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Zum Tod des SPIEGEL-Gründers und Publizisten Rudolf Augstein

''Im Zweifelsfall links'' war seine Devise. Und mit seinem Nachrichtenmagazin hat er das Nachkriegsdeutschland geprägt wie wohl kein anderer Journalist: Rudolf Augstein etablierte mit seinem SPIEGEL von 1947 an den Enthüllungsjournalismus in Deutschland. Und bis 1993, als ''Focus'' auf den Markt kam, war sein Magazin quasi ohne Konkurrenz. Am 7. November 2002 ist Rudolf Augstein gestorben, zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag. Nachdem die Nachricht vom Tode Rudolf Augsteins heute Mittag bekannt wurde, haben sich viele Politiker, Journalisten und Schriftsteller zu Wort gemeldet, um ihn und sein Lebenswerk zu würdigen. So nannte Bundespräsident Rau den Verstorbenen einen unbeugsamen Demokraten. Journalisten wie etwa die Chefredakteure des STERN betonten, Rudolf Augstein habe qualitative Maßstäbe gesetzt. Der Mitherausgeber der ZEIT Michael Naumann sagte, ohne Augstein und den SPIEGEL hätte es die Demokratie in Deutschland schwerer gehabt. Und Schriftsteller Günter Wallraff sprach von einem Wegbereiter der Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland, der mit dem SPIEGEL ein demokratisches Frühwarnsystem entwickelt habe. Rudolf Augstein war nach dem Tod von Axel Springer, Henri Nannen und Gerd Bucerius der letzte große Zeitungsverleger der Nachkriegszeit.

Ein Nachruf von Gunter Hofmann | 07.11.2002
    Es gibt keine Pflicht, Rudolf Augstein als Denkmal zu bewundern. Es werde auch erlaubt, den Mann mit einigem Zynismus zu beurteilen. Mit dem Zynismus nämlich, den er nach eigenem Bekunden pflegt.

    Augstein: 'Zynismus heißt für mich, die Welt so sehen wie sie ist und nicht so, wie sie sein will.'

    Er ist nicht ein Lehrmeister im Zynismus, auch wenn er damit kokettiert, sondern einer in Unabhängigkeit Kritiklust Neugier. Er war immer ein harter Nachrichtenmagazinmann, seit er mit 23 Jahren 1947 an die Spitze des Blattes kam. Er war einer, der immer viel wissen wollte, ein reflektierender Journalist, der harte Magazinmann. In zahllosen Kolumnen hat er die Politik des Patriarchen Adenauer bekämpft, lies sein Magazin Fehden mit Franz Josef Strauß austragen, Affären aufdecken, wollte Deutschland bis zur Obsession hin säubern. Was er dem Land beigebracht hat, war der Obrigkeitsstaat ist zu Ende. Allein die Konfliktdemokratie taugt für die Zukunft. Und dann: Die Freiheit der kritischen Meinung ist das A und O. So kommt es, dass die Spiegel-Affäre des Jahres 1962 zu einem Wendepunkt für die Bundesrepublik wurde. Augstein wanderte wegen angeblichen Landesverrates für ein paar Monate ins Gefängnis. Aber der Verteidigungsminister Strauß stürzte, und im Land bereitete sich ein Umbruch vor. Der außerparlamentarischen Opposition folgte der Machtwechsel von 1969. Dem lag nicht ein Meisterwerk Augsteins zugrunde. Aber gleichwohl, der Spiegelmann hatte schon Konturen einer Republik im Sinn, wie er sie sich wünschte.

    Augstein: 'Natürlich haben wir auch Einfluss auf die Politik genommen, und das war richtig so. Aber eigentlich wollten wir das im Spiegel schreiben, was wir gerne selbst lesen wollten.'

    Gelegentlich konnte Augstein beinah vulgär sein. Aber wichtiger, er war ungeheuer neugierig. Von Adenauer bis Martin Heidegger, von Karl Schmidt bis Ernst Jünger, auch wenn sie durch das Dritte Reich diskreditiert waren, er wollte alle kennen lernen. Sein Vater sei glücklicherweise Anti-Preuße und kein Nazi gewesen. Er selber wollte in diesen Jahren einfach davon kommen und dann sehen.

    Wörtlich: 'Ich wollte dadurch.' Er war Marionettenspieler bei der Hitlerjugend, Kantinenwirt im Arbeitsdienst, Schütze Asch an der Ostfront, am Ende Leutnant. Dann schiebt er noch den schönen Satz nach:

    'Eigentlich war ich immer Deserteur, wenn auch nicht richtig.'

    Sein Spiegel war zunächst eine unverzichtbar kritische, dann eine etablierte Instanz, die allmählich anderen Gesetzen gehorchte, keineswegs mehr nur einem Journalisten, der als Herausgeber die Richtlinien vorgibt.

    Augstein: 'Der Herausgeber bestimmt laut einer altertümlichen Gesetzeslage angeblich die geistigen und politischen Richtlinien des Blattes. Dieses ist durchaus in der Praxis nicht anzutreffen.'

    Der Spiegel vor allem ein Spiegel der alten Bundesrepublik hat im wieder vereinigten Land der national denkenden Augsteinser einen Traum erfüllt. Er gab sich alle Mühe, seine Rolle neu zu definieren. Augstein prägte das Blatt weniger, aber blieb. Das trug ihm die Frage ein, ob er sich für unersetzlich halte. Das sicher nicht, aber sein Erbe ist nicht bestellt, auch nicht mit dem Spiegelchefredakteur Stefan Aust.

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