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Zum Tod des Malers Johannes Grützke
Konservativer Avantgardist

Der Maler Johannes Grützke war einer der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen Malerei in Deutschland. Er hatte sich bewusst von der abstrakten Mode entfernt - mit seiner "Schule der neuen Prächtigkeit" wurde er eine Art Skandalkünstler in Westdeutschland der 70er- und frühen 80-er-Jahre. Nun ist er im Alter von 79 Jahren gestorben.

Von Carsten Probst | 17.05.2017
    Der Maler Johannes Grützke ist im Alter von 79 Jahren nach langer schwerer Krankheit in Berlin verstorben.
    Der Maler Johannes Grützke: "Meine Bilder haben das Ziel des Monumentalen eigentlich. Ich verwendete früher gern die Froschperspektive, inzwischen geht es aber auch mit der Vogelperspektive." (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    "Ich bin ein Klassiker, stehe wie ein Denkmal auf dem Podest und warte nur auf den Avantgardisten, der mich hinunterwirft." So lautet eines der bekanntesten Zitate von Johannes Grützke, er selbst nannte seine Aphorismen gern etwas schwülstig "Bekenntnisse", und dass sie ihm hin und wieder als Selbstbeweihräucherung ausgelegt wurden, nahm er bewusst in Kauf.
    Ein vorgetäuschter Elitarismus gehörte für ihn zur künstlerischen Opposition gegen die ja aus seiner Sicht geschichts- und denkmallose Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Dass er sich selbst zum Klassiker erhob, war letztlich auch weniger der Eitelkeit, als seinem Unbehagen an der Gegenwart geschuldet:
    "Das Unbehagen ist eigentlich auch eine starke Antriebskraft gewesen bei uns, und in meinem Falle … ist es das Fehlen von Geschichte und Heroischem, Monumentalem und so. Auch meine Bilder haben das Ziel des Monumentalen eigentlich. Ich verwendete früher gern die Froschperspektive, inzwischen geht es aber auch mit der Vogelperspektive."
    Figürlichkeit gegen abstrakte Moderne
    So Johannes Grützke im Sommer 2014 im Deutschlandfunk. Mit dieser Position war er, unschwer zu vermuten, natürlich eine Art Skandalkünstler im sozialliberalen Klima Westdeutschlands der siebziger und frühen achtziger Jahre. Seine Malerei stand für eine Wiedereinführung der Figürlichkeit, wo doch eigentlich seit den fünfziger Jahren das Bekenntnis zur abstrakten Moderne quasi als kulturelle Staatsräson der Bundesrepublik gegolten hatte, gerade auch in bewusster Abgrenzung zur DDR und ihrem Sozialistischen Realismus.
    Überhaupt war figürliche Kunst doch belastet durch das Dritte Reich und galt damals vielen noch als Kunstform des Totalitarismus. Grützke und die von ihm mitbegründete "Schule der Neuen Prächtigkeit" scherte das herzlich wenig. Sie hielten die Moderne für überbewertet, auch Beuys und jede Art von Gegenwartskunst, die das Gegenwärtige so betont herausstellte, kamen bei ihnen nicht gut weg. Er mochte es, als konservativ bezeichnet zu werden:
    "Konservativ kann man uns schon nennen. Bloß, es ist eigentlich auch nicht so. Denn konservativ nennt man auch noch andere Sachen, hinter die wir uns dann lieber nicht stellen. Und eigentlich sind wir sogar richtig Avantgarde."
    Wandgemälde für die Frankfurter Paulskirche
    Ausschnitt aus dem Wandgemälde Der Zug der Volksvertreter vom Berliner Maler Johannes Grützke, 1991, auf der Innenseite des ovalen Wandelganges in der Paulskirche, Frankfurt am Main.
    Ausschnitt Wandgemälde "Der Zug der Volksvertreter" von Johannes Grützke auf der Innenseite des ovalen Wandelganges in der Frankfurter Paulskirche. (imago/imagebroker)
    Wie Recht er doch hatte: Grützke war kein Revanchist, keiner, der aus missverstandenem Patriotismus die Zeit des Nationalsozialismus relativierte. Seine Art des Konservatismus zeigte sich vermutlich am deutlichsten auf dem auch sichtbaren Höhepunkt seiner Karriere: Dem monumentalen Wandgemälde für die Frankfurter Paulskirche von 1991.
    Sein Titel: "Der Zug der Volksvertreter" und der von den karikaturartigen Portraits der Neuen Sachlichkeit inspirierte Malstil Grützkes wirken aus heutiger Sicht wie eine ironische Vorwegnahme all dessen, was an Politikverdrossenheit über das wiedervereinigte Deutschland noch hereinbrechen würde.
    Wie der Leipziger Großmaler Werner Tübke, mit dem er oft verglichen worden ist und den er schätzte, war Grützke von Sehnsucht nach einer bürgerlichen Künstlerkultur erfüllt, in der es noch Genies gibt, die alles machen: Kunst, Musik, Theater, Literatur, Architektur.
    So wollte auch Grützke sein und erwies sich in dieser Hinsicht tatsächlich als Avantgardist einer neuen deutschen Bürgerlichkeit, die sich im noch jungen 21. Jahrhundert mit dem wiedererrichteten Stadtschloss von Berlin bereits ihr Denkmal errichtet hat.