Mittwoch, 17. April 2024

Archiv

Zum Tod des Buchgestalters Lothar Reher
Ein zeitloser Stilist

Der Buchgestalter Lothar Reher hat nicht viel Aufhebens um seine Person gemacht. Viel wichtiger waren ihm die Bücher: etwa die Taschenbücher der "Schwarzen Reihe". Reher hat ihre Titel mit deutlicher Schrift und eindrucksvollen Schwarzweiß-Fotos gestaltet. Im Alter von 85 Jahren ist Lothar Reher nun gestorben.

Von Matthias Dell | 10.04.2018
    Der Buchgestalter Lothar Reher sitzt in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa und stützt einen Ellbogen auf einem Couchtisch auf.
    "Mit einem Totenkopp und einem Akt krieg ich jedes Buch illustriert" - so das Credo von Lothar Reher. (Fotograf: Oliver Schmidt)
    "Wirklich lesbar wird auch das gute Buch erst dann, wenn es am Ende auch ein schönes Buch ist", heißt es in einem Bericht von der Leipziger Buchmesse Mitte der Achtzigerjahre. Der, relativ ungewöhnlich, einen Sinn für die Art hat, wie Bücher aussehen. Für den Buchgestalter, dessen Name nicht auf dem Titel steht, sondern im Kleingedruckten auf den Innenseiten. "Solche Bücher hat Lothar Reher, langjähriger Künstlerischer Leiter von 'Volk und Welt', Mitglied der Akademie der Künste, in vorbildhafter Weise für uns gemacht."
    Lothar Reher war der beste Buchgestalter der DDR. Geboren wurde er 1932 in Westpreußen. Die Familie siedelte noch vor dem Krieg nach Berlin über. Weil die Eltern früh starben, ging Reher nach der siebten Klasse von der Schule ab und begann eine Setzerlehre, die ihn dann in den Fünfzigerjahren zum Verlag "Volk und Welt" führte, wie Reher dem Reporter auf der Leipziger Messe mit dem Understatement seines maulenden Berliner Tonfalls erzählt.
    "Ich habe ja, vorhin wurde es hier gesagt, angefangen bei 'Volk und Welt' als Hilfshersteller und habe mich dann als Autodidakt entwickelt."
    "Bücher machen, nicht Bücher gestalten"
    Einen seiner frühen Aufträge erledigt Reher noch für den späteren Feuilleton-Chef der "Zeit", Fritz J. Raddatz, der vor seinem Gang in den Westen 1958 stellvertretender Lektor bei "Volk und Welt" war. Es ging um ein Buch über Tilman Riemenschneider: Die existierenden Fotos waren beiden zu distanziert, und so reiste der junge Hilfshersteller für eine Woche nach Süddeutschland, um den Altären und Schnitzplastiken des Bilderhauers näher zu kommen. Dass es sich bei seiner Arbeit um Kunst handeln könnte, darauf legte der Autodidakt Reher zumindest beim Darüberreden keinen Wert, wie im Interview zu hören ist.
    "Seit vielen Jahren machen Sie eigentlich Bücher? Oder ersetzen wir doch besser das nichtssagende Verb 'machen' durch das kreativere 'gestalten'. – Och, ich sage 'machen' eigentlich doch lieber."
    Gemacht hat Reher vor allem die Reihe "Spektrum": 279 Taschenbücher bei "Volk und Welt", die wegen des schwarzen Einbands auch "Schwarze Reihe" genannt und in der internationale Autoren publiziert wurden.
    "Es ist ja nicht die Schwierigkeit, eine Reihe aufzumachen, eine Schwierigkeit oder eine Anstrengung ist es, eine Reihe zu halten. Das Flaggschiff ist die, in Bezug auf die literarische Reihe, ist die 'Spektrum-Reihe', die 20 Jahre hält", erklärte Mitte der Achtzigerjahre der damalige "Volk und Welt"-Chef Jürgen Gruner.
    Reher war 1978 als künstlerischer Leiter im Zuge der Biermann-Ausbürgerung ausgeschieden, gegen die er - wie andere Intellektuelle, Schauspielerinnen und Künstler - protestiert hatte. Die "Schwarze Reihe" aber betreute er weiter.
    Gute Lesbarkeit, expressive Bilder
    Und seinen Anteil an der Langlebigkeit von "Spektrum" kann man wohl nicht hoch genug schätzen: Anders als die "Edition Suhrkamp", die Willy Fleckhaus streng durchs Farbenspektrum hindurch entworfen hatte, entwickelte Reher "Spektrum" viel spezifischer: Auf dem Kopf der Bücher standen in der gut lesbaren Schrift "Garamond" Autor, Name, Verlag und Genre. Darunter, manchmal auch dazwischen, fand sich, anders als bei Fleckhaus, ein wechselndes, eigens für das Buch gemachtes Motiv. Schwarzweiß-Fotos, die in der expressiven Art John Heartfields collagiert waren, den Reher noch kennengelernt hatte.
    Vor einigen Jahren sagte Regina Weber, die Kuratorin einer Ausstellung über den Verlag "Volk und Welt":
    "Gerade die Buchgestaltung hatte ja mehrere Funktionen. Zum einen hatte man ja das Buchcover als Werbung. Und zum anderen hat es manchmal die schlechte Papierqualität überdeckt. Denn manchmal hatte man wirklich nicht so gute Qualität, und da hat man gesagt, macht man den Umschlag ein bisschen besser."
    Durch Mangel zur Kunst
    Tatsächlich war der Mangel ein Zwang, der Reher zu seiner Kunst verhalf. Farbfotografie war teuer, die Qualität der Filme in der DDR mangelhaft. Schwarzweiße Bilder dagegen konnte Reher, der später auch als Fotograf Bildbände mit Autoren über Stockholm, Paris oder Mecklenburg veröffentlichte, selbst machen und entwickeln.
    Die Cover der "Schwarzen Reihe" sind daher ein Ort heute undenkbarer künstlerischer Autonomie bei der Buchgestaltung. Auf der Biennale für Grafik Design in Brno 2016 wurde Reher entsprechen gewürdigt: Zwei Londoner Grafiker inszenierten die Bücher, auf die sie in Antiquariaten gestoßen waren, wie Kunst an der Wand. Dass Rehers Werk für solche Wiederentdeckungen offen ist, hat auch mit seinem drastischen, vor allem zeitlosen Stil zu tun. "Mit einem Totenkopp und einem Akt krieg ich jedes Buch illustriert", hatte Reher einmal seine Arbeit unnachahmlich schnorrig beschrieben. Es ist das Credo eines modernen Klassikers.