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Zum Tod des Theologen Hans Küng
"Ein reiches und spannendes Leben"

Er kritisierte seine Kirche und galt als Gegenspieler zu Joseph Ratzinger: der Tübinger Theologe Hans Küng. Ein Tiefschlag war für ihn der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis im Jahr 1979. Küng kämpfte weiter für die Ökumene und einen Weltethos. Er starb am Dienstag im Alter von 93 Jahren.

Von Burkhard Schäfers | 07.04.2021
Der Theologe und Präsident der Stiftung Weltethos, Hans Küng, spricht am 8.7.2004 vor dem Parlament der Weltreligionen in Barcelona, das Teil des Weltkulturforums 2004 in Barcelona ist.
Der bekannte Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng ist im Alter von 93 Jahren gestorben (picture-alliance / dpa | epa efe Vannucchi)
Es gebe zwei Formen, heute katholisch zu sein, behauptete Hans Küng vor einigen Jahren: Da seien einmal die vom Konzil bewegten Leute, erneuerungsfreudig – und die anderen, die nach rückwärts blickten. Damit beschrieb Küng zugleich sich selbst und seinen Weggenossen Joseph Ratzinger. Beide Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils, Professoren in Tübingen, fast gleich alt. An dem, was der spätere Papst Benedikt und sein polnischer Vorgänger Johannes Paul II. vertraten, arbeitete sich Küng ab - fast sein ganzes Leben lang.
"Wenn Sie zum Beispiel den ich weiß nicht wie schweren Katechismus der katholischen Kirche ansehen, was man jetzt eigentlich als Maßstab nehmen soll, das ist doch nicht Verkündigung. Wenn der Glaube ein Kilo braucht von Dokumenten und so weiter, was man da alles glauben soll, das ist inakzeptabel. Und wie man redet von Glaubenswahrheiten ist immer noch in den Formeln der hellenischen Konzilien, der mittelalterlichen Theologie."
Hans Küng war schwer enttäuscht, weil Rom aus seiner Sicht die Ergebnisse des Zweiten Vatikanums in den folgenden Jahrzehnten nicht umsetzte. Päpstlicher Absolutismus, der Gehorsam der Bischöfe und Konformismus seien stärker als jeder Reformwille. Dabei hätte Küng selbst Karriere in der Kurie machen können, lehnte das Angebot von Papst Paul VI. aber ab:
"Früh krümmt sich, was ein Kardinal werden will - nicht? Man muss natürlich dann schon, das hat mir der Papst damals auch gesagt – ich sehe noch seine Geste, wie er so mit seinen schlanken Händen so die Linie: Ja, man muss sich halt etwas anpassen."
Das wiederum passte dem 1928 in der Schweiz geborenen Küng nicht.
"Ich komme natürlich aus dem Land Wilhelm Tells, und wir sind nicht in einem Untertanen-Staat groß geworden. Wenn ein Schweizer Bauer einem Schweizer Bundesrat, also einem unserer sieben Regierungsmitglieder, die Hand gibt, so wird er eher den Kopf etwas höher halten als sonst und auf gar keinen Fall einen Knicks machen. Also wir sind gewohnt, geradeheraus zu reden. Warum soll man da immer nur kriechen. Ein aufrechter Gang geziemt auch einem Theologen."
An Selbstbewusstsein – manche sagen auch: Selbstverliebtheit – mangelte es Hans Küng nicht. Der Sohn eines Schuhhändlers wuchs in einer katholischen, wohlhabenden Familie auf. Nach dem Abitur in Luzern studierte er Philosophie und Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, anschließend in Paris.
Der Theologe, Priester und katholische Religionswissenschaftler Hans Küng (l) hält am 30.09.1979 eine Rede zur Eröffnung der 27. Jahresausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Stuttgart. Im Dezember 1979 wurde dem als "Kirchenrebell" geltenden Küng aufgrund seiner Kritik an der Kirche die kirchliche Lehrbefugnis entzogen.
Hans Küng im Jahr 1979 (picture alliance / dpa | dpa)
1954 wurde er in Basel zum Priester geweiht. 1960 kam der damals 32-Jährige als Professor für Fundamentaltheologie an die Universität Tübingen. Küng setzte sich innerkirchlich für die Abschaffung des Zölibats, die Gleichberechtigung der Frau und die Ökumene ein sowie gegen die strikten Verbote von Empfängnisverhütung und Abtreibung. Als einen Erfolg beim Zweiten Vatikanischen Konzil verbuchte er die Einführung der Volkssprache in der Liturgie.
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Der Theologe Karl-Josef Kuschel war Hans Küng eng verbunden: als dessen Schüler und langfähriger enger Freund. "Er war ein harter Arbeiter, der sich mit einer unerschöpflichen Energie ein enormes Tagespensum abverlangte." Zeitlebens sei er davon überzeugt gewesen, dass er die Botschaft Jesu weiterzugeben habe – mit all seinen Reformforderungen.

1979 Entzug der Lehrerlaubnis

Doch in Rom beäugten sie zunehmend kritisch, was Küng lehrte und publizierte. Bücher über kirchliche Strukturen und die päpstliche Unfehlbarkeit brachten ihm Untersuchungen und eine Rüge durch die Glaubenskongregation ein. 1979, kurz vor Weihnachten, entzog ihm die Deutsche Bischofskonferenz die kirchliche Lehrerlaubnis. Seine erste Reaktion damals:
"Ich halte es für einen Skandal, dass in einer Kirche, die sich auf Jesus Christus berufen will, in einer Kirche, die die Menschenrechte neuerdings verteidigen will, dass in einer solchen Kirche noch Inquisitionsprozesse im 20. Jahrhundert durchgeführt werden. Wenn man nicht mehr fragen darf in der katholischen Theologie, dann weiß ich wirklich nicht, warum man überhaupt noch Theologie treiben soll."
Zunächst versuchte Küng, die Entscheidung rückgängig machen zu lassen – vergeblich. Er blieb zwar katholischer Priester, seinen Tübinger Lehrstuhl für Dogmatik indes konnte er ohne die Missio canonica nicht behalten.
"Am schlimmsten waren natürlich die vier Monate vor Weihnachten '79, als der Missio-Entzug da war, bis April zum Semesterbeginn hier in Tübingen. Vier Monate, die schlimmsten meines Lebens, wo ich nicht wusste, was aus mir wird. Also, das waren schwierige Zeiten. Und ich möchte es nicht verheimlichen, dass mich das bis an den Rand der physischen Erschöpfung geführt hat."
Letzten Endes aber ging der kritische Theologe gestärkt aus der Sache hervor. Der Entzug der Lehrerlaubnis hatte ihm viel Aufmerksamkeit und Zuspruch gebracht. Die Uni Tübingen behielt ihn als fakultätsunabhängigen Professor für Ökumenische Theologie. Er weitete sein Themen-Spektrum, hielt gemeinsam mit dem Schriftsteller Walter Jens Vorlesungen über Blaise Pascal, Thomas Mann und Hermann Hesse, gab zahllose Interviews und lehrte als Gastprofessor in Chicago, Toronto und Houston.

Idee eines Weltethos

Außerdem entwickelte Küng seine Idee eines sogenannten Weltethos: Er forderte einen Grundkonsens über verbindliche Werte sowie globale ethische Standards für eine Erneuerung der internationalen Beziehungen. Er sei von den Problemen der katholischen Kirche und der Christenheit zu den Problemen der Weltreligionen und schließlich des Weltfriedens gekommen, so Küng.
"Ich glaube, ich hätte die Weltethos-Idee nie gehabt, wenn ich einfach hätte weiter Dogmatik dozieren müssen. Und ich bin sehr froh über die Entwicklung, auch wenn sie nicht beabsichtigt war von römischer Seite. Ich habe dadurch den Weg gehen können im Dienst an der Einheit der Kirche, zum Frieden unter den Nationen, bis hin zur Gemeinschaft der Nationen. Ich konnte für die UNO wirken, für die UNESCO wirken."
1995 gründete Hans Küng die Stiftung Weltethos mit dem Ziel, interreligiöse und interkulturelle Forschung, Bildung und Begegnung zu fördern. Er wurde deren erster Präsident und initiierte in Tübingen öffentlichkeitswirksame Weltethos-Reden – mit Gästen wie Kofi Annan oder Desmond Tutu. 2001, kurz nach den Terroranschlägen am 11. September, sprach Küng vor der UN-Vollversammlung in New York über den Dialog der Kulturen. Einer seiner Lehrsätze lautet: "Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen."
"Man realisiert erst jetzt langsam, langsam, dass die Religionen, die so verschieden sind in ihrer Dogmatik, in ihrer Glaubenslehre, dass sie eben in den ethischen Normen, in dem, wie man praktisch ein ethisches, ein humanes Leben führen soll, sehr viel mehr übereinstimmen, als man je geahnt hätte."
Trotz aller Weltpolitik ließ ihn die katholische Kirche nicht los. Sie müsse sich stärker an Jesus und seiner Botschaft orientieren, nicht an Kirchenrecht, Konzilien und Päpsten, wiederholte Küng immer wieder. 2005 empfing Papst Benedikt den Schweizer Theologen – nach jahrzehntelanger Eiszeit zwischen den beiden – zu einer vierstündigen Privataudienz. Das Gespräch sei freundschaftlich gewesen, auf Augenhöhe, so Küng. Doch strittige Fragen wurden ausgeklammert.

Späte Versöhnlichkeit mit Ratzinger

Immer wieder hielt man Hans Küng vor, wäre er kompromissbereiter gewesen, hätte er in Rom mehr erreicht.
"Es sind ja keine Kleinigkeiten, um die da gestritten wird. Und da bin ich zwar verhandlungsbereit, aber wenn es natürlich darauf ankommt, können sie nicht einfach Kompromisse machen. Ob wir einen päpstlichen Absolutismus dulden sollen, wo einer meint, er kann über die Pille befinden, über alle Fragen der Moral befinden."
Mit dem Jahr 2013 wurde es dann doch auf gewisse Art und Weise versöhnlich zwischen Küng und seinem Gegenspieler Ratzinger. Erst trat Benedikt als Papst zurück, dann Küng als Präsident der Stiftung Weltethos. Das Pontifikat von Franziskus begleitete er mit deutlich mehr Wohlwollen.
"Der Papst soll im Kollegium der Bischöfe eingebunden werden. Er soll sich also eingebunden fühlen mit dem Volk Gottes. Und da hat nun Papst Franziskus auch erstaunlicherweise sofort ganz andere Saiten aufgezogen. Er lässt nun fragen, hat die Laienschaft eingeschaltet. Es ist zum ersten Mal, dass man tatsächlich auch die Basisdemokratie in der Kirche ernst nimmt."
Hat Küng einen Anteil daran, dass in der katholischen Kirche bestimmte Fragen offener diskutiert werden? Dass mancher Bischof weniger auf Rom blickt, sondern regionale Lösungen favorisiert? Zumindest in der Wissenschaft hätten Theologen heute mehr Freiheiten, meint Johanna Rahner, Professorin für Ökumenische Theologie, eine der Nachfolgerinnen von Hans Küng an der Universität Tübingen.
"Die Themen, die Hans Küng damals sozusagen seinen Lehrstuhl gekostet haben, das sind jetzt Themen, die gehören zur Standardausbildung der Theologiestudierenden in der heutigen Zeit. Also, die Anfragen, auch die kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Interpretationen der lehramtlichen Vollmacht in der katholischen Kirche sind angeregt durch den Fall Küng heute auf einer ganz anderen Ebene zu diskutieren, als das damals der Fall war. Es hat, tatsächlich ausgelöst durch die Affäre Küng, eine Diskussion innerhalb der Theologie und innerhalb der lehramtlichen Äußerungen eingesetzt."
Heiße Eisen scheute Hans Küng bis ans Lebensende nicht, auch nicht in eigener Sache. Der an Parkinson erkrankte Theologe warb für ein selbstbestimmtes Sterben – und widersprach damit einmal mehr der katholischen Lehre. Zwar sei das Leben ein Geschenk Gottes, so Küng, aber es sei zugleich in die Verantwortung des Menschen gegeben, auch was das Wann und Wie des Sterbens angehe.
"Ich habe ein reiches, zum Teil sehr spannendes Leben erlebt, auch mit vielen Kämpfen. Und ich bin jedenfalls nicht bereit, noch sozusagen in eine Periode einzutreten, wo ich eben nur noch – wie ich immer formuliere – der Schatten meiner selber bin. Ich möchte so sterben, wie ich es selber mir vorstelle."