pflanzen der Welt ist. Schnell:

    "Das sind insgesamt zwei Teilflächen, auf denen das Galmeiveilchen wächst, die jeweils rund zwei Hektar groß sind, einmal hier die Bleikuhle mit der Halde unten und diese Feuchtwiese unten und in beiden Gebieten kommt ein etwa gleich großer Bestand vor."

    Der weltweite Bestand an Westfälischen Galmeiveilchen lebt also auf einer Fläche, die nicht einmal vier Fußballfelder umfasst. Und das an einem Ort, der lebensfeindlicher kaum sein könnte. Unter der dünnen Grasnarbe der Senke ist der Boden voller Schwermetalle. Schnell:

    "Das ist hier ein ganz natürliches Vorkommen, entstanden, ja, im Tertiär, das ist so über den Daumen 50 bis 70 Millionen Jahre her."

    Jahrhunderte lang haben Bergleute an dieser Stelle Blei und Zink aus dem Boden geholt. Schnell:

    "Man hat damals hauptsächlich Zink abgebaut, braucht man ja für die Messingherstellung und weil das hier oberflächlich zutage tritt, und es stand wahrscheinlich nie Wald hier an dieser Stelle, da war das natürlich einfach das hier einfach mal mit Spitzhacke und Schüppe abzutransportieren und irgendwo weiterzuverarbeiten."

    Dem Bergbau ist ein ganz besonderes Naturschutzgebiet gefolgt. Denn auch heute noch ist der Bleigehalt hier 27 Mal so hoch wie normal, die Zinkkonzentration in der Bodenlösung sogar 1800 Mal höher als in normalen Böden. Ein tödlicher Cocktail für die allermeisten Pflanzen. Karsten Schnell deutet auf eine gelbliche Fichte, die kaum bis zu seinem Knie reicht.

    "Die Fichte hier versucht es, wird allerdings nie wirklich groß werden. Die ist jetzt schon so gelblich und die toxische Wirkung der Schwermetalle wird denen dann über kurz oder lang doch wieder das Genick brechen."

    Das Westfälische Galmeiveilchen dagegen kann mit Schwermetallen im Boden leben. Schnell:

    "Es ist so, dass die Veilchen es schaffen, die Schwermetalle an organische Säuren anzubinden, wo die dann inaktiv werden, und die in Vakuolen oder in den Zellwänden dann eben auszufällen, so dass die Schwermetallionen in der organischen Masse gebunden sind, aber nicht wirken."

    So gebunden können die Schwermetalle dem Veilchen nicht mehr schaden. Und in gewisser Weise helfen sie den kleinen blauen Pflänzchen sogar. Denn die Schwermetalle hindern andere Pflanzen daran, die Hänge der Bleikuhlen zu besiedeln. Das Westfälische Galmeiveilchen allein kann sich gegen andere Arten kaum durchsetzen und zieht im Konkurrenzkampf um Licht und Nährstoffe in der Regel den Kürzeren. Nur auf verseuchten Böden hat es seine Chance. Und auch dort nur, solange die Schwermetallbelastung hoch genug ist. Schnell:

    "Also gerade in den randlichen Bereichen wo der Schwermetallgehalt im Boden nicht ganz so hoch ist, kommen auch durchaus mal Gehölze hoch, die verschatten die Flächen und dort wäre es eigentlich erforderlich zum einen die Gehölze wieder zu entfernen, ein bisschen zurückzudrängen und auch über eine extensive Nutzung in Form einer Beweidung oder Mahd nachzudenken."

    Insgesamt aber sieht Karsten Schnell der Zukunft des Westfälischen Galmeiveilchens in seiner lebensfeindlichen Nische gelassen entgegen.

    Zur Reihe Die Letzten ihrer Art